VwGH 2008/19/0483

VwGH2008/19/04836.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des X in Y, geboren am 20. Februar 1974, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Februar 2008, Zl. 317.089-1/3E-XIV/16/08, betreffend §§ 4, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §4;
AsylG 2005 §4;
AsylG 1997 §4;
AsylG 2005 §4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, auf internationalen Schutz vom 14. September 2007 gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Gleichzeitig wies sie ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Aserbaidschan aus; demzufolge sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Aserbaidschan gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, Aserbaidschan sei für den Beschwerdeführer ein sicherer Drittstaat, weil ihm dort weder eine Bedrohung gemäß Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention noch die Gefahr einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohe. Der Beschwerdeführer sei nach eigenen Angaben - nachdem er vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB in Tschetschenien festgenommen und für 11 Tage inhaftiert gewesen sei - am 15. August 2002 nach Aserbaidschan geflohen und er habe dort - abgesehen von einem Versuch, im Jahr 2003 in Polen um Asyl anzusuchen - bis zu seiner Ausreise im September 2007 gelebt. Er sei - wie UNHCR in einem Schreiben vom 12. Dezember 2007 an das Bundesasylamt bestätigt habe - vom Büro des UNHCR in Aserbaidschan am 1. Juli 2004 registriert worden. Der Beschwerdeführer habe in Baku eine Wohnung angemietet gehabt und sei vom UNHCR und anderen Organisationen, die sich in Aserbaidschan um tschetschenische Flüchtlinge kümmerten, unterstützt worden. Insbesondere sei auch seine medizinische Versorgung gewährleistet gewesen. Ferner habe der Beschwerdeführer nach der Registrierung des UNHCR die vorgesehenen Zuwendungen, die halbjährlich erfolgten, bekommen. Aus diesem Vorbringen sei weder ein Verstoß gegen Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention noch ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu erkennen und es werde ein solcher vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Als einzige Begründung, warum er nach fünf Jahren Aufenthalt nicht mehr in Aserbaidschan habe leben können, habe der Beschwerdeführer vorgebracht, seit Juni/Juli 2007 existiere ein Rücknahmeabkommen zwischen Aserbaidschan und "Russland", aufgrund dessen alle Tschetschenen in den Herkunftsstaat abgeschoben würden. Diesbezüglich sei auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid zur Situation von tschetschenischen Flüchtlingen in Aserbaidschan zu verweisen. Diesen - auf Berichtsmaterial gestützten - Feststellungen zufolge schicke die aserbaidschanische Regierung Tschetschenen nicht in die Russische Föderation zurück. Der Aufenthalt dieser Personengruppe im Land werde (weiter) akzeptiert. Daher entspreche die vom Beschwerdeführer behauptete Änderung der Rechtslage in Aserbaidschan im Juni/Juli 2007 nicht den Tatsachen. Weiters sei auszuführen, dass der Beschwerdeführer gemäß dem Schreiben des UNHCR zu seiner letzten Registrierung nicht mehr erschienen sei. Ein allfälliger Verlust der Aufenthaltsberechtigung sei daher nicht dem aserbaidschanischen Staat zuzurechnen, sondern dem eigenen Versäumnis des Beschwerdeführers, sich um seinen Aufenthaltsstatus in Aserbaidschan zu kümmern. Jedenfalls könne sich der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan jederzeit wieder beim UNHCR als Flüchtling registrieren lassen und die Unterstützung seitens des UNHCR weiterhin in Anspruch nehmen.

Dagegen wendet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten unter Verzicht auf eine Gegenschrift vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde macht unter anderem geltend, Aserbaidschan sei nicht als sicherer Drittstaat für den Beschwerdeführer anzusehen. In diesem Zusammenhang wiederholt sie zunächst die Behauptung des Beschwerdeführers, auf Grund einer geänderten Rechtslage in Aserbaidschan (seit Juni/Juli 2007 gebe es ein Rücknahmeabkommen zwischen Aserbaidschan und "Russland") drohe dem Beschwerdeführer die Abschiebung in den Herkunftsstaat. Im Übrigen bringt die Beschwerde vor, die belangte Behörde gestehe zu, dass der Beschwerdeführer mangels Registrierung in Aserbaidschan seine Aufenthaltsberechtigung verloren habe. Ausgehend davon würde Aserbaidschan den Beschwerdeführer aber umgehend in die Russische Föderation zurückschicken.

2. Gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde in einem Staat, zu dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz oder die Dublin - Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz in einem sicheren Drittstaat).

Nach Abs. 2 leg. cit. besteht Schutz im sicheren Drittstaat, wenn einem Fremden in einem Staat, in dem er nicht gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bedroht ist, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen steht oder im Wege über andere Staaten gesichert ist (Asylverfahren), er während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt ist und er dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat - auch im Wege über andere Staaten - hat, sofern er in diesem gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. bedroht ist. Dasselbe gilt bei gleichem Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für Staaten, die in einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Entscheidung getroffen haben.

Nach Abs. 3 leg. cit. sind die Voraussetzungen des Abs. 2 in einem Staat widerlegbar dann gegeben, wenn er die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet hat, das die Grundsätze dieser Konvention, der EMRK und des Protokolls Nr. 6, Nr. 11 und Nr. 13 zur Konvention umgesetzt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Asylgesetz 1997 (in der Fassung vor der Asylgesetznovelle 2003, BGBl. I Nr. 101) bereits erkannt, dass ein Asylantrag wegen Drittstaatsicherheit nur zurückgewiesen werden darf, wenn die Prognose dahin lautet, dass der jeweilige Antragsteller in dem von der Behörde in Erwägung gezogenen Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden kann. Das setzt auch voraus, dass er in diesen Staat tatsächlich, sei es freiwillig oder im Wege der Abschiebung, einreisen kann. Die Einreise in den betreffenden Staat muss also rechtlich möglich sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284). An dieser Rechtsprechung ist - mangels diesbezüglicher Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften - auch im Regime des AsylG 2005 festzuhalten. Entscheidend ist weiterhin, ob die Drittstaatsicherheit auch tatsächlich effektuierbar ist (vgl. in diesem Sinn auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 194f, Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20054, 129, Schrefler-König/Gruber, Asylrecht (Stand 1.1.2010) § 4 Anm. 9; zur Rechtslage nach der AsylG-Novelle 2003: vgl. etwa Rohrböck, Fragen der Drittstaatsicherheit (1. Teil), migralex 2004, 54, mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).

Auch der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es bei der Beurteilung der Drittstaatsicherheit nicht allein auf die formalen Kriterien der Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention, der Abgabe einer Erklärung nach Art. 25 EMRK und das Vorhandensein eines Asylgesetzes ankommt, sondern es ist darauf abzustellen, ob der Schutz auch tatsächlich gewährt wird. Dazu müssen die Asylbehörden laufend Vorkehrungen dafür treffen, dass ihnen einschlägige Informationen namhafter Stellen unverzüglich zukommen, die eine Beurteilung der faktischen Situation erlauben. Fehlen vertrauenswürdige Informationen so muss die Asylbehörde selbst weitere Ermittlungen durchführen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2008, U 5/08).

3. Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen erweist sich der vorliegende Bescheid als mangelhaft begründet.

3.1. Der Beschwerde gelingt es zwar nicht, die Feststellung der belangten Behörde, wonach eine Rückführung von tschetschenischen Flüchtlingen aus Aserbaidschan in die Russische Föderation auch nach dem Sommer 2007 nicht stattgefunden habe, nachvollziehbar in Zweifel zu ziehen.

Wenn die Beschwerde allerdings die Drittstaatsicherheit Aserbaidschans im Allgemeinen in Frage stellt und insbesondere anzweifelt, dass der Beschwerdeführer in Aserbaidschan bei Rückführung (effektiven) internationalen Schutz erlangen könnte, ist ihr - jedenfalls im Sinne der notwendigen Verfahrensergänzung -

zu folgen.

3.2. Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer bereits mehrere Jahre in Aserbaidschan gelebt hatte, ehe er seine Flucht nach Österreich antrat. Er sei - so die Begründung der belangten Behörde - laut einem Schreiben des UNHCR vom 12. Dezember 2007 an das Bundesasylamt im dortigen Büro des UNHCR "registriert" worden und habe vom UNHCR Unterstützungsleistungen erhalten. Im Folgenden führte sie aus, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Aserbaidschan "jederzeit wieder beim UNHCR als Flüchtling registriert" werden und die Unterstützung seitens des UNHCR in Anspruch nehmen könne.

3.3. In dem von der belangten Behörde zitierten Schreiben des UNHCR vom 12. Dezember 2007 wurde lediglich bestätigt, dass der Beschwerdeführer am 1. Juli 2004 im UNHCR-Büro in Aserbaidschan registriert worden sei. Seine letzte Eintragung stamme vom 16. März 2006, weil er zur Verlängerung seiner Registrierung nicht mehr erschienen sei.

Aus diesem Schreiben lässt sich die Rechtsnatur und die Rechtsfolge der erwähnten "Registrierung" nicht erkennen. Es lässt sich daher auch nicht beurteilen, ob dem Beschwerdeführer dadurch eine Rechtsstellung eingeräumt worden ist, die jener eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht und er eine solche - wie die belangte Behörde offenbar vermeint - im Falle der Rückkehr nach Aserbaidschan (durch den UNHCR wieder) erlangen kann.

3.4. Dass dem Beschwerdeführer seitens der nationalen Behörden in Aserbaidschan ein Asylverfahren eröffnet würde, wurde von der belangten Behörde nicht festgestellt. Für ein solches lieferte auch das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine Behandlung in der Vergangenheit keine Hinweise. Sollte der vom UNHCR gewährte Schutz (im Sinne der Erwägungen unter Punkt 3.2.) daher nicht ausreichen, um die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 AsylG 2005 als erfüllt ansehen zu können, bedürfte es - ungeachtet der Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention durch Aserbaidschan - einer näheren Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Beschwerdeführer tatsächlich die Möglichkeit hat, wirksamen internationalen Schutz durch die aserbaidschanischen Behörden zu erlangen.

3.5. Die belangte Behörde argumentiert, der Beschwerdeführer habe sich den Verlust seiner Aufenthaltsberechtigung in Aserbaidschan selbst zuzurechnen, weil er eine weitere Registrierung durch den UNHCR nicht mehr in die Wege geleitet habe. Auf diese Frage kommt es aber im gegenständlichen Verfahren nicht an. Von Bedeutung ist vielmehr, ob für den Beschwerdeführer -

dem nach der Aktenlage derzeit kein Aufenthaltsrecht in Aserbaidschan zukommt - eine Einreise in diesen Staat (sei es freiwillig oder im Wege der Abschiebung) überhaupt möglich sein wird.

Da sich die belangte Behörde mit diesen entscheidungsrelevanten Fragen nicht auseinandergesetzt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 6. Oktober 2010

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