VwGH 2008/18/0427

VwGH2008/18/042722.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des ZM in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. März 2008, Zl. SD 1692/05, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §54 Abs1;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Der Beschwerdeführer sei erstmals am 5. Oktober 2003 mit einem von Deutschland ausgestellten Visum C, gültig vom 2. bis 16. Oktober 2003, in das Bundesgebiet gelangt und nach Ablauf des Visums unrechtmäßig in Österreich geblieben. Am 9. Dezember 2003 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Auf Grund eines Antrages sei ihm zunächst eine bis 11. Februar 2005 gültige Niederlassungsbewilligung erteilt worden.

Im Zuge des Verlängerungsverfahrens sei hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer seit 3. Jänner 2005 nicht mehr bei seiner Ehefrau gemeldet gewesen sei. Am 11. März 2005 sei diese vernommen worden und habe dabei angegeben, den Beschwerdeführer bereits seit 20 Jahren zu kennen und ihn vor fünf Jahren im Urlaub in seiner Heimat wieder getroffen zu haben. Dieser sei mit einem Touristenvisum, für das jedoch nicht sie, sondern ein Bekannter ihres Ehemannes gebürgt habe, nach Österreich gekommen. Bei der Eheschließung seien ihre Cousine und für den Beschwerdeführer ein guter Freund, den sie jedoch nicht namentlich nennen könne, Trauzeugen gewesen. Sie hätten ca. neun Monate zusammengelebt, danach sei der Beschwerdeführer ausgezogen und wohne derzeit in W 16; Näheres sei ihr nicht bekannt. Er arbeite bei einem Transportunternehmen, dessen Namen sie jedoch nicht nennen könne.

Im Rahmen der Berufung habe der Beschwerdeführer angegeben, er habe bis August 2004 gemeinsam mit seiner Gattin und seinen beiden Stieftöchtern in einer Wohnung in W 10 gelebt. Wegen der zwei ihnen gehörenden Hunde hätten sie jedoch ausziehen müssen und seien für kurze Zeit in eine andere Wohnung in W 10 gezogen. Diese Wohnung sei jedoch zu klein gewesen, weshalb neben den Hunden nur drei Personen erlaubt gewesen seien. Wegen seiner Nachtschichten sei es laufend zu Reibereien gekommen, daher sei er nach W 16 gezogen. "Laut Mietvertrag" sei die Familie am 1. August 2005 in eine Wohnung in W 10 zusammengezogen. Daneben habe er wegen der beiden halbwüchsigen Kinder weiterhin seine Wohnung in W 16 behalten. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau seien stets zusammen gewesen, aus den geschilderten Notwendigkeiten habe es lediglich "eine kurze Unterbrechung gegeben".

Am 13. Jänner 2006 sei die Ehe des Beschwerdeführers rechtskräftig geschieden worden.

Die Bundespolizeidirektion Wien (Erstbehörde) habe aus folgenden Gründen zu Recht festgestellt, dass der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsehe eingegangen sei:

Es erscheine bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer am 5. Oktober 2003 mit einem deutschen Reisevisum nach Österreich eingereist sei, weil er einerseits dem Reisebzw. Aufenthaltszweck dieses beantragten Visums in keiner Weise gerecht geworden sei (es sei nicht aktenkundig, dass er jemals in Deutschland gewesen sei), andererseits wäre wohl zu erwarten, dass sich ein Fremder, der in Österreich die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin beabsichtige, um ein österreichisches Visum bemühe, dem die Einreise zur bzw. der Verbleib bei der späteren Ehefrau zugrunde liege. Dies auch deshalb, weil nach der Aktenlage bereits am 23. Oktober 2003, somit zwei Wochen nach der Einreise des Beschwerdeführers, am Standesamt das Aufgebot bestellt worden sei.

Die Aussagen der Ehepartner über den Verlauf des angeblichen Zusammenlebens widersprächen sich. So gebe die Ehefrau an, das Ehepaar habe nach der Eheschließung ca. neun Monate (somit bis etwa August/September 2004) zusammengelebt, danach sei der Beschwerdeführer ausgezogen. Der Beschwerdeführer habe hingegen angegeben, noch Ende September 2004 mit seiner Ehefrau in deren neue Wohnung in W 10 gezogen zu sein (wo er bis 24. November 2004 auch gemeldet gewesen sei). Dass er dort wieder ausziehen habe müssen, weil die Wohnung zu klein gewesen sei und "wegen der Hunde" nur drei Personen (die Ehefrau und deren beiden Töchter) erlaubt gewesen seien, vermöge nicht zu überzeugen. Auch wenn eine Familie eine zu kleine Wohnung nehme, sei es mit der täglichen Lebenserfahrung nicht in Übereinstimmung zu bringen, dass dann der "frisch gebackene Ehemann" die Ehewohnung verlasse, statt dass der Besitzstand an Hunden verringert werde. Bezeichnend erscheine weiter, dass die Ehefrau bei ihrer Vernehmung weder die Anschrift der Wohnung des Beschwerdeführers noch dessen Arbeitgeber habe nennen können. Dies sei weder nachvollziehbar noch scheine es mit den an eine herkömmliche Ehe anzulegenden Maßstäben vereinbar. Gleiches gelte für die Behauptung, der Beschwerdeführer habe wegen der beiden "halbwüchsigen Kinder" seine Wohnung in W 16 beibehalten. Zum Zeitpunkt der Berufungseinbringung seien die "halbwüchsigen Kinder" nämlich 22 und 16 Jahre alt gewesen.

Letztlich erscheine auch bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer am 14. September 2005 seine Ehe noch als vollständig aufrecht darzustellen versucht habe, und diese Ehe dann mit Urteil vom 19. Dezember 2005, somit gerade drei Monate später, geschieden worden sei.

Aufgrund aller dargestellten Umstände sei die belangte Behörde zu der Überzeugung gelangt, dass sowohl ein gemeinsamer Wohnsitz als auch ein Ehe- und Familienleben lediglich vorgetäuscht worden seien. Es sei daher als erwiesen anzusehen, dass der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsehe eingegangen sei, um einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet zu erwirken. Eine Aufenthaltsehe sei zum damaligen Zeitpunkt nämlich die einzige Möglichkeit für den Beschwerdeführer gewesen, eine Niederlassungsbewilligung für Österreich zu erwirken. Ein solches Verhalten sei mit einem geordneten Fremdenwesen jedoch unvereinbar und stelle einen Versagungsgrund dar, der den zuletzt erteilten Aufenthaltstitel sowohl nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 - FrG als auch nach der gültigen Rechtslage entgegengestanden wäre. Die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung seien daher im Grunde des § 54 Abs. 1 FPG gegeben.

Im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die Ausweisung dringend geboten und zulässig im Sinne dieser Bestimmung sei, weil der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt und den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt nur durch genanntes Fehlverhalten habe erwirken können. Seine Integration werde durch die bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens auf Grund des Eingehens einer Aufenthaltsehe wesentlich gemindert. Die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als das in seinem Fehlverhalten begründete hohe öffentliche Interesse an seinem Verlassen des Bundesgebietes.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Abgabe einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 54 Abs. 1 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegen gestanden wäre (Z. 1), oder wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegen steht (Z. 2). Gemäß § 11 Abs. 1 Z. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Aufenthaltsehe oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2 NAG) vorliegt.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Feststellungen der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe und bringt dazu vor, die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mittels eines deutschen Touristenvisums eingereist sei und die Ehepartner geringfügig abweichende Angaben darüber gemacht hätten, bis zu welchem Zeitpunkt (laut Beschwerdeführer bis September 2004, laut Ehefrau bis August/September 2004) das Ehepaar in einer gemeinsamen Wohnung gewohnt habe, habe nichts mit der Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu tun. Der Beschwerdeführer habe bereits in der Berufung dargelegt, aus welchem Grund er aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei, was jedoch am Bestehen eines Ehelebens nichts geändert habe. Die räumliche Trennung hätte das Ehepaar immer nur als vorübergehend angesehen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, inwieweit die mangelhafte Benennung einer Adresse oder eines Arbeitgebers oder auch die zeitweilige räumliche Trennung zwangsläufig darauf schließen lasse, dass kein Eheleben geführt werde, obwohl beide Ehepartner dieses bezeugten.

Dieses Beschwerdevorbringen ist im Ergebnis zielführend.

Bereits in der Berufung brachte der Beschwerdeführer u. a. vor, er habe zwischen Dezember 2003 und August 2004 mit seiner Ehefrau, den zwei Stieftöchtern und zwei Hunden zusammengelebt. Nachdem die Familie hätte ausziehen müssen, sei die daraufhin bezogene Wohnung für vier Personen und zwei Hunde zu klein gewesen; außerdem sei es wegen seiner Nachtschichten ständig zu "Reibereien" gekommen. Seit 1. August 2005 lebe die Familie wieder zusammen (was durch Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, wonach der Beschwerdeführer mit Nebenwohnsitz an der gleichen Adresse wie seine Ehefrau gemeldet ist, untermauert wurde). "Aus diesem Grunde war lediglich eine kurze Unterbrechung aus den geschilderten Notwendigkeiten, waren aber stets zusammen."

Auf das Vorbringen, die Familie habe ab 1. August 2005 wieder zusammen gelebt, ist die belangte Behörde überhaupt nicht eingegangen. Trifft es jedoch zu, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau nach anfänglichem Zusammenleben und zwischenzeitlich getrennten Wohnsitzen, deren Notwendigkeit in der Berufung begründet wurde, wieder im gemeinsamen Haushalt lebte, durfte die belangte Behörde das Vorliegen eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nicht ohne Weiteres verneinen. Auch aus dem Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes allein darf nicht geschlossen werden, dass ein Familienleben jedenfalls nicht vorliegt; der Begriff des in Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens umfasst nämlich das Verhältnis zwischen Ehepartnern, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie tatsächlich zusammenleben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. April 2010, Zl. 2009/22/0051, mwN). Der dargestellte Widerspruch hinsichtlich des Zeitpunktes, ab wann der gemeinsame Wohnsitz vorübergehend aufgelassen wurde, ist jedenfalls nicht dergestalt, dass er zwingend gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau spricht. Die weiteren Indizien, dass der Beschwerdeführer mit einem deutschen Visum eingereist ist und die Ehefrau weder die Wohnadresse noch das Unternehmen, bei dem ihr Ehemann beschäftigt ist, nennen konnte, sind zwar bedeutsame Umstände, vermögen jedoch die Beweiswürdigung der belangten Behörde insgesamt vor dem Hintergrund des oben Gesagten nicht als schlüssig darzustellen.

Der angefochtene Bescheid war somit bereits deshalb - ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 22. September 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte