VwGH 2009/22/0107

VwGH2009/22/01079.7.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Josef Unterweger und Maga. Doris Einwallner, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 8. Jänner 2009, Zl. 300.992/19-III/4/09, betreffend Versagung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG", zu Recht erkannt:

Normen

32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art6;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §45 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art6;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
NAG 2005 §45 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 20. November 2003 stellte der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, einen Antrag auf Erteilung eines Niederlassungsnachweises. Die Erstbehörde erteilte ihm daraufhin am 15. Dezember 2003 eine Niederlassungsbewilligung "jeglicher Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG" mit einer Gültigkeitsdauer bis 1. November 2004.

Der Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 24. Juli 2006, mit dem die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen wurde, wurde mit hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, 2008/22/0269, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Mit dem angefochtenen Ersatzbescheid vom 8. Jänner 2009 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers wiederum gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 45 Abs. 1 Z. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer bis 4. April 2000 über gültige Aufenthaltstitel verfügt habe. Zuletzt sei ihm am 15. Dezember 2003 eine Niederlassungsbewilligung "jeglicher Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG" mit einer Gültigkeitsdauer bis 1. November 2004 erteilt worden. Seit 18. Oktober 2007 sei der Beschwerdeführer nicht mehr in Österreich gemeldet.

Im Kriminalpolizeilichen Aktenindex des Bundesministeriums für Inneres schienen in Bezug auf den Beschwerdeführer etliche Delikte auf. Aufgrund seiner Heroinsucht sei er nach dem Suchtmittelgesetz zu mehreren Freiheitsstrafen verurteilt worden (Erwerb, Besitz, Weitergabe und Konsum von "Cannabis, Harz," Kokain, Marihuana) und sei vom 21. April 1998 bis 20. Juni 1999 in Haft gewesen. Die durch den Beschwerdeführer verübten Delikte umfassten aber auch "gefährliche Drohung", "Körperverletzung" und "schwerer Raub". Außerdem sei gegen den Beschwerdeführer von der Bundespolizeidirektion Wien am 15. August 2002 ein Waffenverbot verhängt worden.

Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner zahlreichen Verurteilungen mehrmals in Haft gewesen, was ihn nicht davon abhalten habe können, neuerlich Straftaten zu begehen. "Zuletzt" sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 10. Mai 2006 "nach dem Suchtmittelgesetz, dem Waffengesetz und dem Strafgesetzbuch zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe" verurteilt worden, welche er bereits verbüßt habe.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 82 Abs. 1, 81 Abs. 1, 45 Abs. 1, 11 Abs. 2 Z. 1 sowie Abs. 4 Z. 1 NAG - aus, dass das vorliegende Verfahren gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sei; der gegenständliche Antrag sei nach der neuen Rechtslage als Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" zu werten.

Mit Bezug auf das angeführte hg. Vorerkenntnis vom 17. September 2008 führte die belangte Behörde zu der nach § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG vorzunehmenden Prognoseentscheidung aus, dass im Fall des Beschwerdeführers aufgrund der 15 von ihm verübten Delikte kein Einzeldelikt vorliege und er dadurch seine von Unrechtsverhalten geprägte Gesinnung dokumentiere. Eigentlich hätten deshalb aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer gesetzt bzw. eine Ausweisung erlassen werden müssen.

Der Beschwerdeführer habe durch sein "gesamtes gezeigtes persönliches Verhalten und durch (seine) Straffälligkeit gezeigt", dass er nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten; diese Tatsache stelle - insbesondere wegen der negativen Beispielwirkung auf andere Fremde - jedenfalls auch in Zukunft eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Nach der hg. Rechtsprechung wohne der Suchtgiftkriminalität erfahrungsgemäß Wiederholungsgefahr inne. Der Beschwerdeführer habe aber nicht nur gegen das Suchtmittelgesetz verstoßen, sondern auch - die oben angeführten - anderen Delikte verübt; außerdem sei gegen ihn ein Waffenverbot verhängt worden.

Bei der Erstellung einer Gefährdungsprognose sei das Gesamtverhalten des Fremden zu berücksichtigen; dieses fortgesetzte offensichtliche Zuwiderhandeln gegen die den Aufenthalt regelnden Bestimmungen wiege schwer. Zusammengefasst sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Gesamtfehlverhaltens im österreichischen Bundesgebiet über ein sehr hohes Aggressionspotential verfüge, die Hemmschwelle in Bezug auf Verletzungen der österreichischen Rechtsordnung sehr niedrig liege und "allfällige Wiederholungen dieser Gewaltausbrüche bzw. Ausstoßungen von gefährlichen Drohungen jederzeit auch in Zukunft gegeben" seien. Aufgrund dessen gefährde der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe und Ordnung, sodass er den Interessen im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG widerstreite.

Im Weiteren nahm die belangte Behörde eine Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vor und gelangte zu dem Schluss, dass - auch unter Berücksichtigung des Aufenthalts von unehelichen Kindern des Beschwerdeführers in Österreich - die öffentlichen Interessen an der Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele höher zu bewerten seien als die nachteiligen Folgen einer Verweigerung des beantragten Aufenthaltstitels auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde den am 20. November 2003 gestellten Antrag des Beschwerdeführers zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen des am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen NAG - in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 - beurteilt hat.

Die Beschwerde bringt eingangs im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde entgegen dem zitierten Vorerkenntnis vom 17. September 2008 wiederum nur kursorische Feststellungen anhand des Strafregisters vorgenommen, nicht aber das den Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrunde liegende Fehlverhalten konkret festgestellt habe; die von der belangten Behörde getroffenen, bloß sehr allgemein gehaltenen Feststellungen könnten die von ihr - für den Beschwerdeführer negativ - vorgenommene Gefährdungsprognose nicht tragen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Gemäß § 45 Abs. 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen zur Niederlassung berechtigt waren, ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" erteilt werden, wenn sie (Z. 1) die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllen und (Z. 2) die Integrationsvereinbarung erfüllt haben.

Gemäß der im 1. Teil des NAG enthaltenen Bestimmung des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden u.a. dann in diesem Sinn dem öffentlichen Interesse, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem zitierten Vorerkenntnis vom 17. September 2008 (unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2008, 2006/21/0218) ausgesprochen hat, ist bei der Auslegung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes eine das Gesamtfehlverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten; dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.

Auch in dem nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid hat sich die belangte Behörde in Hinblick auf die den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrunde liegenden Straftaten lediglich mit der Anführung der - offensichtlich aus verschiedenen Evidenzen entnommenen - einzelnen Delikte, der Anzahl dieser Delikte und einigen Schlagworten zu den Verstößen des Beschwerdeführers gegen das Suchtmittelgesetz begnügt.

Im Sinn der angeführten Rechtsprechung sind allerdings konkrete Feststellungen zu dem den einzelnen Verurteilungen - insbesondere der von der belangten Behörde angeführten letzten Verurteilung vom 10. Mai 2006 - zugrunde liegenden Fehlverhalten erforderlich; solche Feststellungen hätte die belangte Behörde etwa anhand der beigeschafften Strafakte oder zumindest der Strafurteile treffen müssen.

Aus diesem Grund haftet der von der belangten Behörde gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm Abs. 4 Z. 1 NAG vorgenommenen Prognoseentscheidung wiederum ein Feststellungsmangel an, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 9. Juli 2009

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