Normen
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs3 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs3 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge des 1979 geborenen Erstbeschwerdeführers sowie des 1981 geborenen Zweitbeschwerdeführers, seines Bruders, jeweils Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 11 Abs. 2 Z. 2 und 4 sowie Abs. 5 und § 47 Abs. 3 Z. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde - im Wesentlich gleichlautend - aus, die Beschwerdeführer strebten mit ihren am
25. bzw. 26. Juni 2007 im Weg der Österreichischen Botschaft Sarajewo gestellten Anträgen die Familienzusammenführung mit ihrem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Vater (als "sonstige Angehörige" iSd § 47 Abs. 3 Z. 3 NAG) an. Allerdings sei nicht ersichtlich, dass sie - wie von dieser Gesetzesstelle verlangt - von ihrem Vater im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen hätten oder mit diesem dort in häuslicher Gemeinschaft gelebt und Unterhalt bezogen hätten. Zwar hätten sie eine Kopie des Reisepasses ihres Vaters zum Beweis vorgelegt, dass dieser bei Besuchen Unterhalt an sie gezahlt habe. Auch hätten zwei Busfahrer bestätigt, in den letzten zehn Jahren entsprechende Geldmittel an die Beschwerdeführer übergeben zu haben. Diese Behauptungen seien jedoch nicht "mit entsprechenden Beweisen (z.B. Kontobewegungen)" unterlegt worden. Eine Banküberweisung sei erst "mit Datum vom 11.09.2007 vorgelegt" worden.
Der Vater der Beschwerdeführer habe als Zusammenführender zwar eine Haftungserklärung abgegeben, die sich ausgehend von einem "monatlichen Nettoeinkommen von EUR 2.045,87" unter Berücksichtigung der Sorgepflicht für einen weiteren mit ihm im Haushalt lebenden vierjährigen Sohn jedoch als nicht tragfähig erweise. Für die Leistungsfähigkeit sei auf das pfändungsfreie Existenzminimum (§ 291a EO) des Vaters abzustellen, sodass sich dieser nur in einem EUR 1.338,60 monatlich übersteigenden Ausmaß (von rund EUR 707,27 monatlich) für die beiden Beschwerdeführer verpflichten könne. Einkünfte seiner Ehefrau und Mutter der Beschwerdeführer, ebenfalls einer österreichischen Staatsbürgerin, seien nicht zu berücksichtigen, weil der angestrebte Aufenthaltstitel nur von einer Person abgeleitet werden könne. Dafür komme zwar auch die Mutter der Beschwerdeführer (als österreichische Staatsbürgerin) in Betracht, deren Einkünfte (aktuell Arbeitslosengeld) jedoch geringer als die ihres Vaters seien, weshalb auch sie alleine nicht für den Unterhalt aufkommen könne.
Betreffend die vorgelegte Kopie eines am 31. Juli 2007 eröffneten Kapitalsparbuches, in dem ein Einmalerlag von EUR 28.500,-- festgehalten sei, sei die Verfügungsberechtigung der Beschwerdeführer nicht ersichtlich. Außerdem seien den vorgelegten Unterlagen keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Geldbetrag tatsächlich zur Bestreitung des Unterhalts zur Verfügung stehe. Ein weiteres Sparbuch mit einem Guthabensstand von EUR 22.000,-- sei "auf den Vater" der Beschwerdeführer als Zusammenführenden "identifiziert". Allerdings erfordere eine Unterhaltsleistung das Element der Regelmäßigkeit über einen längeren Zeitraum, was aus der entsprechenden Bankbestätigung nicht hervorgehe. Bei beiden Sparbüchern handle es sich "weder um feste noch regelmäßige Einkünfte". Insgesamt sei somit nicht von einem Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel auszugehen, sodass es sehr wahrscheinlich sei, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne.
