VwGH 2008/22/0111

VwGH2008/22/01116.7.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der K, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Oktober 2007, Zl. 316.832/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §8 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §8 Abs2 Z4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe ihren Antrag mit der Familienzusammenführung mit ihrem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehemann begründet. Für ein Ehepaar, das im gemeinsamen Haushalt lebe, seien an Unterhaltsmittel nach dem Richtsatz des § 293 ASVG EUR 1.091,40 erforderlich. Erkennbar bezugnehmend auf die Feststellungen der erstinstanzlichen Behörde, wonach der Ehemann der Beschwerdeführerin lediglich über ein Einkommen von EUR 404,24 aus der Notstandshilfe verfüge, führte die belangte Behörde weiter aus, auf Grund der im Berufungsverfahren erfolgten Überprüfung sei festzustellen, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin auch weiterhin nur Notstandshilfe bezogen habe. Das Einkommen der Schwiegermutter der Beschwerdeführerin könne hingegen zu jenem des Ehemannes nicht hinzugerechnet werden. Da die Unterhaltsmittel der Beschwerdeführerin nicht gedeckt seien, sei es wahrscheinlich, dass ihr Aufenthalt in Österreich zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe.

Zu § 11 Abs. 3 NAG führte die belangte Behörde aus, einer "Ausländerfamilie" stehe nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zu. Art. 8 EMRK umfasse nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben. Auch beinhalte Art. 8 EMRK nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Es bestehe "nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens". Jeder Vertragsstaat habe das Recht, die Einreise von "Nichtstaatsangehörigen" einer Kontrolle zu unterwerfen.

Ein Recht auf Aufenthalt - so die belangte Behörde abschließend - nach gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen könne die Beschwerdeführerin nicht geltend machen, weil nicht ersichtlich sei, dass ihr Ehemann das ihm zustehende Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, sie könne aus der Richtlinie 2004/38/EG Rechte geltend machen, weil dafür der Umstand, dass ihr Ehemann die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, hinreichend sei, und in diesem Zusammenhang auch die Unzuständigkeit der belangten Behörde einwendet, ist sie auf das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2010, 2008/22/0202, hinzuweisen, in dem der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verweisen wird, dargelegt hat, dass diese Ansicht nicht zutrifft und ein einen Aufenthaltstitel versagender Bescheid kein "civil right" im Sinn des Art. 6 EMRK berührt. Ebenso hat der Gerichtshof in diesem Erkenntnis näher dargelegt, weshalb den im gegebenen Zusammenhang geäußerten gleichheitsrechtlichen Bedenken letztlich nicht gefolgt werden kann.

Dass die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag unter dem Blickwinkel des § 47 Abs. 2 NAG einer Beurteilung unterzogen hat, begegnet sohin keinem Einwand, zumal die Beschwerdeführerin auch ausdrücklich einen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gerichteten Antrag gestellt hat.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie selbst über kein Einkommen und ihr Ehemann lediglich über ein solches von monatlich etwa EUR 405,-- aus der Notstandshilfe verfügt. Zutreffend erkannte die belangte Behörde, dass es, um den Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes sicherzustellen, erforderlich wäre, dass das Haushaltseinkommen das Ausmaß des in § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 532/2006) enthaltenen Richtsatzes von EUR 1.091,14 hätte betragen müssen. Ein Einkommen in dieser Höhe wird aber unstrittig von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann nicht erwirtschaftet, woran auch die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zusätzlich geltend gemachten EUR 60,--, die der Ehemann auf Grund seiner Tätigkeit bei der Organisation "J" als "Taschengeld" erhalte, nichts ändert.

Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, sie werde, sobald sie über einen Aufenthaltstitel verfüge, in Österreich eine Beschäftigung aufnehmen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Fremder initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass der Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint, wobei insoweit auch die Verpflichtung besteht, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat, und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, 2010/21/0109, mwN).

In diesem Zusammenhang ist der Beschwerdeführerin zwar einzuräumen, dass der von ihr angestrebte Aufenthaltstitel nach § 8 Abs. 1 Z 2 NAG grundsätzlich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht ausschließt und ihr im Falle der Ausstellung des begehrten Aufenthaltstitels auch die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit im Hinblick auf § 1 Abs. 2 lit. m Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht versagt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. April 2010, 2008/22/0422).

Der oben erwähnten Pflicht ist die Beschwerdeführerin allerdings dennoch nicht nachgekommen. Sie hätte nämlich vorbringen und nachweisen müssen, dass im Fall der Erteilung des von ihr begehrten Aufenthaltstitels hinreichend konkrete Aussicht bestünde, einer näher konkretisierten Erwerbstätigkeit (in erlaubter Weise) nachgehen zu können und damit das nach § 11 Abs. 5 NAG (in der Fassung des BGBl. I Nr. 157/2005) notwendige Ausmaß an Einkommen zu erwirtschaften. Die bloße Absichtserklärung, im Fall der Erteilung des Aufenthaltstitels einer Arbeit nachgehen zu wollen, wird diesen Anforderungen nicht gerecht (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 29. April 2010, mwN).

Wenn die Beschwerdeführerin noch vorbringt, es wäre auch das Einkommen ihrer Schwiegermutter, die eine Haftungserklärung abgegeben habe, zu berücksichtigen gewesen, so wird insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 15. Juni 2010, 2010/22/0060, dem ein gleich gelagerter Fall zugrunde lag, verwiesen. Aus den dort genannten Gründen kann auch im vorliegenden Fall das Einkommen der Schwiegermutter der Beschwerdeführerin nicht herangezogen werden, wobei daran auch nichts ändert, dass hier eine Haftungserklärung der Schwiegermutter vorliegt. Gemäß § 11 Abs. 6 NAG muss nämlich die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 NAG mit einer Haftungserklärung erbringen zu können, ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein (vgl. des Näheren zur Frage, wann vertragliche Unterhaltsansprüche als Unterhaltsmittel in Betracht kommen können, das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, 2009/22/0241). Derartiges ist jedoch für Aufenthaltstitel nach § 47 Abs. 2 NAG im Gesetz nicht vorgesehen. Die Möglichkeit, die geforderten Unterhaltsmittel durch vertragliche Unterhaltsansprüche nachzuweisen, ist sohin der Beschwerdeführerin hier nicht eingeräumt.

Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, mangels Vorliegens eines Einkommens im Sinn des § 11 Abs. 5 NAG sei die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht erfüllt.

Der Beschwerde ist allerdings dennoch Erfolg beschieden.

Zutreffend erkannte die belangte Behörde, dass sie die nach § 11 Abs. 3 NAG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) vorgesehene Interessenabwägung vorzunehmen hatte. Ihr ist aber vorzuwerfen, dass sie lediglich allgemein und ohne konkrete Bezugnahme auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles einzelne Rechtssätze aus der Judikatur des EGMR wiedergab. Dabei verkannte sie die Rechtslage insofern, als sie davon ausging, es bestehe auf Grund des Art. 8 EMRK keine Verpflichtung, eine Familienzusammenführung im Bundesgebiet, zuzulassen. Infolge dessen traf sie überhaupt keine Feststellungen, die eine Beurteilung im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG ermöglicht hätten, obwohl die Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht hatte, die Führung des Familienlebens sei ihrem in Österreich geborenen und über die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehemann in Serbien keinesfalls zumutbar. Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren Urkunden vorlegte, aus denen hervorgeht, dass ihr Ehemann auf Grund einer Behinderung im Rahmen einer "Beschäftigungstherapie" von der Institution "J" betreut werde. Dem Umstand, dass es deswegen (unter Einbeziehung der Verwurzelung des Ehemannes in Österreich) nicht möglich sei, das gemeinsame Familienleben im Heimatland der Beschwerdeführerin zu führen, kommt allerdings im Rahmen der Interessenabwägung Bedeutung zu, weshalb die belangte Behörde das diesbezügliche Vorbringen nicht hätte übergehen dürfen.

Sohin war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 6. Juli 2010

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