VwGH 2009/08/0036

VwGH2009/08/003610.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des KK in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 23. Dezember 2008, Zl. 2008-0566-9-002142, betreffend Zuerkennung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §30 Abs2;
VwRallg;
VwGG §30 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2008, Zl. 2008/08/0084, verwiesen.

Mit dem im ersten Rechtsgang ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 29. November 2007 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien, Regionale Geschäftsstelle Redergasse (in der Folge: AMS Redergasse), vom 29. Oktober 2007, mit welchem sein Antrag auf Zuerkennung von Notstandshilfe mangels Verfügbarkeit abgewiesen wurde, nicht stattgegeben. Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer laut der von ihm im Berufungsverfahren übermittelten Unterlagen, insbesondere dem Bescheid der Magistratsabteilung 20 des Magistrats der Stadt Wien (in der Folge: MA 20) vom 4. Juli 2006, zuletzt vom 7. Mai 2002 bis 10. Mai 2005 über einen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt habe. Am 2. Mai 2006 habe er einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "unbeschränkt" gestellt. Da der Beschwerdeführer den Antrag nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels gestellt habe, sei der Antrag vom 2. Mai 2006 nicht als Verlängerungsantrag anzusehen. Zum Einwand des Beschwerdeführers, auf Grund der schlecht leserlichen Eintragung auf der Vignette in seinem Reisepass sei er der Meinung gewesen, sein Aufenthaltstitel sei bis 10. Mai 2006 gültig, und auch das Arbeitsmarktservice sei zunächst dieser Meinung gewesen, sei festzuhalten, dass die zuständige Behörde für die Ausstellung der Aufenthaltstitel in Wien die MA 20 (nunmehr MA 35) sei. Feststellungen über die Gültigkeit von Aufenthaltstiteln seien daher von dieser Behörde zu treffen, das Arbeitsmarktservice sei an diese Feststellungen gebunden. Es sei daher entsprechend der Darstellung der Aufenthaltsbehörde davon auszugehen, dass der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 2. Mai 2006 nicht als Verlängerungsantrag, sondern als Erstantrag zu beurteilen sei. Eine Antragstellung vor dem 2. Mai 2006 sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Seit 11. Mai 2005 verfüge der Beschwerdeführer damit über keinen Aufenthaltstitel in Österreich. Da sein neuerlicher Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Erstantrag zu beurteilen sei, könne der Beschwerdeführer nicht die Rechtswirkungen eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags für sich in Anspruch nehmen. Auch eine rechtzeitig eingebrachte Berufung gegen den Bescheid der MA 20 vom 4. Juli 2006 ändere nichts daran. Da dem Beschwerdeführer in Ermangelung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG keine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden und auch keine andere Berechtigung nach dem AuslBG ausgestellt werden könne, stehe er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

Dieser Bescheid wurde mit dem genannten hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2008 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. In der Begründung führte der Verwaltungsgerichtshof folgendes aus:

"Der Beschwerdeführer macht zunächst im Wesentlichen geltend, dass die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Niederlassungsbewilligung 'Familiengemeinschaft mit Österreicher' nur bis zum 10. Mai 2005 - und nicht bis zum 10. Mai 2006 - gültig gewesen sei, somit der Antrag vom 2. Mai 2006 als Erstantrag zu werten gewesen und kein Verlängerungsantrag vorgelegen sei, welcher gemäß § 24 Abs. 2 letzter Sat NAG zur Folge gehabt hätte, dass sich der Beschwerdeführer bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag habe rechtmäßig in Österreich aufhalten dürfen.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass sie bezüglich der Geltungsdauer der Niederlassungsbewilligung 'Familiengemeinschaft mit Österreicher' an den Bescheid der MA 20 vom 4. Juli 2006 gebunden sei. Es kann aber entgegen der Ansicht der belangten Behörde schon deshalb keine derartige Bindungswirkung bestehen, da dieser Bescheid nicht rechtskräftig ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 516, E 73 ff. zu § 38 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Demnach wäre es an der belangten Behörde gelegen, ihrer Entscheidung ihre über die maßgebenden Verhältnisse gewonnene eigene Anschauung zu Grunde zu legen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1992, Zl. 91/11/0161).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die belangte Behörde, indem sie im angefochtenen Bescheid auf den Bescheid der MA 20 vom 4. Juli 2006 ausdrücklich Bezug nahm, sich im Rahmen einer selbständigen Vorfragenbeurteilung dessen Begründung zu Eigen machte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. April 1991, Zl. 90/11/0205, mwN), würde dies nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bewirken: Der Bescheid der MA 20 vom 4. Juli 2006 führt in seiner Begründung nämlich aus, dass "das Ermittlungsverfahren" ergeben habe, dass der Beschwerdeführer letztmals vom 7. Mai 2002 bis zum 10. Mai 2005 über einen Aufenthaltstitel verfügt habe. Es wird aber nicht dargelegt, worin dieses Ermittlungsverfahren bestanden hat (in seiner Berufung gegen den Bescheid vom 4. Juli 2006 rügte der Beschwerdeführer jedenfalls mangelndes Parteiengehör) und auf welche Tatsachen und Beweismittel die MA 20 diese Feststellung stützte. Es finden sich im Bescheid der MA 20 auch keine Ausführungen zu der vom Beschwerdeführer in der Berufung gegen den Bescheid des AMS Redergassse vom 29. Oktober 2007 aufgeworfenen Frage, wie der gegenständliche Aufdruck auf der Vignette im Pass des Beschwerdeführers zu werten sei, ebenso nicht zur Relevanz dieses Aufdruckes an sich."

Aus dem Verwaltungsakt geht hervor, dass der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der MA 20 vom 4. Juli 2006 mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 2008 nicht stattgegeben wurde. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welcher der Beschwerde mit Beschluss vom 3. Juli 2008, Zl. AW 2008/22/0045-4, aufschiebende Wirkung zuerkannte. (Im Verwaltungsakt befindet sich zwar der genannte hg. Beschluss, jedoch nicht der Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 2008).

Im fortgesetzten Verfahren fragte die belangte Behörde beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35 (in der Folge MA 35), bezüglich des Verfahrenstandes im Verfahren über die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers an. Im Akt befindet sich der Ausdruck eines E-Mails der MA 35 an die belangte Behörde vom 15. Oktober 2008, in dem im Wesentlichen bekannt gegeben wurde, dass der letzte Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers bis 10. Mai 2005 gültig gewesen sei und er seither über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfüge und dass das aufenthaltsrechtliche Verfahren noch beim Verwaltungsgerichtshof anhängig sei.

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer diese Auskunft vor, forderte ihn zur Vorlage des hg. Beschlusses vom 3. Juli 2008 auf und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis 30. Oktober 2008.

Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2008 führte der Beschwerdeführer aus, dass die Ausführungen der MA 35 unrichtig seien, und übermittelte neben dem Beschluss über die aufschiebende Wirkung auch seine Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 2008, in welchem sich im Wesentlichen wiederum das Vorbringen bezüglich des Bestehens eines Aufenthaltsrechts für den Beschwerdeführers und bezüglich der unleserlichen Vignette findet.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des AMS Redergasse wiederum keine Folge. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens führte sie begründend im Wesentlichen aus, dass die zuständige Behörde nunmehr in zweiter Instanz entschieden habe, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung des Aufenthaltstitels verspätet gestellt worden sei. Im Hinblick auf die Rechtskraft der Entscheidung sei die belangte Behörde an diese Feststellungen gebunden. Es sei daher entsprechend der Darstellung der Aufenthaltsbehörde davon auszugehen, dass der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 2. Mai 2006 nicht als Verlängerungsantrag, sondern als Erstantrag zu beurteilen sei. Eine Antragstellung vor dem 2. Mai 2006 sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Seit 11. Mai 2005 verfüge der Beschwerdeführer damit über keinen Aufenthaltstitel in Österreich, was auch von der Aufenthaltsbehörde in ihrer Stellungnahme vom 15. Oktober 2008 bestätigt worden sei. Da sein neuerlicher Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Erstantrag zu beurteilen sei, könne der Beschwerdeführer nicht die Rechtswirkungen eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags für sich in Anspruch nehmen. Auch eine rechtzeitig eingebrachte Berufung gegen den Bescheid der MA 20 vom 4. Juli 2006 ändere nichts daran. Da dem Beschwerdeführer in Ermangelung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG keine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden und auch keine andere Berechtigung nach dem AuslBG ausgestellt werden könne, stehe er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG erwogen:

Nach der hg. Rechtsprechung dürfen auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ab Zustellung des entsprechenden Beschlusses an den Bescheid keine Rechtswirkungen mehr geknüpft werden. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof auch zur Folge, dass die Bindungswirkung, des angefochtenen - formal rechtskräftigen - Bescheides vorläufig außer Kraft gesetzt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 2008, Zl. 2007/08/0002, mwN).

Somit ist die Auffassung der belangten Behörde verfehlt, nach der sie hinsichtlich des Vorliegens eines Aufenthaltstitels von einer Bindung - und zwar nunmehr an den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 2008 - ausging, da dieser Bescheid auf Grund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für die gegen ihn erhobene Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde keine Bindungswirkung zeitigte. Es wäre somit erneut an der belangten Behörde gelegen, ihrer Entscheidung ihre über die maßgebenden Verhältnisse gewonnene eigene Anschauung zu Grunde zu legen (vgl. das im ersten Rechtsgang ergangene hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2008).

Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerde, die, soweit relevant, mit denen aus dem ersten Rechtsgang im Wesentlichen übereinstimmen, kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG ebenfalls auf die Begründung des im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnisses vom 2. Juli 2008 verwiesen werden.

Der angefochtene Bescheid war aus den oben genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 10. Juni 2009

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