VwGH 2006/21/0071

VwGH2006/21/007120.11.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 3. März 2006, Zl. UVS-01/41/1970/2006- 4, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §46 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem indischen Staatsangehörigen, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG kostenpflichtig als unbegründet ab und stellte gleichzeitig fest, dass im Zeitpunkt ihrer Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer, der seit 17. Februar 2006 in Schubhaft angehalten werde, sei am 5. Februar 2003 unrechtmäßig in Österreich eingereist. Am selben Tag sei gegen ihn ein durchsetzbares und mittlerweile rechtskräftiges Aufenthaltsverbot mit Gültigkeit bis 4. Februar 2008 erlassen worden. Das Asylverfahren des Beschwerdeführers sei (infolge Berufungszurückziehung) seit 29. November 2005 rechtskräftig abgeschlossen. Am 30. November 2005 habe der Beschwerdeführer, der am 17. November 2005 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hätte, einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht. Seine Ehefrau lebe in Deutschland und beziehe dort Sozialhilfe. Der Beschwerdeführer beabsichtige, zu ihr nach Deutschland zu ziehen. Dort bestehe allerdings gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, welches bis 25. Mai 2008 gültig sei. In der Wohnung in W lebe der Beschwerdeführer alleine, die Gattin sei dort lediglich mit Nebenwohnsitz gemeldet. Die Bundespolizeidirektion Wien plane die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Slowakei. Die slowakischen Behörden hätten die Übernahme des Beschwerdeführers zugesichert, wobei der diesbezügliche Termin auf 8. März 2006 verschoben worden sei. Im Zuge einer am 3. März 2006 versuchten Abschiebung habe sich der Beschwerdeführer selbst verletzt. Darüber hinaus befinde er sich seit 2. März 2006 in Hungerstreik. Dennoch liege nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten Haft- und Abschiebefähigkeit vor.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer in jenen Staat, in den er sich begeben wolle (Deutschland), infolge eines gegen ihn dort bestehenden Aufenthaltsverbotes nicht einreisen könne. Er sei zwar in Österreich an seiner Wohnadresse gemeldet, er arbeite hier aber auch "in verschiedener Weise" - er sei im Zuge seiner Tätigkeit als Kellner aufgegriffen worden - und zeige damit, dass er "dem Aufenthaltsverbot nicht nachkommen möchte". Auch der während der Anhaltung in Haft begonnene Hungerstreik und "die Widersetzung gegen die Abschiebung" würden darauf schließen lassen, er werde seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nicht nachkommen. Die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen indiziere "ebenfalls weder automatisch den Wegfall des Aufenthaltsverbotes noch damit eine Aufenthaltsberechtigung". Die Durchführung der Abschiebung sei von der Behörde betrieben worden und rechtlich möglich und durchführbar. Ein "zeitnaher Termin" sei ursprünglich in Aussicht gestellt worden. Auch der Hungerstreik sowie die versuchte Selbstverletzung stünden der Fortsetzung der Schubhaft nicht entgegen, weil Haft- und Abschiebefähigkeit vorliege.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde, die (u.a.) damit argumentiert, die Schubhaft sei zur Zweckerreichung nicht notwendig gewesen, ist berechtigt.

Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits klargestellt, dass die fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246, mH auf das grundlegend zum Fremdengesetz 1997 ergangene, aber auch für die gleichgelagerte Rechtslage nach dem FPG maßgebliche hg. Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301).

Ist ein Fremder auf Grund mangelnder Ausreisewilligkeit nicht zeitgerecht ausgereist oder ist auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten, er werde seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, so erfüllt er - im Falle der Existenz eines durchsetzbaren Aufenthaltsverbotes oder einer durchsetzbaren Ausweisung - die Voraussetzungen für die Durchführung einer Abschiebung nach § 46 Abs. 1 Z 2 bzw. Z 3 FPG. Damit steht aber noch nicht in jeden Fall ohne Weiteres fest, dass es auch der Verhängung der Schubhaft bedarf, um diese Abschiebung zu sichern. Vielmehr ist dann, wenn die behördliche Prüfung die Zulässigkeit der Abschiebung ergeben hat, in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob auch ein Sicherungsbedarf besteht. Das Sicherungserfordernis muss daher in weiteren Umständen begründet sein, wofür etwa mangelnde berufliche oder soziale Verankerung im Inland in Betracht kommt. Nur dann, wenn weitere derartige Umstände, die das Sicherungsbedürfnis zu tragen vermögen, vorhanden sind, kann die Befürchtung, es bestehe das Risiko des "Untertauchens", als schlüssig angesehen werden (vgl. zum Ganzen neuerlich die bereits erwähnten hg. Erkenntnisse vom 8. September 2005 und 28. Mai 2008).

Im gegenständlichen Fall bejahte die belangte Behörde den Sicherungsbedarf deswegen, weil der Beschwerdeführer bis zur Verhängung der Schubhaft seiner - infolge des (damals gültigen) Aufenthaltsverbotes bestehenden - Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachgekommen sei und die von der belangten Behörde angeführten Umstände darauf hindeuten würden, dass er dieser auch hinkünftig nicht nachkommen werde. Nach dem Vorgesagten vermochte dies allerdings die Annahme eines Sicherungsbedarfes nicht in gesetzmäßiger Weise zu begründen. Vielmehr ergibt sich aus den Feststellungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei an seiner Wohnadresse aufrecht gemeldet und gehe einer beruflichen Tätigkeit als Kellner nach, bei der er auch "aufgegriffen" worden sei, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthaltsort bislang nicht verheimlichte und er eine solche berufliche und soziale Verfestigung im Inland aufweist, die die Annahme, er werde "untertauchen", als wenig wahrscheinlich erscheinen lässt. In diesem Zusammenhang durfte die belangte Behörde auch nicht außer Acht lassen, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen bemüht ist, seine legale Einreise nach Deutschland zu bewerkstelligen, was ebenfalls nicht darauf hindeutet, er wolle hinkünftig seinen unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich im Verborgenen fortsetzen und so die Durchsetzung seiner Ausreiseverpflichtung vereiteln.

Da die belangte Behörde den Sicherungsbedarf demgegenüber lediglich mit der fehlenden Ausreisewilligkeit des Beschwerdeführers begründete, verkannte sie die Rechtslage. Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. November 2008

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