VwGH 2008/21/0657

VwGH2008/21/065727.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der T, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 7. August 2008, Zl. Senat-FR-08-1044, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
FrPolG 2005 §83;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
FrPolG 2005 §83;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit die zugrundeliegende Administrativbeschwerde auch hinsichtlich der Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft nach dem 24. Jänner 2008 zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine aus Tschetschenien stammende russische Staatsangehörige, hatte ihr Heimatland im Jahr 2002 verlassen und kam nach einem längeren Zwischenaufenthalt in Moskau letztlich Ende Dezember 2002 in die Schweiz, wo über ihr dort gestelltes Asylbegehren negativ entschieden wurde.

Um einer Abschiebung nach Russland zu entgehen, reiste die Beschwerdeführerin im Dezember 2007 nach Österreich, wo sie am 27. Dezember 2007 in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz einbrachte. Ihr wurde mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 7. Jänner 2008 gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 die beabsichtigte Zurückweisung dieses Antrages - wegen in der Schweiz gegebener "Drittstaatsicherheit" - mitgeteilt, was gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gilt.

Mit dem (am selben Tag in Vollzug gesetzten) Bescheid vom 7. Jänner 2008 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 (gemeint: Z 2) des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG die Schubhaft zur Verfahrenssicherung an.

Eine - gegen die Festnahme, die Schubhaftverhängung und die Anhaltung - am 16. Jänner 2008 erhobene Schubhaftbeschwerde wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich mit Bescheid vom 23. Jänner 2008 als unbegründet ab; unter einem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft vorlägen. Dieser Bescheid wurde der Bezirkshauptmannschaft Baden am 24. Jänner 2008 zugestellt.

Mit (durchsetzbarem) Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Jänner 2008 war der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 4 AsylG 2005 wegen "Drittstaatsicherheit" in der Schweiz zurückgewiesen und die Beschwerdeführerin dorthin ausgewiesen worden. Eine dagegen eingebrachte Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit einem am 12. Februar 2008 erlassenen Bescheid ab. Hierauf wurde die Beschwerdeführerin am 22. Februar 2008 (um 14.00 Uhr) in die Schweiz abgeschoben.

Bereits davor, nämlich am 21. Februar 2008, hatte die Beschwerdeführerin beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (der belangten Behörde) per Telefax neuerlich eine Schubhaftbeschwerde eingebracht, mit der sie beantragte, die Anordnung der Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft Baden und ihre Anhaltung in Schubhaft seit dem 7. Jänner 2008 für rechtswidrig zu erklären.

Diese Schubhaftbeschwerde wies die belangte Behörde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 7. August 2008 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, in der verfahrensgegenständlichen Schubhaftsache liege mit dem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 23. Jänner 2008 bereits eine rechtskräftige Entscheidung "über den Antrag auf Aufhebung des Schubhaftbescheides und zur Beschwerde über die Festnahme und die Anhaltung in Schubhaft" vor, die bei unverändertem Sachverhalt das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache bewirke. Das Parteibegehren in der Beschwerde vom 16. Jänner 2008 decke sich mit jenem in der vorliegenden, (nur) ausführlicher begründeten Schubhaftbeschwerde vom 21. Februar 2008. Seit der Entscheidung vom 23. Jänner 2008 habe sich keine wesentliche Änderung im Sachverhalt ergeben bzw. seien in den für die Entscheidung maßgeblichen Umständen keine Änderungen eingetreten, wobei diese Auffassung im angefochtenen Bescheid näher begründet wurde.

Die belangte Behörde dürfe aufgrund einer mehrmaliger Erhebung der Beschwerde eines Schubhäftlings während seiner Anhaltung jedenfalls dann eine "entschiedene Sache" annehmen, wenn sich die Beschwerde auf einen Zeitraum beziehe, über den er bereits durch einen Bescheid abgesprochen habe (Hinweis auf VwGH vom 21.11.2006, Zl. 2005/21/0260, zu den §§ 72, 73 FrG 1997). Der Unabhängige Verwaltungssenat habe jedoch dann, wenn die Anhaltung noch andauere, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen noch vorlägen. Änderten sich diese Voraussetzungen seit dem letzten Abspruch nicht, so sei jedenfalls - wie dies § 68 Abs. 1 AVG vorsehe - vom Vorliegen einer "entschiedenen Sache" auszugehen und eine neuerliche Schubhaftbeschwerde zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Zur mehrmaligen Erhebung von Schubhaftbeschwerden nach § 83 FPG hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 2001,

B 515/00 u.a., VfSlg. 16.079, ausgesprochen, dass nur dann von entschiedener Sache ausgegangen werden kann, wenn sich die spätere Beschwerde auf einen Zeitraum bezieht, über den bereits durch einen Bescheid abgesprochen wurde (siehe aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 24. November 2009, Zl. 2009/21/0192, mwN; vgl. auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0319).

2. Das trifft hier nur insoweit zu, als mit der (zweiten) Schubhaftbeschwerde auch die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung im Zeitraum vom 7. Jänner 2008 bis 24. Jänner 2008 bekämpft wurde. In diesem Umfang ist die belangte Behörde somit zutreffend von entschiedener Sache ausgegangen. Diesbezüglich erfolgte die Zurückweisung der (zweiten) Schubhaftbeschwerde daher zu Recht, sodass die vorliegende Beschwerde insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

3. Hinsichtlich der Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft in der Zeit nach der Erlassung des über die erste Schubhaftbeschwerde absprechenden Bescheides am 24. Jänner 2008 bis zu deren Beendigung mit der Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Schweiz am 22. Februar 2008 liegt jedoch keine entschiedene Sache vor, weil dieser Zeitraum von dem genannten Bescheid der belangten Behörde vom 23. Jänner 2008 noch nicht erfasst wurde. Dazu ist klarzustellen, dass der - (nur) einen neuen Titelbescheid darstellende - Ausspruch des unabhängigen Verwaltungssenates nach § 83 Abs. 4 FPG, dass "zum Zeitpunkt seiner Entscheidung" die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, im Verhältnis zu einer sich auf den danach liegenden Zeitraum beziehenden Schubhaftbeschwerde nicht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache begründet (siehe zu derartigen Konstellationen das genannte, der dargestellten Judikatur zugrundeliegende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 16.079 sowie das auch von der belangten Behörde zitierte zum FRG 1997 ergangene Erkenntnis vom 21. November 2006, Zlen. 2005/21/0260 u.a.; vgl. beispielsweise auch die bereits erwähnten hg. Erkenntnisse Zl. 2009/21/0192 und Zl. 2009/21/0319).

Da die belangte Behörde ungeachtet dessen eine inhaltliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Schubhaft für den erwähnten Zeitraum verweigerte, belastete sie den angefochtenen Bescheid insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. Jänner 2010

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