VwGH 2007/21/0360

VwGH2007/21/03609.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Oliver Rößler, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 29. Juni 2007, Zl. Senat-FR-07-1039, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §27 Abs4;
FrPolG 2005 §71 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §27 Abs4;
FrPolG 2005 §71 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangten Behörde einer vom - aus dem Kosovo stammenden - Beschwerdeführer eingebrachten Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) keine Folge (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass im Zeitpunkt ihrer Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt II.) und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz ab (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 3. Mai 2007 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sei und habe an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz (nach dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005) gestellt. Noch am selben Tag sei er in Traiskirchen festgenommen worden.

Bereits mit Bescheid vom 25. Mai 2007 habe die belangte Behörde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft vorgelegen seien. Am 22. Juni 2007 habe der Beschwerdeführer neuerlich eine Schubhaftbeschwerde eingebracht. Mit dieser bekämpfe er die Schubhaftverhängung und die Anhaltung in Schubhaft.

Vor seiner illegalen Einreise hätte sich der Beschwerdeführer in Deutschland aufgehalten, wo gegen ihn "ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot/Ausweisung" erlassen worden wäre, welches noch bis 2009 Gültigkeit aufweise.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sei vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 1. Juni 2007 abgewiesen worden.

Dem Beschwerdeführer fehle es an jeglicher sozialer Integration in Österreich. Er habe keine eigene Wohnung, es werde lediglich eine Wohnmöglichkeit behauptet. Er verfüge über kein Einkommen und habe keine Familie in Österreich. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebe in Deutschland.

Im "erstinstanzlichen Verfahren" habe der Beschwerdeführer vorerst angegeben, er befürchte nicht, "irgendwelchen rechtsstaatlich bedenklichen Repressalien bei der Rückkehr in den Kosovo ausgesetzt zu sein". Erst anlässlich seiner Vernehmung am 25. Juni 2007 habe er behauptet, Angst vor der Heimreise in den Kosovo zu haben.

Rechtlich sei daher - so die belangte Behörde weiter - zu folgern, dass, weil der Beschwerdeführer "durchgängig bis zur Einvernahme am 25.06.2007" angegeben habe, nicht zu befürchten, politisch motivierter Verfolgung ausgesetzt zu sein, keine berücksichtigungswürdigenden Gründe "für die Gewährung von Asyl bzw. der Anwendung allfällig gelinderer Mittel als Schubhaft sprechen würden". Da er keine begründete Aussicht auf eine rechtmäßige Beschäftigung habe und über keinen Aufenthaltstitel verfüge, sei die Verhängung der Schubhaft angemessen. Ein gelinderes Mittel könne "gegenständlich nicht zum Tragen kommen".

Der Berufung gegen die (im Asylverfahren getroffene) abweisende Entscheidung komme gemäß § 36 Abs. 2 AsylG 2005 "nicht automatisch die aufschiebende Wirkung dann zu, wenn sie nicht ausdrücklich aberkannt" werde. Dass mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Juni 2007 der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz abgewiesen worden sei, stelle "ein Faktum dar, welches unter die Bestimmung des § 76 Abs. 2 subsumierbar ist, ist gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden".

Es sei rechtskonform, dass sich die "erstinstanzliche Behörde" auf die Bestimmung des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG gestützt habe. Es erübrige sich ein Eingehen auf die Bestimmung des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG, die weder in Rede stehe noch zur Anwendung gelange.

Das Fehlen jeglicher Erwerbsmöglichkeiten, Verwandter in Österreich und Mittel für ein ordentliches Auskommen sowie die unrechtmäßige Einreise und die sachlich nicht begründete Weigerung, in den Kosovo zurückzukehren, seien ausreichend, um den Beschwerdeführer in Schubhaft anzuhalten. Er wolle sich "offenbar" allein aus wirtschaftlichen Gründen weiter unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und sei nicht bereit, das in Deutschland ausgesprochene Aufenthaltsverbot zu akzeptieren.

Sohin sei die "Schubhaftverhängung bzw. die Aufrechterhaltung derselben" nicht rechtswidrig gewesen und auch weiterhin nicht rechtswidrig. Es sei daher der "Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Aufhebung der Inhaftierung abzuweisen" gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, § 76 Abs. 2 Z 3 FPG könne im vorliegenden Fall eine taugliche Grundlage für seine Anhaltung sein. Dies führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist. Nach § 71 Abs. 1 FPG entspricht bei Drittstaatsangehörigen, die über keinen Aufenthaltstitel verfügen, die rechtskräftige, vollstreckbare Rückführungsentscheidung eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes einer durchsetzbaren Ausweisung, wenn 1. die Rückführungsentscheidung mit der schwerwiegenden und akuten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit begründet wird und a) auf der strafrechtlichen Verurteilung einer mit einer mindestens einjährigen Freiheitsstrafe bedrohten Straftat beruht oder b) erlassen wurde, weil begründeter Verdacht besteht, dass der Drittstaatsangehörige schwere Straftaten begangen hat oder konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Taten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates plant, oder 2. die Rückführungsentscheidung erlassen wurde, weil der Drittstaatsangehörige gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Entscheidungsstaates verstoßen hat.

Die Heranziehung des Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG ist - entgegen der nur auf eine von österreichischen Behörden erlassene aufenthaltsbeendende Maßnahme abstellenden Auffassung des Beschwerdeführers - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wegen Bestehens einer Rückführungsentscheidung eines Mitgliedsstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes dann möglich, wenn diese einer durchsetzbaren Ausweisung im Sinn des § 71 Abs. 1 FPG entspricht (vgl. das hg Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0389).

Die belangte Behörde hat sich jedoch - ebenso wie zuvor die Fremdenpolizeibehörde - mit dem Grund für die Erlassung der in Deutschland angeordneten Rückführungsentscheidung nicht auseinander gesetzt, sondern sich mit der bloßen Feststellung ihrer Existenz begnügt. Im angefochtenen Bescheid wurde dazu lediglich festgehalten, in Deutschland sei gegen den Beschwerdeführer ein "durchsetzbares Aufenthaltsverbot/Ausweisung erlassen worden, welches noch bis 2009 Gültigkeit" habe. Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage davon ausging, der Grund für die Erlassung dieser Rückführungsentscheidung sei unerheblich (und sohin auch keine diesbezüglichen Feststellungen traf), und es reiche zur Anwendbarkeit des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG allein aus, dass diese immer noch Gültigkeit aufweise, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. zur Notwendigkeit, sich eine genaue Kenntnis von der bestehenden Rückführungsentscheidung zu verschaffen und darauf gegründet entsprechende Feststellungen zu treffen, auch die hg. Erkenntnisse vom 29. April 2008, Zl. 2008/21/0085, und vom 17. Juli 2008, Zl. 2008/21/0407).

Die belangte Behörde unterlag aber auch einem Rechtsirrtum, wenn sie davon ausging, der Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG könne auch noch nach Einleitung eines Ausweisungsverfahrens - deren Zeitpunkt die belangte Behörde zu Unrecht mit der Erlassung der Ausweisung durch die Asylbehörde annahm - oder sogar noch nach Erlassung einer Ausweisung durch die Asylbehörde zur Anwendung kommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat im bereits erwähnten Erkenntnis Zl. 2006/21/0389 auch klargestellt, dass der Tatbestand der Z 3 des § 76 Abs. 2 FPG - wie jener der Z 4 - die Schubhaftnahme von Asylwerbern ermöglichen soll, deren Antrag voraussichtlich nicht zu einem Erfolg führen wird. Ist das durch die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens manifestiert, so greift der Tatbestand der Z 2, der damit nicht nur Z 4, sondern im Blick auf die vergleichbare Ausgangssituation auch Z 3 ablöst. Mit diesem Tatbestand wird somit ebenfalls - wie in § 76 Abs. 2 Z 4 FPG - auf die Phase vor der Einleitung eines Ausweisungsverfahrens abgestellt. Wird ein solches eingeleitet, ist ein Rückgriff auf § 76 Abs. 2 Z 3 FPG - ebenso wenig wie auf dessen Z 4 - nicht mehr zulässig, woraus im Übrigen folgt, dass nach einer Zulassung des Asylverfahrens, die gemäß § 27 Abs. 4 AsylG 2005 zu einer Einstellung des Ausweisungsverfahrens führt, die Schubhaft auch im Grund des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG nicht mehr aufrecht erhalten werden darf.

