VwGH 2009/06/0085

VwGH2009/06/008523.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerden 1. des RM in X (Beschwerde Zl. 2009/06/0085), und 2. des MD in X (Beschwerde Zl. 2009/06/0086), beide vertreten durch Mag. Titus Trunez, Rechtsanwalt in 4150 Rohrbach, Hopfengasse 3, gegen die Erledigungen des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich jeweils vom 4. März 2009, Zlen. VwSen- 420576/5/Gf/Mu und VwSen-420575/5/Gf/Mu, betreffend jeweils Verfügungen gemäß § 6 Abs. 1 AVG iVm § 106 StPO (weitere Partei der verwaltungsgerichtlichen Verfahren: Bundesministerin für Justiz),

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §6 Abs1;

 

Spruch:

1) den Beschluss gefasst:

Die Beschwerden werden insoweit zurückgewiesen, als sie sich gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide (Ankündigungen der Weiterleitung) richten,

und

2) zu Recht erkannt:

Die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat jedem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den am 10. Februar 2009 eingebrachten Schriftsätzen (vom selben Tag) erhoben die Beschwerdeführer bei der belangten Behörde jeweils Maßnahmenbeschwerden wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe des Polizeidirektors von X am 29. Jänner 2009 und machten darin geltend, sie seien im Recht auf persönliche Freiheit, im Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, im Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie im Recht, nur bei Vorliegen der im § 35 VStG, § 81 Abs. 2 SPG bzw. § 170 Abs. 1 Z 1 StPO genannten Voraussetzungen festgenommen werden zu dürfen, verletzt worden.

Mit den angefochtenen, (nicht als Bescheid, sondern) als "Verfügung" überschriebenen, aber ansonsten bescheidmäßig gegliederten, angefochtenen Erledigungen hat die belangte Behörde "beschlossen", sie sei zur Behandlung der Beschwerden sachlich unzuständig (Punkt I.), und, dass die Beschwerden jeweils an die Staatsanwaltschaft X weitergeleitet würden (Punkt II.). Als Rechtsgrundlagen wurden § 106 StPO und § 6 Abs. 1 AVG genannt. In der Begründung dieser Erledigungen heißt es jeweils, aus dem von der Bundespolizeidirektion X vorgelegten Akt gehe hervor, dass in den Beschwerdefällen die Beschwerdeführer explizit unter Berufung auf die Strafprozessordnung wegen des Verdachtes der Begehung eines Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen festgenommen worden seien. § 106 Abs. 2 Z 2 StPO in der seit dem 1. Jänner 2008 maßgeblichen Fassung lege in diesem Zusammenhang insbesondere fest, dass im Ermittlungsverfahren jeder Person, die behaupte, dadurch in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein, dass eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme seitens der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei unter Verletzung von Bestimmungen der StPO angeordnet oder durchgeführt worden sei, die Möglichkeit eines Einspruches an das zuständige Gericht zustehe; ein derartiger Einspruch sei gemäß Abs. 3 leg. cit. bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. Die belangte Behörde habe daher ihre nunmehrige funktionelle Unzuständigkeit festzustellen und die vorliegende Beschwerde gemäß § 6 Abs. 1 AVG an die Staatsanwaltschaft X weiterzuleiten.

In den Erledigungen folgt jeweils eine Rechtsmittelbelehrung wie für letztinstanzliche Bescheide, verwiesen wird jeweils darauf, dass gegen "diesen Bescheid" kein ordentliches Rechtsmittel zulässig sei, und dass gegen "diesen Bescheid" Beschwerde an die beiden obersten Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts erhoben werden könne.

Dagegen richten sich die vorliegenden Beschwerden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Geltend gemacht wird, dass die gerichtlichen Strafverfahren (Ermittlungsverfahren) durch die Staatsanwaltschaft X jeweils am 11. März 2009 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden seien, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestehe. Gemäß § 107 Abs. 1 StPO sei ein Einspruch nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens nicht mehr zulässig. Im Hinblick auf diese Einstellung wäre daher die Behandlung eines allfälligen Einspruches der Beschwerdeführer durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr zulässig. Mit dieser Einstellung sei die Zuständigkeit der Staatsanwalt bzw. des Gerichtes für die Behandlung eines Einspruches wegen Rechtsverletzung nicht mehr gegeben und es trete jedenfalls die Zuständigkeit der belangten Behörde für die Behandlung der Beschwerde ein. Ganz abgesehen davon habe das Gericht im Einspruchsverfahren gemäß § 106 StPO ausschließlich die Einhaltung der Strafprozessordnung zu prüfen, nicht aber beispielsweise des SPG. Es sei aber (auch) vorgebracht worden, dass die Bestimmungen auch des SPG wie auch des VStG nicht eingehalten worden seien. Die belangte Behörde hätte daher jedenfalls diesbezüglich die Maßnahmenbeschwerden inhaltlich zu behandeln gehabt.

Die belangte Behörde hat die Akten der Verwaltungsverfahren vorgelegt und in Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Auch die weitere Partei hat Gegenschriften mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerden eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, beide Beschwerdeverfahren wegen des sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden, und hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die §§ 106 und 107 StPO (das Gesetz in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 109/2007) lauten:

"Einspruch wegen Rechtsverletzung

§ 106. (1) Einspruch an das Gericht steht im Ermittlungsverfahren jeder Person zu, die behauptet, durch Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil

1. ihr die Ausübung eines Rechtes nach diesem Gesetz verweigert oder

2. eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.

(2) Soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden. In einem solchen Fall entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch.

(3) Der Einspruch ist bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. Sofern er sich gegen eine Maßnahme der Kriminalpolizei richtet, hat die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Die Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob die behauptete Rechtsverletzung vorliegt, und dem Einspruch, soweit er berechtigt ist, zu entsprechen sowie den Einspruchswerber davon zu verständigen, dass und auf welche Weise dies geschehen sei und dass er dennoch das Recht habe, eine Entscheidung des Gerichts zu verlangen, wenn er behauptet, dass seinem Einspruch tatsächlich nicht entsprochen wurde.

(5) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht entspricht oder der Einspruchswerber eine Entscheidung des Gerichts verlangt, hat die Staatsanwaltschaft den Einspruch unverzüglich an das Gericht weiter zu leiten. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei hat das Gericht dem Einspruchswerber zur Äußerung binnen einer festzusetzenden, sieben Tage nicht übersteigenden Frist zuzustellen.

§ 107. (1) Nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens ist ein Einspruch nicht mehr zulässig. Zuvor erhobene Einsprüche gemäß § 106 Abs. 1 Z 1 sind als gegenstandslos zu betrachten. Im Falle, dass Anklage eingebracht wurde, hat über den Einspruch jenes Gericht zu entscheiden, das im Ermittlungsverfahren zuständig gewesen wäre. Unzulässige Einsprüche und solche, denen die Staatsanwaltschaft entsprochen hat, sind zurückzuweisen. Im Übrigen hat das Gericht in der Sache zu entscheiden.

(2) Sofern sich die Umstände der behaupteten Rechtsverletzung nur durch unmittelbare Beweisaufnahme klären lassen, kann das Gericht von Amts wegen eine mündliche Verhandlung anberaumen und in dieser über den Einspruch entscheiden. Diese Verhandlung ist nicht öffentlich, doch hat das Gericht jedenfalls dem Einspruchswerber, der Staatsanwaltschaft und, sofern sich der Einspruch gegen sie richtet, der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Teilnahme und Stellungnahme zu geben.

(3) Der Staatsanwaltschaft und dem Einspruchswerber steht Beschwerde zu; diese hat aufschiebende Wirkung. Das Oberlandesgericht kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, es sei denn, dass die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Gericht von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts oder des Obersten Gerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

(4) Im Falle, dass das Gericht dem Einspruch stattgibt, haben Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei den entsprechenden Rechtszustand mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln herzustellen."

Gemäß § 6 Abs. 1 AVG hat die Behörde ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese verweisen.

Die angefochtenen Erledigungen sind im Sinne der im hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Zlen. 934 und 1223/73, Slg. 9458/A, dargelegten Kriterien als Bescheide zu qualifizieren.

Die Weiterleitung eines Anbringens gemäß § 6 Abs. 1 AVG hat nicht bescheidmäßig zu erfolgen; Mitteilungen über Abtretungen sind keine Bescheide. Auch bietet § 6 Abs. 1 AVG der Behörde keine Handhabe dafür, mit einem Feststellungsbescheid ihre Unzuständigkeit auszusprechen. Eine förmliche bescheidmäßige Entscheidung über die Zuständigkeit hat durch Zurückweisung des Antrages zu erfolgen (siehe dazu beispielsweise die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, in E 44 und 53 bis 56 zu § 6 AVG wiedergegebene Judikatur, auch Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8, RZ 83 und Anm. 29 hiezu).

Vor diesem Hintergrund sind die Spruchpunkte I. der angefochtenen Erledigungen im Sinne der im hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Zlen. 934 und 1223/73, Slg. 9458/A, dargelegten Kriterien als normative Absprüche und somit als Bescheide zu qualifizieren, nicht aber die Ankündigungen der Weiterleitungen in den jeweiligen Spruchpunkten II. Soweit sich daher die Beschwerden (mangels Einschränkungen) auch gegen diese Ankündigungen richten, waren sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.

Dadurch aber, dass die belangte Behörde feststellend über ihre Unzuständigkeit absprach, belastete sie die Spruchpunkte I. der angefochtenen Erledigungen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren (in diesem Sinn schon das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1959, Zl. 187/57, Slg. 4974/A).

Dies konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG ohne Durchführung der von den Beschwerdeführern beantragten mündlichen Verhandlung erfolgen, zumal mit diesem Erkenntnis nicht nur keine Entscheidung in der Sache selbst, sondern auch keine (abschließende) Entscheidung zur Frage der Zuständigkeit ergeht.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 23. Juni 2009

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