VwGH 2007/21/0324

VwGH2007/21/032417.3.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des O, vertreten durch Dr. Hans Widerin und Mag. Bernd Widerin, Rechtsanwälte in 6700 Bludenz, Rathausgasse 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 20. Juni 2007, Zl. Fr-4250a-31/07, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §45;
NAGDV 2005 §11 Abs1 C litb;
SMG 1997 §39 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §45;
NAGDV 2005 §11 Abs1 C litb;
SMG 1997 §39 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 27. Februar 1986 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, kam Ende 1992 im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern nach Österreich. Er erhielt am 17. Dezember 1992 zunächst einen Sichtvermerk als bosnischer "de-facto-Flüchtling" und am 14. August 1998 erstmals eine Niederlassungsbewilligung. Zuletzt war ihm am 23. Februar 2005 ein Niederlassungsnachweis erteilt worden. Der Beschwerdeführer lebt - nach der Scheidung der Eltern - nunmehr mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt. Er ist ledig und geht einer regelmäßigen Beschäftigung nach.

Ein gegen den damals fünfzehnjährigen Beschwerdeführer aufgrund einer Anzeige vom 28. Mai 2001 geführtes Strafverfahren wegen des Verdachtes des Einbruchsdiebstahls (von alkoholischen Getränken durch Einsteigen in ein Schulgebäude) wurde nach einem außergerichtlichen Tatausgleich wieder eingestellt. Auch das nach einer Anzeige vom 5. Juni 2003 wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG (im Wesentlichen wegen des Ankaufs und der in geringer Menge erfolgten Weitergabe von Marihuana) eingeleitete Strafverfahren wurde in Anwendung des § 35 Abs. 2 SMG wieder eingestellt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. September 2006 wurde der Beschwerdeführer dann aber wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 erster und vierter Fall SMG und des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch zufolge hat er (zusammengefasst) im Zeitraum von Anfang 2005 bis Anfang 2006 einerseits Suchtgift in einer großen Menge (ca. 500 Gramm Marihuana, 120 Gramm Speed und 110 Gramm Kokain) an verschiedene Drogenkonsumenten verkauft und andererseits Suchtgift in einer großen Menge (ca. 350 Gramm Marihuana) durch Anbau, Aufzucht und Ernten von fünf Hanfpflanzen erzeugt. Weiters wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, im Zeitraum von Anfang 2005 bis Jänner 2006 insgesamt etwa 15 Gramm Marihuana, 5 Gramm Kokain und 10 Gramm Speed für den Eigenkonsum erworben und besessen zu haben.

Danach wurde der Beschwerdeführer neuerlich gerichtlich verurteilt, und zwar wurde über ihn wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Ausreißen von Blumen, Zerschlagen einer Blumenschale und Beschädigung einer Absperrung am 1. Oktober 2006) mit Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 20. Dezember 2006 eine bedingt nachgesehene Geldstrafe verhängt.

Schließlich folgte am 26. April 2007 noch eine auf § 288 Abs. 1 StGB gegründete Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch zu einer (unbedingten) Geldstrafe wegen einer am 30. November 2006 getätigten falschen Beweisaussage vor Gericht als Zeuge in einem Strafverfahren.

Vor allem im Hinblick auf das der erstangeführten gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Verhalten erließ die Bezirkshauptmannschaft Bludenz mit Bescheid vom 1. März 2007 gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gegen den Beschwerdeführer ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 20. Juni 2007 nur insoweit Folge gegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt wurde.

Begründend ging die belangte Behörde nach zusammenfassender Wiedergabe des Bescheides der Erstbehörde und der Berufung sowie nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften und Darstellung der gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahren und Gerichtsurteile davon aus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt seien. Aufgrund des den Verurteilungen zugrunde liegenden Gesamtfehlverhaltens und des augenscheinlichen Unvermögens des Beschwerdeführers, sich länger rechtstreu zu verhalten, sei die Annahme gemäß § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde und anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, insbesondere an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Gesundheit anderer, zuwiderlaufe. Die beim Beschwerdeführer vorhandene große kriminelle Energie bzw. negative Sinnesart zeige sich insbesondere dadurch, dass er trotz Verurteilungen und auch eingestellter Gerichtsverfahren immer wieder rückfällig geworden sei bzw. wieder Delikte begangen habe, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten. Daran könne auch das Vorbringen des Beschwerdeführers nichts ändern, es sei für ihn eine positive Zukunftsprognose zu erstellen, weil er nunmehr eine Drogentherapie absolviere, drogenfrei sei und einer Beschäftigung nachgehe. Dem sei - so erwiderte die belangte Behörde - entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer trotz einer im Jahre 2003 absolvierten Drogentherapie wieder rückfällig geworden sei bzw. sein strafbares Verhalten im Suchtmittelbereich sogar merklich gesteigert habe. Außerdem sei die Frage des Gerechtfertigtsein des Aufenthaltsverbotes unabhängig von einer allfälligen Therapiegewährung ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen.

Aufgrund des angeführten schweren Gesamtfehlverhaltens und der wiederholten Rückfälligkeit lasse sich für den Beschwerdeführer derzeit keine positive Zukunftsprognose erstellen. In diesem Zusammenhang betonte die belangte Behörde auch, dass bei Suchtgiftdelikten erfahrungsgemäß von einer hohen Rückfallsquote auszugehen sei. Da der Beschwerdeführer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt worden sei, komme das Aufenthaltsverbot-Verbot gemäß § 61 "Abs. 3" FPG auf ihn nicht zur Anwendung.

