VwGH 2008/21/0404

VwGH2008/21/04048.7.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Jantschgi, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 3. März 2008, Zl. Senat-FR-07-0100, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, reiste am 4. Februar 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragte am Tag darauf die Gewährung von internationalem Schutz. Mit Bescheid vom 24. Februar 2006 wies das Bundesasylamt diesen Antrag gemäß den §§ 5 und 10 AsylG 2005 zurück, stellte die Zuständigkeit der Slowakei für die Prüfung des Antrages fest, wies den Beschwerdeführer in die Slowakei aus und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Slowakei für zulässig. Eine dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 16. März 2006 als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer wurde am 2. Mai 2006 in die Slowakei überstellt.

Am 19. Mai 2006 reiste er erneut von der Slowakei nach Österreich ein und beantragte - neuerlich ohne Erfolg - die Gewährung von internationalem Schutz. Am 25. Juli 2006 wurde der Beschwerdeführer wiederum in die Slowakei überstellt.

Mit Eingabe vom 11. September 2006 beantragte der - nunmehr anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer unter gleichzeitiger Nachholung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den erwähnten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. März 2006. Nachdem dieser Beschwerde - mit hg. Beschluss vom 14. September 2006, Zl. AW 2006/20/0329 - die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, reiste der Beschwerdeführer neuerlich nach Österreich ein, wo er am 2. Oktober 2006 in einem Flüchtlingsheim der Diakonie in 1090 Wien - polizeilich gemeldet - untergebracht wurde und dort seither seinen Wohnsitz unterhält.

Mit hg. Beschluss vom 21. Dezember 2006, Zlen. 2006/20/0428 und 0429, wurde dem genannten Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 46 Abs. 1 VwGG nicht stattgegeben und die Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 16. März 2006 zurückgewiesen.

Am 8. August 2007 stellte der Beschwerdeführer in Traiskirchen einen neuerlichen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 8. August 2007 verhängte daraufhin die Bezirkshauptmannschaft Baden über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z. 4 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 sowie zur Sicherung seiner Abschiebung. Auf Grund dieser Anordnung wurde der Beschwerdeführer, der bereits bei seiner Einvernahme am 8. August 2007 auf eine Blutvergiftung, absterbendes Gewebe an seinen Füßen und die ständige Einnahme von Medikamenten verwiesen hatte, bis zum 14. August 2007 in Schubhaft angehalten.

Die Enthaftung erfolgte, nachdem der Polizeiamtsarzt beim Beschwerdeführer u.a. eine Thrombangitis Obliterans rechts sowie eine Geschwür an der dritten Zehe rechts beim Zustand nach einer Amputation der ersten und zweiten Zehe (die im Mai 2007 im Allgemeinen Krankenhaus Wien vorgenommen worden war und wobei es sich laut Angaben des Beschwerdeführers um Folgen von Erfrierungen auf Grund asylrelevanter Verfolgungen in seinem Heimatstaat gehandelt hatte) diagnostiziert hatte. Es wurde daher von Haftunfähigkeit ausgegangen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. März 2008 wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer am 3. September 2007 erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab.

Begründend stellte sie - nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und Darstellung der Rechtslage - fest, der Beschwerdeführer sei an der erwähnten Unterbringungsstelle der Diakonie in 1090 Wien gemeinsam mit seinem Cousin, der sich in Österreich als anerkannter Flüchtling aufhalte, ab 2. Oktober 2006 gemeldet gewesen. Ansonsten seien jedoch "keine sozialintegrativen Anhaltspunkte bezüglich Österreich nachzuvollziehen, wie auch eine Integration in arbeitsmarktrechtlicher Hinsicht nicht gegeben zu sein schein(e)".

Im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft seien die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG vorgelegen. Auf Grund der bereits gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren habe die Fremdenpolizeibehörde erster Instanz mit Recht davon ausgehen können, dass auch der am 8. August 2007 gestellte Antrag auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werde. Daran könne auch die aus eigenem Antrieb erfolgte Kontaktaufnahme des Beschwerdeführers mit den österreichischen Behörden an diesem Tag nichts ändern, habe er doch bereits gezeigt, dass ihn die hier geltenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nicht sonderlich tangierten. Auch habe ihm bekannt sein müssen, dass ausschließlich die Slowakei zur Prüfung des dort bereits gestellten Asylantrages zuständig sei.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei seine "Haftfähigkeit eine Frage der Haftprüfung, für welche ein eigenes Verfahren vorgesehen" sei. Der Gesundheitszustand eines Menschen sei, wenn sich daraus nicht schon offenkundig bei der Schubhaftverhängung die Gefahr des - hier relevanten - Untertauchens derart minimiere, dass der Zweck der Maßnahme in Frage zu stellen wäre, "kein Tatbestandsmerkmal der Schubhaftverhängung". Da "augenscheinlich die Haftunfähigkeit festzustellen war und (es) infolge des Anstaltsverfahrens, kurz nach der Verhängung gegenständlicher Schubhaft, wegen einer medizinisch vorgeschlagenen notwendigen Therapie zur Haftbeendigung kam, erübrigten sich hiezu nähere Erwägungen". Auch die Frage des psychischen Zustandes einer Person betreffe die Haftfähigkeit. Aus den vorgelegten Unterlagen seien Anhaltspunkte dafür, dass wegen der vom Beschwerdeführer behaupteten Traumatisierung die gegenständliche Schubhaft überhaupt nicht hätte verhängt werden dürfen, nicht zu entnehmen.

Insgesamt sei die Verhängung der Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft Baden daher nicht zu beanstanden. Ein gelinderes Mittel, etwa in der Form, dass der Beschwerdeführer an seiner Meldeadresse zu verbleiben und regelmäßig bei der Polizei vorzusprechen hätte, könnte dem Gesetzeszweck nicht gerecht werden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer hat, nach der Amputation von zwei Zehen während seines Aufenthalts in Österreich im Mai 2007, bereits im Zuge seiner Einvernahme am 8. August 2007 massive gesundheitliche Probleme geltend gemacht. Am 14. August 2007 wurde er wegen amtsärztlich diagnostizierter Haftunfähigkeit enthaftet. Es wäre daher, dem Vorbringen in der an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde entsprechend, seine Haftunfähigkeit ab dem 8. August 2007, die eine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit seiner Anhaltung betrifft, einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen gewesen. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, weil eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine fortdauernde Haftunfähigkeit bereits im damaligen Zeitpunkt resultiert hätte, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führen könnte, dass an Stelle der Anordnung der Schubhaft die Anwendung gelinderer Mittel ausreichend gewesen wäre (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/21/0069, und vom 27. Mai 2009, Zl. 2008/21/0196).

Dazu sind im Beschwerdefall die festgestellten familiären Kontakte zu dem (gemeinsam mit ihm wohnenden) Cousin und die aufrechte Meldung des Beschwerdeführers in Wien seit dem 2. Oktober 2006 zu berücksichtigen. Dem von der belangten Behörde in ihrer Begründung erwähnten Fehlen einer Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt kommt dagegen für Asylwerber keine relevante Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2008/21/0075).

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 8. Juli 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte