Normen
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 5. September 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 17. Mai 2006 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab. Zugleich erklärte es gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia für zulässig und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. nach Liberia aus. Dieser Bescheid ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. März 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen wiederholter gewerbsmäßiger Weitergabe von Kokain zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe (davon sieben Monate bedingt nachgesehen) verurteilt. Am 14. Juli 2006 wurde er erneut beim Handel mit Suchtgift betreten und in Untersuchungshaft genommen. Er wurde mit weiterem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. August 2006 zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe (davon sechs Monate bedingt nachgesehen) verurteilt.
Mit (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem) Bescheid vom 29. August 2006 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer wegen der dargestellten Straftaten gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Mit weiterem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Oktober 2007 wurde der Beschwerdeführer neuerlich wegen gewerbsmäßigen Inverkehrsetzens von Kokain (im August 2007), versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung (an einem Sicherheitswachebeamten, der ihn festnehmen wollte) zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich erfolgte der Widerruf der erwähnten bedingten Strafnachsichten.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 11. September 2009 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen den Beschwerdeführer, der bereits davor vom 25. August bis zum 20. November 2006 in Schubhaft angehalten worden war, gemäß § 76 Abs. 1 und 3 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an. Begründend verwies sie auf die Einkommens- und Beschäftigungslosigkeit des Beschwerdeführers, der "über keinen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet" verfüge. Unter weiterer Berücksichtigung der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts sowie einer früher ausgeübten illegalen Beschäftigung sei die Annahme gerechtfertigt, dass sein Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt, sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde. Die Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 FPG seien somit erfüllt. Die Anwendung gelinderer Mittel nach § 77 Abs. 1 FPG sei auszuschließen, weil auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers die Annahme gerechtfertigt sei, er werde sich dem behördlichen Zugriff entziehen, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen seine Person zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Der Zweck der Schubhaft könne hiedurch somit nicht erreicht werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. September 2009 wies die belangte Behörde eine dagegen sowie gegen die bisherige Anhaltung gerichtete, am 14. September 2009 erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
In ihrer Begründung gab sie das Vorbringen des Beschwerdeführers wieder, er habe am 30. Juni 2008 die österreichische Staatsbürgerin L. geheiratet und sei am 17. Jänner 2008 Vater eines Sohnes (M., ebenfalls eines österreichischen Staatsbürgers) geworden. Seine Ehefrau sei neuerlich von ihm schwanger, die Niederkunft werde für den 16. Jänner 2010 erwartet. L. habe schon vor seiner Haftentlassung (mit Eingabe vom 19. August 2009) der Bezirkshauptmannschaft Baden mitgeteilt, der Beschwerdeführer könne bei ihr in Wien wohnen. L. beziehe ein Einkommen von EUR 1.006,-- monatlich, woraus sie den Unterhalt des Beschwerdeführers abdecken werde. Überdies sei er während der Strafhaft dauernd einer Beschäftigung nachgegangen und könne mit dem Bezug von Arbeitslosengeld rechnen. Jedenfalls sei er mit seiner Ehefrau mitversichert. Versuche, während der eingangs erwähnten früheren Schubhaft sowie weiters im Februar 2008 über die liberianische Vertretungsbehörde in der Bundesrepublik Deutschland ein Heimreisezertifikat zu erlangen, seien erfolglos geblieben. Während seiner länger andauernden Strafhaft sei ein weiterer Versuch zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht einmal unternommen worden. Die Ausstellung eines solchen sei auch nicht zu erwarten. Dazu komme, dass er während seiner Strafhaft regelmäßig Ausgang gehabt habe und immer pünktlich in die Justizanstalt zurückgekehrt sei. Es sei daher - auch unter Berücksichtigung der Verbesserung der sozialen Integration - nicht davon auszugehen, dass er sich einem gelinderen Mittel entzogen hätte.
In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde - ohne einen Sachverhalt zum eben wiedergegebenen Vorbringen festzustellen - aus, die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 67d AVG entfallen können, weil eine "weitere Sachverhaltsklärung" nicht erforderlich gewesen sei bzw. keine Umstände hervorgetreten seien, die "durch eine weitere Hinterfragung" zu klären gewesen wären. Mit Blick auf die dargestellten Straftaten sowie das Aufenthaltsverbot ergäbe eine Gesamtabwägung sämtlicher Sachverhaltselemente unter Berücksichtigung des Rechtes des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit und des staatlichen Sicherungsinteresses ein deutliches Überwiegen des Letzteren. Die erwähnte Ehe sowie die neuerliche Schwangerschaft seiner Ehefrau sei auch unter Berücksichtigung der verbüßten Strafhaften nicht geeignet, das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers "aufzuwiegen". Dieses sei nämlich nicht nur durch nachhaltige Ausreiseunwilligkeit, sondern auch durch "immer wieder erfolgtes Untertauchen und Entziehen vor behördlichen Zugriffen" gekennzeichnet gewesen. Auch dass die Beschaffung eines Heimreisezertifikates unmöglich sei, stehe nicht fest. Aus einem Schreiben der liberianischen Botschaft vom 14. September 2006 folge vielmehr, dass die Erlangung eines Heimreisezertifikates "jedenfalls möglich" sei. Unter weiterer Berücksichtigung der Gewaltbereitschaft sowie von Kontakten zum kriminellen Milieu könne somit die Beurteilung der Fremdenpolizeibehörde, dass die Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 FPG erfüllt seien, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Die an die gerichtliche Strafhaft anschließende Schubhaft sei somit unter Abstandnahme von der Verfügung "des gelinderen Mittels" unabdingbar erforderlich, um für eine geordnete Abschiebung des Beschwerdeführers Sorge tragen zu können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat, was auch die belangte Behörde einräumt, in seiner bisherigen Rechtsprechung klargestellt, dass die fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen kann. Ist ein Fremder auf Grund mangelnder Ausreisewilligkeit nicht zeitgerecht ausgereist oder ist auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten, er werde seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, so erfüllt er die Voraussetzungen für die Durchführung einer Abschiebung nach § 46 Abs. 1 FPG. Damit steht aber noch nicht in jedem Fall ohne Weiteres fest, dass es auch der Verhängung der Schubhaft bedarf, um diese Abschiebung zu sichern. Vielmehr ist dann, wenn die behördliche Prüfung die Zulässigkeit der Abschiebung ergeben hat, in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob auch ein Sicherungsbedarf besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2006/21/0071, mwN).
Die Zulässigkeit von Schubhaft verlangt die Prüfung ihrer Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, zu deren Beurteilung eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen oder sie zumindest wesentlich erschweren. Die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls, die fallbezogen schon infolge des Vollzugs der erwähnten Freiheitsstrafen zuletzt unmöglich gewesen war, vermag somit für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0162, mwN). Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei Prüfung des Sicherungsbedarfs auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung der Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, mwN).
Entgegen der wiedergegebenen Argumentation in der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde hat diese jedoch kein konkretes Verhalten festgestellt, aus dem ein früherer Versuch des Beschwerdeführers, im Bundesgebiet unterzutauchen, schlüssig abgeleitet werden könnte. Dazu kommen - nach den Behauptungen des Beschwerdeführers, mit denen sich die belangte Behörde nicht ausreichend auseinander gesetzt hat, - nach der Setzung strafbarer Verhaltensweisen - die Geburt seines Sohnes am 17. Jänner 2008, die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin seit 30. Juni 2008, deren neuerliche Schwangerschaft sowie eine gesicherte Wohnmöglichkeit und die (zumindest teilweise) Abdeckung seines Unterhaltsbedarfs. Nach einer entsprechenden Beschäftigung mit diesen Behauptungen ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Beurteilung des Sicherungsbedarfs zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.
Schließlich ist auch kein Grund ersichtlich, der die Fremdenpolizeibehörde daran gehindert hätte, die - aktenkundig allein schon infolge der Lage der Botschaft Liberias in der Bundesrepublik Deutschland schwierige - Ausstellung eines Heimreisezertifikates nicht bereits während der bis zum 11. September 2009 andauernden Strafhaft des Beschwerdeführers (neuerlich) zu betreiben.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 23. September 2010
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