Die belangte Behörde traf im Rahmen der weiteren Begründung dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt entsprechende Feststellungen und ging aufgrund dieser Umstände davon aus, dass durch die fremdenpolizeiliche Maßnahme in einem relevanten Maß in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen werde. Angesichts der Vielzahl der Taten, der darin zum Ausdruck kommenden Unbelehrbarkeit des Beschwerdeführers und der daraus resultierenden Gefahr sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aber nicht nur wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, sondern auch im Interesse der Gesundheit anderer und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen dringend geboten, zumal Suchtgiftdelikte allesamt wegen ihrer hohen sozialen Schädlichkeit als äußerst gefährlich einzustufen seien.

Bezüglich der Interessen des Beschwerdeführers seien vor allem der rechtmäßige ununterbrochene Aufenthalt seit Ende 1992 im österreichischen Bundesgebiet, die daraus ableitbare Integration und seine familiären Beziehungen in Österreich anzuführen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände und Abwägung der gegenläufigen Interessen dränge aber das - vor allem bei Suchtgiftdelikten - in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse, den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu untersagen, sein privates und familiäres Interesse in den Hintergrund. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes würden schwerer wiegen als dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen, zumal er sich nunmehr in einem Alter befinde, in dem er nicht mehr auf den direkten Kontakt zu seiner Mutter angewiesen sei. Außerdem könne die "Familieneinheit" auch durch eine gemeinsame Ausreise "wieder hergestellt" werden.

Aufgrund des schweren Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers und der gegebenen hohen Rückfallgefahr bei Suchtgiftdelikten erscheine es erforderlich, selbst bei Berücksichtigung der persönlichen und familiären Interessen des Beschwerdeführers, das Aufenthaltsverbot in der Dauer von zwei Jahren auszusprechen, um den angestrebten Verwaltungszweck, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und insbesondere die Verhinderung weiterer Straftaten, zu erreichen. Die Herabsetzung der Dauer erfolge lediglich aufgrund des relativ jungen Alters des Beschwerdeführers und seiner "derzeitigen augenscheinlichen Bemühungen um Besserung".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde stützte das gegenständliche Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 FPG.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 1).

Die genannte Alternative dieses Tatbestandes des § 60 Abs. 2 FPG ist im gegenständlichen Fall im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellte, oben angeführte rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr jedenfalls erfüllt. Davon ausgehend und unter Einbeziehung des sonstigen Verhaltens des Beschwerdeführers kam die belangte Behörde zu der Ansicht, es sei die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Dieser Einschätzung tritt die Beschwerde entgegen und ist damit im Ergebnis aus folgenden Gründen im Recht:

Zu beachten ist nämlich, dass dem Beschwerdeführer im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 ein Niederlassungsnachweis erteilt wurde, der gemäß § 11 Abs. 1 lit. C b NAG-DV nunmehr als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" gilt. Dem Beschwerdeführer kommt daher die Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der im § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig ist (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603). Das setzte aber voraus, dass die Annahme gerechtfertigt wäre, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers stelle eine (gegenwärtige, hinreichend) schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 56 Abs. 1 FPG dar. Demgegenüber verlangt § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") ein geringeres Maß für die zu befürchtende, vom Fremden ausgehende Gefahr. Angesichts dessen ist der Beschwerdeführer unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles schon dadurch in Rechten verletzt, dass die belangte Behörde nicht auf den - das Bestehen einer qualifizierten Gefährdung erfordernden - Tatbestand des § 56 Abs. 1 FPG abgestellt und lediglich eine Gefährdungsprognose iSd § 60 Abs. 1 FPG erstellt hat.

Daran kann in der hier gegebenen Konstellation auch nichts ändern, dass jedenfalls der eine Gefährdung iSd § 56 Abs. 1 FPG indizierende Tatbestand nach Abs. 2 Z 1 erster Fall dieser Bestimmung (rechtskräftige gerichtliche Verurteilung wegen eines Verbrechens) erfüllt ist. Auch bei dieser Prognosebeurteilung kommt es nämlich in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das zugrundeliegende Verhalten an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. neuerlich das schon zitierte Erkenntnis Zl. 2008/21/0603).

Angesichts dessen ist im vorliegenden Fall aber zunächst maßgeblich, dass die beiden vom Beschwerdeführer als Jugendlicher begangenen Straftaten nicht als schwerwiegend angesehen werden können und die diesbezüglichen Strafverfahren (endgültig) eingestellt wurden. In Bezug auf das als gravierend zu qualifizierende, der Verurteilung vom 4. September 2006 zugrundeliegende Suchtgiftdelikt ist zu beachten, dass die belangte Behörde davon ausging, der Beschwerdeführer absolviere eine Drogentherapie, sei nunmehr drogenfrei und legal beschäftigt. In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer überdies bereits in der Berufung darauf hingewiesen, dass ihm vom Gericht "ausdrücklich ein Strafaufschub für eine Therapie bewilligt" worden und "ein Antrag nach § 39 SMG (Therapie statt Strafe)" wegen Säumnis eines Gutachters damals noch unerledigt gewesen sei (zur vorläufigen mangelnden Durchsetzbarkeit eines Aufenthaltsverbotes und der damit verbundenen Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes bei Gewährung eines Strafaufschubes nach § 39 SMG siehe das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2008, Zl. 2007/21/0555). Vor allem war aber zu berücksichtigen, dass die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung aufgrund seines relativ jungen Alters und seiner "derzeitigen augenscheinlichen Bemühungen um Besserung" derart gering einschätzte, dass sie nach zwei Jahren wieder weggefallen sein werde.

Vor diesem Hintergrund kann aber nicht gesagt werden, die belangte Behörde wäre unter Bedachtnahme auf alle Umstände des vorliegenden Falles auch zu einer qualifiziert negativen Zukunftsprognose iSd § 56 Abs. 1 FPG gekommen.

Schon angesichts dessen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 17. März 2009

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