Normen
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von "Serbien und Montenegro", auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1, Z. 2 und Z. 4 sowie § 11 Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Am 14. November 2003 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung (aus humanitären Gründen) gestellt, der vom "Amt der Wiener Landesregierung" mit Bescheid vom 27. Jänner 2004 abgewiesen worden sei. Die dagegen erhobene Berufung sei vom "Bundesministerium für Inneres" mit Bescheid vom 24. August 2004 abgewiesen worden. Der Verfassungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 13. Mai (richtig: Dezember) 2005, B 1159/04, der dagegen erhobenen Beschwerde stattgegeben und den genannten Bescheid des Bundesministers für Inneres behoben.
Im nunmehr im zweiten Rechtsgang ergangenen angefochtenen Bescheid führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer mit einem von der österreichischen Botschaft in Belgrad ausgestellten Visum C nach Österreich eingereist sei und am 25. Juni 2003 durch seinen Rechtsvertreter einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft mit den Eltern bzw. Kindern" eingebracht habe. Laut ZMR-Anfrage sei der Beschwerdeführer seit 18. Juni 2003 mit Hauptwohnsitz in Wien behördlich gemeldet gewesen.
Laut Aktenlage bzw. Vorbringen des Beschwerdeführers sei dieser in der Zeit von 1974 bis 1997 in Österreich aufhältig gewesen. Ende 1997 habe er Österreich verlassen, da gegen ihn ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei.
Die Kinder des Beschwerdeführers D, geboren am 15. Juni 1986, J, geboren am 26. Februar 1988, und D, geboren am 26. Februar 1993, besäßen unbefristete Niederlassungsbewilligungen. Bisher habe die Mutter des Beschwerdeführers die alleinige Obsorge für die Kinder gehabt.
Am 20. Juni 2003 sei dem Beschwerdeführer auf dessen Antrag die alleinige Obsorge für seine Kinder übertragen worden. Laut Aktenlage lebten alle Familienmitglieder an einer genannten Adresse in Wien im gemeinsamen Haushalt.
Der Aufforderung vom 29. März 2006 auf Vorlage weiterer Unterlagen sei der Beschwerdeführer nachgekommen. Daraus sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer von seiner Mutter und seiner Tochter finanziell unterstützt werde. Aus der vorgelegten Lohnbestätigung seiner Tochter sei zu entnehmen, dass diese ein Nettoeinkommen in der Höhe von EUR 950,-- monatlich beziehe. Der Beschwerdeführer sei mit seiner Tochter bei der WGKK mitversichert. Die Mutter des Beschwerdeführers erhalte eine Alters- und eine Witwenpension in Höhe von EUR 751,-- monatlich. Als Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft sei ein Wohnungsuntermietvertrag, lautend auf die Mutter des Beschwerdeführers, vorgelegt worden, welcher am 1. März 1985 begonnen und ohne weitere Aufkündigungen am 31. August 1985 geendet habe.
Unter Hinweis auf die §§ 21 Abs. 1 und 11 Abs. 2, 3 und 5 NAG führte die belangte Behörde weiters aus, dass durch den Aufenthalt der Kinder und der Mutter des Beschwerdeführers im Bundesgebiet familiäre Bindungen in Österreich bestünden, zumal ihm die alleinige Obsorge für die Kinder übertragen worden sei. Die Kinder D und J seien bereits volljährig, der Sohn D sei erst 13 Jahre alt. Alle Kinder besäßen unbefristete Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet.
Da es sich im vorliegenden Fall jedoch um einen Erstantrag handle und mangels Aufenthaltsrecht für Österreich auch kein Privat- oder Familienleben geführt worden sei, könne im vorliegenden Fall auch nicht von einer Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens gesprochen werden.
Der Verfassungsgerichtshof habe festgestellt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Judikatur einer Ausländerfamilie nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zugestehe. Art. 8 EMRK umfasse nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben. Auch beinhalte Art. 8 EMRK nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Des Weiteren bestehe laut EGMR nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens. Jeder Vertragsstaat habe das Recht, die Einreise von "Nichtstaatsangehörigen" einer Kontrolle zu unterwerfen.
Der Beschwerdeführer habe trotz Aufforderung keinen Nachweis über eigene Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes im Bundesgebiet erbringen können. Daher gehe die belangte Behörde davon aus, dass sein Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Er habe drei Kinder, von denen bereits zwei Kinder volljährig seien. Er lebe im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter, die für die Unterkunft lediglich einen - laut Vertrag - abgelaufenen Untermietvertrag besitze.
Es bestehe ein öffentliches Interesse an einer geordneten Handhabung der fremdenrechtlichen Bestimmungen.
Bei Abwägung der privaten Interessen mit den öffentlichen Interessen des Art. 8 Abs. 2 EMRK sei festgestellt worden, dass im gegenständlichen Fall die öffentlichen Interessen überwögen. Der Beschwerdeführer sei bereits mehr als zwei Jahre illegal in Österreich aufhältig. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er gewillt sei, die in Österreich geltende Rechtsordnung einzuhalten.
Der Antrag sei abzuweisen gewesen, da die Sicherung des Lebensunterhaltes und der Unterkunft überdies wichtige Grundvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz darstellten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:
Gemäß § 11 Abs. 2 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn u.a. (Z. 1) der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet, (Z. 2) der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird und (Z. 4) der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Gemäß § 11 Abs. 3 leg. cit. kann ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z. 1 bis Z. 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist. Gemäß Abs. 5 leg. cit. führt der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z. 4), wenn er feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z. 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen.
Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Feststellungen der belangten Behörde, dass er trotz Aufforderung keinen Nachweis über eigene Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes habe erbringen können. Den Verwaltungsakten ist auch nicht zu entnehmen, dass er einen Rechtsanspruch auf Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche gemäß § 2 Abs. 4 Z. 3 NAG nachgewiesen hätte. Das Beschwerdevorbringen, "dass sich der Beschwerdeführer seit 20.06.2003 in Österreich aufhält und bis dato keine Gebietskörperschaft beansprucht hat", lässt konkrete Angaben über die dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel vermissen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, 2008/18/0576) und stellt - entgegen der Beschwerdeansicht - keinen geeigneten Nachweis der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG dar. Weiters blieb unbestritten, dass der zum Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft vorgelegte Wohnungsuntermietvertrag, lautend auf die Mutter des Beschwerdeführers, bereits 1985 geendet hat. Von daher begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z. 2 und 4 NAG nicht vorlägen, keinen Bedenken.
Somit war zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten war.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem (den Beschwerdeführer betreffenden) Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, B 1159/04, u.a. ausgeführt:
"2.1. Art 8 EMRK enthält zwar kein Recht von Ausländern auf Entfaltung des Familienlebens in einem bestimmten Staat ihres Aufenthalts (vgl. EGMR, 19.2.1996, Gül gegen die Schweiz, Nr. 53/1995/559/645, RJD 1996-I, Z38). Dennoch kann sich gemäß Art 8 EMRK unter besonderen Umständen eine Verpflichtung des Staates ergeben, die Einreise und Niederlassung von Familienangehörigen zu ermöglichen (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Auflage, 2005, § 22, Rz. 28 und 45 mwN), mit der Folge, dass die Verweigerung der Einreise oder Niederlassung einen Eingriff in das Grundrecht bildet. Solche Umstände sind hier gegeben: Die drei (überwiegend minderjährigen, seiner Obsorge anvertrauten) Kinder des Beschwerdeführers verfügen über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung, leben seit ihrer Geburt in Österreich und haben hier ihre Pflichtschulausbildung absolviert (bzw. absolvieren diese noch). Auch die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid offensichtlich davon aus, dass die Rechte nach Art 8 EMRK durch ihre Entscheidung berührt sind. Die Nichterteilung einer Erstniederlassungsbewilligung bildet daher einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art 8 Abs. 1 EMRK.
......
Ob im konkreten Fall besonders berücksichtigungswürdige humanitäre Gründe in verfassungskonformer Interpretation des Gesetzes die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gebieten, kann nur auf Grund einer eingehenden Analyse der Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Dabei sind entsprechend der Judikatur des EGMR (vgl. die Zusammenfassung bei Grabenwarter, a.a.O., § 22 Rz 45) die Nachteile des Beschwerdeführers dem Gewicht des legitimen Ziels des Eingriffs gegenüber zu stellen.
2.5. Die belangte Behörde hat ..... wesentliche Umstände des
Einzelfalls sachverhaltsmäßig nicht hinreichend geklärt ...."
Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK der Versagung einer Aufenthaltsbewilligung entgegensteht. Maßgeblich sind dabei unter anderem die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert; sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0592, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2007, B 1150/07, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR).
Mit der allein darauf gestützten Schlussfolgerung, mangels eines Aufenthaltsrechts sei durch den Beschwerdeführer kein Privat- und Familienleben geführt worden, hat die belangte Behörde einerseits die Rechtslage verkannt, weil auch im Falle eines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Privat- oder Familienleben geführt werden kann, das von Art. 8 EMRK umfasst ist. Andererseits hat sie die im Erkenntnis des VfGH vom 13. Dezember 2005 angestellten Überlegungen, dass die Nichterteilung einer Erstniederlassungsbewilligung einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK bilde und auf Grund einer eingehenden Analyse die Nachteile des Beschwerdeführers dem Gewicht des legitimen Zieles des Eingriffes gegenüberzustellen seien, vernachlässigt.
Bei Vermeidung dieses Rechtsirrtums hätte die belangte Behörde zu einer für den Beschwerdeführer günstigen Erledigung des Falles gelangen können. Unter Berücksichtigung der bereits dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2005 zu Grunde liegenden Umstände, dass sich der Beschwerdeführer seit seinem 7. Lebensjahr, zwischen 1974 und 1997, mit seiner Familie in Österreich aufgehalten hat und seit Mitte 2003 hier mit seinen drei Kindern, die alle in Österreich geboren wurden, für die er die alleinige Obsorge hat und die alle unbefristete Aufenthaltstitel besitzen, sowie seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt lebt, kann in der Verweigerung eines Aufenthaltstitels ein unzulässiger Eingriff in sein Privat- und Familienleben liegen.
Demnach war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen - der vorrangig wahrzunehmenden - inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 18. Juni 2009
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