VwGH 2007/21/0105

VwGH2007/21/01058.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Hildegard Wanka, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Josefstädter Straße 85/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 23. August 2006, Zl. 2Fr-67-1/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen kroatischen Staatsangehörigen, gemäß §§ 60 Abs. 1 und 2 Z 1, 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 1. August 2006 (richtig: 1. August 2005) rechtskräftig (Eintritt der Rechtskraft: 5. August 2005) wegen § 28 Abs. 2 zweiter Fall und § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, welche unter Anordnung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei, verurteilt worden. Diesem Urteil sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer in Villach und anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift

1.) im Sommer 2001 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit österreichischen Staatsbürgern in einer zumindest siebenfach großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG), nämlich mindestens 3000 Gramm Cannabiskraut mit einer Reinsubstanz von mindestens 140 Gramm Delta-9-THC, aus Kroatien, Slowenien und Italien über den Grenzübergang Thörl-Maglern nach Österreich eingeführt habe,

2.) in der Zeit von Herbst 2001 bis Ende Jänner 2004 außer den Fällen des § 28 SMG erworben, besessen und anderen überlassen habe, und zwar eine unbestimmte Menge Cannabis bis zum teils gemeinschaftlichen Konsum.

In diesem Urteil sei auch auf das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 5. September 2002 wegen § 27 Abs. 1 SMG "verwiesen" worden. Dieses Urteil sei ergangen, weil der Beschwerdeführer im Zeitraum von Anfang November 2000 bis 5. August 2001 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich Cannabisprodukte erworben, eingeführt, besessen und anderen überlassen habe. Dieses Urteil sei nach erfolgter Wiederaufnahme, soweit es die Einfuhr von Cannabisprodukten im Mai und Juni 2001 von Slowenien nach Österreich betroffen habe, aufgehoben worden, sonst sei dieses Urteil von der "Wiederaufnahmeentscheidung" unberührt geblieben.

Auch weise der Beschwerdeführer zwei weitere rechtskräftige Verurteilungen auf. Er sei am 7. August 2003 vom Bezirksgericht Villach wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 80 Tagessätzen, wobei die Hälfte der Geldstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei, verurteilt worden. Am 23. Februar 2006 (richtig: 23. Februar 2005) habe ihn das Bezirksgericht Spittal/Drau nach § 133 Abs. 1 StGB (wegen Veruntreuung) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

Auf Grund des den Urteilen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens, insbesondere infolge der großen Menge importierten Suchtgiftes, komme die belangte Behörde zum Schluss, dass "in Anbetracht der Art und Weise", in der die Straftaten begangen worden seien, ein Charakterbild des Beschwerdeführers zu erkennen sei, das den Schluss rechtfertige, er sei gegenüber den zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Integrität anderer Personen erlassenen Vorschriften sowie gegenüber der österreichischen Rechtsordnung überhaupt negativ eingestellt. Sohin - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung weiter - scheine die in § 60 Abs. 1 FPG "umschriebene Annahme (Gefährlichkeitsprognose) gerechtfertigt".

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch nach § 66 FPG zulässig. Bei der diesbezüglichen Prüfung sei berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer kroatischer Staatsangehöriger sei, sich seit November 1991 beinahe (außer im Jahr 2001, in dem er den Militärdienst in Kroatien in der Dauer von sechs Monaten absolviert habe) durchgehend im Bundesgebiet aufhalte, er die Volksschule, Hauptschule und den Polytechnischen Lehrgang in Österreich besucht und als Landmaschinentechniker die Gesellenprüfung abgelegt habe, seit 1997 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsberechtigung sei und seine Eltern sowie seine Schwester in Österreich lebten. Aus diesen Gründen liege zwar ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers vor, dieser Eingriff werde jedoch durch das langjährig gesetzte Fehlverhalten, welches von 2000 bis 2005 angedauert habe, stark relativiert. Auf Grund der Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten und des daraus erkennbaren Charakterbildes sowie der daraus resultierenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit folge, dass "unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen" die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers, auch wenn diese bedeutend seien, hätten hinter den öffentlichen Interessen zurückzustehen. Der Kontakt zur Schwester und zu den Eltern könne auch durch Besuche im Ausland oder durch Telefonate aufrechterhalten werden.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch nach § 61 Abs. 3 (gemeint: Z 3) FPG nicht unzulässig, weil die Staatsbürgerschaft erst nach Ablauf von zehn Jahren hätte verliehen werden können. Die strafbaren Handlungen seien im Jahr 2000 begonnen worden, weshalb das Fehlverhalten bereits vor Ablauf der zehn Jahre gesetzt worden sei und daher die Staatsbürgerschaft nicht mehr hätte verliehen werden können. Auch stehe § 61 Z 4 FPG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil der im Jahr 1982 geborene Beschwerdeführer erst seit November 1991 im Bundesgebiet lebe und somit nicht als von klein auf im Inland aufgewachsen im Sinn des § 61 Z 4 FPG anzusehen sei.

Es habe auch nicht im Rahmen der Ermessensentscheidung von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand genommen werden können. Die Fremdenpolizeibehörde habe das Fehlverhalten eines Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von gerichtlichen Erwägungen zur Strafbemessung bzw. Gewährung bedingter Strafnachsicht vorzunehmen. Die Gründe "für die negative Handhabung des Ermessens" lägen im Hinblick auf das "Vergehen bzw. Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz auf der Hand".

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 27. Februar 2007 ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde hat das gegenständliche Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 FPG gestützt. Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte eine Gefährdungsannahme im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Ausgehend von den im angefochtenen Bescheid dargestellten und vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen, insbesondere jener vom 1. August 2005, liegt die Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG unzweifelhaft - und vom Beschwerdeführer auch unbestritten - vor.

Den Feststellungen zufolge verfügte der Beschwerdeführer allerdings seit dem Jahr 1997 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Zuletzt wurde ihm am 23. Juli 2002 eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck mit unbefristeter Geltungsdauer erteilt. Diese Niederlassungsbewilligung galt ab 1. Jänner 2006 gemäß § 81 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz iVm § 11 Abs. 3 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" weiter. Aus diesem Grund wäre die Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes gemäß § 56 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer, der bereits vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war, nur dann zulässig, wenn sein weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Als solche schwere Gefahr hat gemäß § 56 Abs. 2 FPG insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt, Eingehen oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder gemäß der §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des besonderen Teils des StGB (Z 1) oder wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihm begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten (Z 2) rechtskräftig verurteilt worden ist.

Die in § 56 Abs. 1 FPG genannte Gefährdungsprognose ist zwar bei Vorliegen der (beispielsweisen) Fälle des § 56 Abs. 2 FPG indiziert, allerdings kommt es bei der Prognosebeurteilung nach § 56 Abs. 1 FPG, ebenso wie schon bei der - in Relation zu § 56 Abs. 1 FPG ein geringeres Maß verlangenden - Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Verhalten an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. dazu sowie zur Systematik der "abgestuften Gefährdungsprognosen" nach dem FPG das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603, und daran anschließend etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0324, und 3. April 2009, Zl. 2008/22/0913).

Der belangten Behörde ist nun vorzuwerfen, dass sie verkannte, dass sie die Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nicht am Gefährdungsmaßstab des § 60 Abs. 1 FPG, sondern an jenem des § 56 Abs. 1 FPG vorzunehmen hatte. In Verkennung dieser Rechtslage traf sie keine ausreichenden Feststellungen zum den strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers, die die Beurteilung des Vorliegens des hier anzuwendenden Gefährdungsmaßstabes ermöglicht hätten. Im vorliegenden Fall ist für diese Beurteilung die bloße Wiedergabe des Urteilstenores des Urteils des Landesgericht Klagenfurt vom 1. August 2005 und der Hinweis auf Teile des Spruches des Urteils des Bezirksgerichts Villach vom 5. September 2002 nicht ausreichend. Die belangte Behörde leitete aus der "Art und Weise" der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten ab, dass er ein Charakterbild erkennen lasse, das den Schluss rechtfertige, er sei gegenüber den zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Integrität anderer Personen erlassenen Vorschriften sowie gegenüber der österreichischen Rechtsordnung negativ eingestellt, wobei sich die belangte Behörde dafür "insbesondere" auf "die große Menge des importierten Suchtgiftes" bezog. Nähere Feststellungen, auf welche - sich für die belangte Behörde bei der Erstellung der Gefährdungsprognose als entscheidungswesentlich darstellende - "Art und Weise" die Straftaten begangen worden seien, enthält der angefochtene Bescheid allerdings nicht. Weiters stellen sich die Ausführungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sein strafbares Verhalten bis in das Jahr 2005 fortgesetzt, anhand der Aktenlage nicht als nachvollziehbar dar. Aus den Feststellungen des Urteiles des Landesgerichtes Klagenfurt vom 1. August 2005 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bis zum Ende Jänner 2004 Cannabisprodukte erworben, besessen und anderen überlassen habe, jedoch seit Jänner 2004 keine Suchtgifte mehr zu sich genommen habe. Weder dem - oben wiedergegebenen - Urteilsspruch vom 1. August 2005 noch den sonst in den Verwaltungsakten erliegenden Urteilskopien ist eine nach Ende Jänner 2004 liegende Tatzeit zu entnehmen. Darüber hinaus ließ die belangte Behörde bei der Prüfung der Gefährdungsprognose gänzlich unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer, der den Feststellungen des Landesgerichts Klagenfurt zufolge das von ihm beschaffte Cannabis zum größten Teil selbst konsumierte, mehrfach - zum Teil über fremdenpolizeibehördliche Aufforderung - amtsärztliche Bestätigungen vorlegte, aus denen hervorging, dass in seinem Körper keine Drogeninhaltsstoffe (mehr) nachgewiesen werden konnten und sich im amtsärztlichen Beobachtungszeitraum keine Hinweise auf Fortsetzung des Drogenkonsums ergeben hätten.

Da somit fallbezogen - ungeachtet dessen, dass § 56 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt ist - nicht schon bloß anhand des im Tenor des Urteils vom 1. August 2005 ausgedrückten, nur die für den Urteilsspruch wesentlichen Tatelemente enthaltenden Sachverhalts sowie der kursorischen Hinweise auf weitere Verurteilungen ohne Weiteres geschlossen werden konnte, die in § 56 Abs. 1 FPG geforderte Gefährdungsprognose sei erfüllt, war der angefochtene Bescheid wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 8. September 2009

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