VwGH 2006/19/0881

VwGH2006/19/088130.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofräte Mag. Nedwed, Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak sowie den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. März 2006, Zl. 268.296/0-IV/12/06, betreffend §§ 24a Abs. 8, 32a Abs. 1 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: M H in N), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §24a Abs8;
AsylG 1997 §24a Abs8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 15. Dezember 2005 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Anlässlich seiner Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 21. und am 28. Dezember 2005 gab der Mitbeteiligte an, über Griechenland in das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten eingereist und von den griechischen Behörden erkennungsdienstlich behandelt worden zu sein. Einen Asylantrag habe er jedoch in Griechenland nicht gestellt.

Mit Bescheid vom 6. Februar 2006 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten - nach Konsultation mit den zuständigen griechischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Antrages sei gemäß "Artikel 10 (1) i.V.m. Art. 20 (1) (c) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) Griechenland zuständig und wies den Mitbeteiligten gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland aus.

Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass am 21. Dezember 2005 "ein Übernahmeersuchen gemäß Artikel 10 (1)" Dublin-Verordnung an die griechischen Behörden gestellt worden sei. Da seitens der zuständigen griechischen Behörden nicht binnen der einmonatigen Frist geantwortet worden sei, sei "eine Verfristung durch Zeitablauf gemäß Artikel 20 (1) lit. c" Dublin-Verordnung eingetreten. Mit Schreiben vom 2. Februar 2006 hätten die zuständigen griechischen Behörden nachträglich einer Übernahme des Mitbeteiligten gemäß "§ 10 (1)" Dublin-Verordnung zugestimmt. Ein im besonderen Maße substanziiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer vom Mitbeteiligten bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung nach Griechenland ernstlich möglich erscheinen ließen, seien im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der dagegen erhobenen Berufung des Mitbeteiligten gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 32a Abs. 1 iVm § 24a Abs. 8 AsylG statt und behob den erstinstanzlichen Bescheid. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich das an Griechenland gerichtete Wiederaufnahmeersuchen auf einen Eurodac-Treffer gestützt habe. Griechenland hätte daher dieses Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. b der Dublin-Verordnung binnen zwei Wochen, gerechnet ab dem Einlangen des österreichischen Wiederaufnahmegesuchs bei den griechischen Behörden am 21. Dezember 2005 zu beantworten gehabt. Die Griechenland zur Verfügung stehende Frist habe daher am 4. Jänner 2006 geendet. Bereits ab diesem Zeitpunkt sei daher gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung davon auszugehen gewesen, dass Griechenland die Wiederaufnahme des Mitbeteiligten akzeptiert habe. Da der angefochtene Bescheid aber erst am 6. Februar 2006 durch Zustellung an den Mitbeteiligten erlassen worden sei, habe das Bundesasylamt innerhalb der in § 24a Abs. 8 AsylG vorgesehenen und durch die Konsultationen gehemmten Frist von zwanzig Tagen keine Entscheidung hinsichtlich der Unzulässigkeit des Antrages des Mitbeteiligten nach den §§ 4, 4a oder 5 AsylG getroffen. Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei deshalb kraft Gesetzes zugelassen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die relevanten Bestimmungen der Dublin-Verordnung lauten:

"Artikel 10

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylwerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet 12 Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertrittes.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylwerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Hat der Asylwerber sich für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

...

Artikel 16

(1) Der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

a) einen Asylwerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 17 bis 19 aufzunehmen;

  1. b) die Prüfung des Asylantrags abzuschließen;
  2. c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels20 wiederaufzunehmen;

    ...

    Artikel 17

(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Antrags im Sinne von Art. 4 Abs. 2 den anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Asylwerber aufzunehmen.

Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

(2) Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Asylantrag gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Aufenthalt verweigert wurden, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde, eine Ausweisung angekündigt oder vollstreckt wurde oder wenn sich der Asylwerber in Gewahrsam befindet, eine dringliche Antwort anfordern.

In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche.

...

Artikel 18

(1) Der ersuchende Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach dem er mit dem Gesuch befasst wurde.

...

(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 17 Abs. 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um sich an die vorgegebene Frist zu halten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat die Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen; in jedem Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Abs. 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

...

Artikel 20

(1) Gemäß Artikel 4 Absatz 5 und Artikel 16 Absatz 1 Buchstaben c), d) und e) wird ein Asylwerber nach folgenden Modalitäten wieder aufgenommen:

a) das Wiederaufnahmegesuch muss Hinweise enthalten, aus denen der ersuchte Mitgliedstaat entnehmen kann, dass er zuständig ist;

b) der Mitgliedstaat, der um Wiederaufnahme des Asylwerbers ersucht wird, muss die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den Antrag so rasch wie möglich und unter keinen Umständen später als einen Monat, nachdem er damit befasst wurde, beantworten. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen;

c) erteilt der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb der Frist von einem Monat bzw. der Frist von zwei Wochen gemäß Buchstabe b) keine Antwort, so wird davon ausgegangen, dass er die Wiederaufnahme des Asylwerbers akzeptiert;"

Die Amtsbeschwerde wendet sich gegen die Ansicht der belangten Behörde, wonach bei Erlassung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 6. Februar 2006 die 20-tägige Entscheidungsfrist des § 21a Abs. 8 AsylG bereits abgelaufen wäre. Im vorliegenden Verfahren sei nämlich "kein Wiederaufnahmeersuchen, sondern vielmehr ein Aufnahmeersuchen an Griechenland gemäß Art. 10 Abs. 1" Dublin-Verordnung gestellt worden.

Zunächst ist auf die bereits von der belangten Behörde zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die in § 24a Abs. 8 AsylG normierte 20-tägige Frist durch Konsultationen nach der Dublin-Verordnung lediglich gehemmt wird und mit Wegfall des im Gesetz formulierten Hinderungsgrundes durch den Abschluss des Konsultationsverfahrens die begonnene Frist weiterläuft (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, 2005/20/0038). Zudem wurde im hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2005, 2005/01/0461, unter Heranziehung der Bestimmung des Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung festgehalten, dass mit Ablauf der für die Konsultationen eingeräumten Frist die Zustimmung des eine Antwort schuldig bleibenden, ersuchten Mitgliedstaates als erteilt sowie damit das Konsultationsverfahren als beendet gilt.

Die Ausführungen der belangten Behörde, wonach bei Erlassung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides die 20-tägige Entscheidungsfrist des § 24a Abs. 8 AsylG bereits abgelaufen wäre, erweisen sich - wie die Amtsbeschwerde zutreffend vorbringt - aus nachstehenden Gründen als nicht mit der Rechtslage in Einklang stehend:

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Aufnahmeverfahren nach dem Zuständigkeitstatbestand des Art. 10 Dublin-Verordnung. Dies ergibt sich bereits aus den Angaben des Mitbeteiligten in seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt, denen zufolge er in Griechenland keinen Asylantrag gestellt und dort lediglich erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Auch wurde durch das Bundesasylamt am 21. Dezember 2005 ein Aufnahmegesuch unter Verwendung des Aufnahmeformulars nach Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin-Verordnung - und kein Wiederaufnahmegesuch - an Griechenland gestellt.

Damit kommen jedoch im vorliegenden Verfahren nicht die Fristen nach Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung für eine Wiederaufnahme nach Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung zur Anwendung. Vielmehr stand Griechenland die Frist von einem Monat nach Art. 18 Abs. 6 Dublin-Verordnung für die erforderlichen Überprüfungen offen. Das Bundesasylamt hat sich in seinem Aufnahmegesuch vom 21. Dezember 2005 nämlich auf das Dringlichkeitsverfahren nach Art. 17 Abs. 2 Dublin-Verordnung berufen. Damit war die Antwort durch die zuständigen griechischen Behörden gemäß Art. 18 Abs. 6 Dublin-Verordnung innerhalb eines Monats zu erteilen. Wird innerhalb dieser Frist von einem Monat keine Antwort erteilt, ist gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird.

Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies Folgendes:

Ausgehend von einem Einlangen des österreichischen Aufnahmegesuchs bei den griechischen Behörden via "DubliNet" - siehe dazu Art. 15 Abs. 1 der bereits zitierten Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin-Verordnung - noch am 21. Dezember 2005 endete die Griechenland zur Verfügung stehende Frist damit (vgl. Art. 25 Abs. 1 der Dublin-Verordnung) am 21. Jänner 2006. Bereits ab diesem Zeitpunkt war gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung nämlich davon auszugehen, dass Griechenland die Aufnahme des Mitbeteiligten akzeptiere. Ab diesem Zeitpunkt war daher das Konsultationsverfahren beendet.

Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die 20-tägige Frist nach § 24a Abs. 8 AsylG durch Konsultationen nach der Dublin-Verordnung lediglich gehemmt wird, endete diese Frist - ausgehend von der Stellung des Asylantrages durch den Mitbeteiligten am 15. Dezember 2005 - am Samstag, den 4. Februar 2006.

Gemäß § 33 Abs. 2 AVG - diese Bestimmung findet nach § 23 Abs. 1 AsylG auf Verfahren nach diesem Bundesgesetz Anwendung - ist der nächste Werktag letzter Tag der Frist, wenn das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder den Karfreitag fällt. Der letzte Tag der Frist nach § 24a Abs. 8 AsylG ist daher im vorliegenden Fall Montag, der 6. Februar 2006. An diesem Tag wurde dem Mitbeteiligten der Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Februar 2006 gemäß § 24 ZustellG unmittelbar bei der Behörde ausgefolgt. Die Erlassung dieses Bescheides erfolgte somit fristgerecht.

An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass im Aufnahmegesuch als Fristende der 23. Jänner 2006 genannt wurde.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 30. März 2010

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