Als Nachweis eines Rechtsanspruchs auf eine Unterkunft, die für eine vergleichbare Familie als ortsüblich angesehen werden könne, sei ein Mietvertrag über eine 53 m2 große Wohnung in Feldkirch vorgelegt worden. Dazu werde festgehalten, dass diese Wohnung keinesfalls den ortsüblichen Mindesterfordernissen für eine fünfköpfige Familie entspreche, sodass auch die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z. 2 NAG nicht vorlägen.
Weiters stellte die belangte Behörde fest, dass durch den Aufenthalt der Familie der Beschwerdeführer im Bundesgebiet familiäre Bindungen in Österreich bestünden. Da es sich jedoch um Erstanträge handle und weil mangels Aufenthaltsrechtes für Österreich noch kein Privat- oder Familienleben geführt werde, könne nicht von der Aufrechterhaltung eines solchen gesprochen werden. Einer Ausländerfamilie stehe nach Art. 8 EMRK nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zu. Zwar könne gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 bis 6 NAG erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten sei. Im Zuge der dadurch erforderlichen Interessenabwägung habe die belangte Behörde "festgestellt", dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten absolute Priorität eingeräumt werden müsse. Mangels gesicherten Lebensunterhalts müssten die Sozialhilfeträger nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit Geldmittel zur Verfügung stellen, was nicht im Sinn des Gesetzes liege.
Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass unter Berücksichtigung des Zeitpunktes der Bescheiderlassung die Rechtslage des NAG idF der Novelle BGBl. I Nr. 99/2006 maßgeblich ist.
Der belangten Behörde ist grundsätzlich darin beizupflichten, dass die Beschwerdeführer Aufenthaltstitel nach § 47 Abs. 3 Z. 3 NAG anstreben. Ein solcher erfordert gemäß lit. a dieser Bestimmung, dass die Angehörigen des österreichischen Staatsbürgers (als Zusammenführenden) von ihm bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2009, Zl. 2009/22/0131). Die entsprechende Unterhaltszahlungen verneinende Feststellung der belangten Behörde wurde jedoch nicht mängelfrei getroffen:
Zunächst haben zwei namentlich bezeichnete Personen bestätigt, im Zug ihrer Tätigkeit als Busfahrer während der letzten zehn Jahre den Beschwerdeführern entsprechende Geldmittel von ihrem Vater überbracht zu haben. Weiters hielt die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch in einem Aktenvermerk vom 3. August 2007 u.a. Folgendes fest:
"Unerhaltszahlungen: Durch Kollegen, Familienmitglieder, welche ins Heimatland fahren - keine Überweisungen durch Bank (das kommt zu teuer). Fährt selber 5 - 6 x im Jahr ins Heimatland, übergibt dann das Geld direkt."
Die angefochtenen Bescheide enthalten insoweit keine (schlüssige) Begründung, auf Grund welcher Überlegungen diese Beweisergebnisse als unrichtig angesehen werden müssten und ihnen somit nicht gefolgt werden könnte. Für die Forderung kontinuierlicher Banküberweisungen (wie am 11. September 2007) fehlt dagegen jede gesetzliche Grundlage.
Was die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG anlangt, hat die belangte Behörde zunächst verkannt, dass sie hinsichtlich der Deckung des Bedarfs für den Vater der Beschwerdeführer, für seine mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebende Ehefrau sowie den weiteren im Jahr 2001 geborenen Sohn auf den Ausgleichszulagenrichtsatz abzustellen gehabt hätte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2008/21/0012).
Demnach wäre in Bezug auf den Bedarf des Vaters der Beschwerdeführer und seiner Ehefrau vom Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG auszugehen gewesen. Dieser hatte nach der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 532/2006 bei Erlassung der angefochtenen Bescheide EUR 1.091,14 betragen. Unter Berücksichtigung der Unterhaltspflicht für ein minderjähriges Kind erhöht sich dieser Betrag nach § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG um EUR 76,09 auf EUR 1.167,23. Zur Deckung des Lebensbedarfs jedes der Beschwerdeführer selbst hätte - insoweit ist die belangte Behörde im Recht - ein dem Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG entsprechender Betrag von (damals) EUR 726,-- zur Verfügung stehen müssen. Auf Basis der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage hätte damit zur Aufbringung der notwendigen Mittel ein monatliches Einkommen des Vaters der Beschwerdeführer von EUR 2.619,23 ausgereicht. Auf dieses allein abzustellen, träfe jedoch nur für den Fall der Einkommenslosigkeit seiner Ehefrau (und Mutter der Beschwerdeführer) zu.
Unrichtig ist nämlich generell die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, allfälliges Einkommen der Mutter der Beschwerdeführer (und Ehefrau des Zusammenführenden) wäre in keinem Fall zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0637, mwN).
Weiters kommt der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - auch durch Spareinlagen in Betracht. Die beantragten Aufenthaltstitel wären gemäß § 20 Abs. 1 NAG für die Dauer von zwölf Monaten auszustellen. Selbst unter Vernachlässigung der vorstehenden Ausführungen wäre somit die Differenz zwischen dem festgestellten monatlichen Nettoeinkommen des Zusammenführenden (EUR 2.045,87) und dem Gesamtbedarf (EUR 2.619,23) allein durch das legitimierte Sparbuch mit einem Guthabensstand von EUR 22.000,-- bei weitem gedeckt. Somit hätte die belangte Behörde bereits davon ausgehend das Vorliegen ausreichender Unterhaltsmittel nicht verneinen dürfen (vgl. dazu zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2008/21/0012, mwN). Auf weitere Sparguthaben sowie die geäußerte Absicht, im Fall des Nachzuges der Beschwerdeführer nach Österreich ein in Bosnien gelegenes Haus zu verkaufen, musste somit nicht inhaltlich eingegangen werden. Schließlich ist festzuhalten, dass im Grunde der genannten Bestimmungen nicht deshalb beide Anträge abgewiesen werden dürfen, weil die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel des Vaters zwar für einen, nicht jedoch für beide Beschwerdeführer gemeinsam ausreichen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, Zlen. 2007/21/0445 und 0449).
Bezüglich des von der belangten Behörde angenommenen Nichtausreichens der lediglich 53 m2 großen Wohnung, die vom Zusammenführenden, seiner Ehefrau und dem 2001 geborenen Sohnes benutzt werde, weisen die Beschwerdeführer zu Recht darauf hin, dass die Erstbehörde (Bezirkshauptmannschaft Feldkirch) nach Vornahme eines Ortsaugenscheines (in den Feststellungen auf Seite 4 des Erstbescheides) noch von einer Wohnungsgröße von 64 m2 ausgegangen ist. Dem angefochtenen Bescheid ist keine Begründung dafür zu entnehmen, warum die im schriftlich ausgefertigten Mietvertrag ausgewiesene Nutzfläche (53 m2) plausibler erscheint als die von den ermittelnden Beamten vor Ort erhobenen Flächenausmaße. Außerdem fehlt jedes Eingehen auf das in der Berufung an die belangte Behörde erstattete Vorbringen, den Beschwerdeführern stünde (weiters) die Wohnung einer Tante zur Nutzung zur Verfügung.
Schließlich hat die Behörde auch auf § 11 Abs. 3 NAG Bedacht genommen, demzufolge ein Aufenthaltstitel trotz des Fehlens (u.a.) der Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG erteilt werden kann, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. In der Folge ging sie jedoch mit der (wie gezeigt unrichtigen) Begründung des nicht gesicherten Lebensunterhaltes davon aus, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen "absolute Priorität" einzuräumen sei. Diese Begründung würde dazu führen, dass bei fehlendem Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel die Interessenabwägung niemals zu Gunsten des Fremden ausgehen könnte. Dass diese Rechtsmeinung mit dem Gesetz nicht im Einklang steht, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach dargelegt (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2008/21/0004, mwN).
Die angefochtenen Bescheide waren daher wegen der (vorrangig wahrzunehmenden) Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 24. Juni 2010
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