Gemäß § 28 Abs. 3 AsylG 2005 ersetzt eine Stattgebung oder Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Zulassungsverfahren die Zulassungsentscheidung. Wird der Antrag im Zulassungsverfahren abgewiesen, gilt dieser Antrag als zugelassen, wenn oder sobald der Berufung gegen diese Entscheidung aufschiebende Wirkung zukommt. Gemäß § 36 Abs. 2 AsylG 2005 kommt - was die belangte Behörde ebenfalls nicht erkannt hat - einer Berufung gegen andere als zurückweisende Entscheidungen und der damit verbundenen Ausweisung die aufschiebende Wirkung zu, wenn sie nicht aberkannt wird. Nach § 27 Abs. 4 AsylG 2005 ist ein nach § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (infolge Bekanntgabe nach § 29 Abs. 3 Z 4 oder - wie fallbezogen hier relevant - Z 5 AsylG 2005) eingeleitetes Ausweisungsverfahren einzustellen, wenn das Verfahren zugelassen wird.

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz im Zulassungsverfahren (nach einer Bekanntgabe gemäß § 29 Abs. 3 Z 5 AsylG 2005) abgewiesen. Der dagegen am 11. Juni 2007 erhobenen Berufung wurde die aufschiebende Wirkung aber nicht aberkannt, was - wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt - in Entsprechung des § 27 Abs. 4 AsylG 2005 am selben Tag die Einstellung des Ausweisungsverfahrens zur Folge hatte, sodass ab dieser Zeit auch deswegen - was der Beschwerdeführer zutreffend aufzeigt - die Anhaltung in Schubhaft nicht mehr rechtens sein konnte (vgl. das hg Erkenntnis vom 27. Mai 2009, Zl. 2007/21/0037, mwN).

Darüber hinaus ist aber mit Blick auf das weitere Verwaltungsverfahren auch noch festzuhalten, dass sich die hier gegenständliche Beschwerde an die belangte Behörde ausdrücklich sowohl gegen die Schubhaftverhängung als auch die gesamte bisherige Anhaltung des Beschwerdeführers richtete. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde inhaltlich über diese Verfahrensgegenstände entschieden.

Aus den - unbestrittenen und mit der Aktenlage in Einklang stehenden Feststellungen - ergibt sich allerdings, dass die belangte Behörde bereits auf Grund einer zuvor vom Beschwerdeführer eingebrachten Schubhaftbeschwerde mit Bescheid vom 25. Mai 2007 (der am selben Tag erlassen worden war) über die Rechtmäßigkeit des die Schubhaft anordnenden Bescheides sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft bis 25. Mai 2007 abgesprochen hat.

Zur mehrmaligen Erhebung von Schubhaftbeschwerden nach § 83 FPG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass von entschiedener Sache auszugehen ist, wenn sich die spätere Beschwerde auf einen Zeitraum bezieht, über den bereits durch einen Bescheid abgesprochen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2010, Zl. 2008/21/0657, mwN). Dies trifft hier insofern zu, als mit der zweiten Schubhaftbeschwerde auch die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung von Beginn an bis 25. Mai 2007 bekämpft wurde. Das wird die belangte Behörde bei Erlassung des Ersatzbescheides zu beachten haben.

Der angefochtene Bescheid war somit zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das den in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalsatz übersteigende, auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese im Pauschalsatz bereits enthalten ist.

Wien, am 9. November 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte