VwGH 2008/22/0592

VwGH2008/22/05923.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch die Brunner § Kohlbacher Advokatur GmbH in 8010 Graz, Keesgasse 11, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 27. Juni 2006, Zl. 314.946/2- III/4/05, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Beschwerdeführer am 13. Juni 1999 gemeinsam mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern illegal in Österreich eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe. Die Asylanträge des Beschwerdeführers und seiner Familie seien zweitinstanzlich rechtskräftig "negativ" entschieden worden und es sei gemäß § 8 Asylgesetz festgestellt worden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in deren Heimat zulässig sei. Da der Beschwerdeführer noch nie über einen Sichtvermerk, eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung verfügt habe, sei sein nunmehriger Antrag vom 19. Juli 2004 als Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu werten. Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 und 2 NAG zu beachten. Da sich der Beschwerdeführer vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten habe, stehe § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung des Antrages entgegen.

In der weiteren Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass gemäß § 74 NAG von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zuzulassen sei, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt würden. Eine Überprüfung im Sinn des § 72 NAG sei von Amts wegen durchgeführt worden und es stelle die belangte Behörde fest, dass kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei. Die wirtschaftliche Lage im Kosovo sei bekannt. Es würden aber erhebliche finanzielle Mittel aufgewendet, um die wirtschaftliche Lage im Kosovo zu verbessern. Darüber hinaus sorge eine internationale Friedenstruppe für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Eine gefahrlose Rückkehr in die Heimat des Beschwerdeführers sei jederzeit möglich. Durch die Asylentscheidung sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer keiner Verfolgung ausgesetzt sei.

Weiters führte die belangte Behörde aus, dass "das Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich von vornherein nicht geeignet sind, einen Grund im Sinn des § 10 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997", der § 72 NAG entspreche, aufzuzeigen. Im vorliegenden Fall sei daher festgestellt worden, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:

Gemäß § 74 NAG hat die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt werden. Gemäß § 72 Abs. 1 NAG kann die Behörde im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses, ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt ist. § 72 NAG stellt somit auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, 2008/22/0268).

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die die fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer fremdenpolizeilichen aufenthaltsbeendenden Maßnahme entgegensteht bzw. humanitäre Gründe im Sinn der §§ 72 ff NAG zu bejahen sind. Maßgeblich sind dabei - wie zum Teil schon angesprochen - die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität und die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert; sowie die Bindungen zum Heimatstaat. Aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, sind bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, 2007/21/0317, 0318, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2007, B 1150/07, und die dort zitierte Rechtsprechung des EGMR).

Indem die belangte Behörde dem "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" und der "Integration in Österreich" - eine solche wurde dem Beschwerdeführer von der erstinstanzlichen Behörde in erheblichem Ausmaß zugestanden und auch von der belangten Behörde nicht verneint - von vornherein die Eignung abgesprochen hat, als Beurteilungskriterien bei der nach den §§ 72 ff NAG durchzuführenden Interessenabwägung zu dienen, hat sie - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - die Rechtslage (schon vom Ansatz her) verkannt. Da angesichts des langen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers mit seiner Familie und der behaupteten integrationsbegründenden Umstände nicht von vornherein auszuschließen ist, dass die belangte Behörde zur Bejahung humanitärer Gründe im Sinn des § 72 NAG gelangen könnte, war der angefochtene Bescheid wegen des auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden Feststellungsmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 3. April 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte