VwGH 2007/21/0093

VwGH2007/21/00938.7.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Jantschgi, über die Beschwerde des A in S, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Mag. Dr. Roland Kier, Univ.-Doz. Dr. Richard Soyer und Dr. Alexia Stuefer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich vom 4. April 2006, Zl. Senat-FR-06-3023, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem mongolischen Staatsangehörigen, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 21. März 2006 im Gemeindegebiet von Drasenhofen von Beamten der Grenzpolizeiinspektion Großkrut "aufgegriffen" worden. Er sei in Begleitung seines Schwagers und seiner Schwägerin, beide ebenfalls mongolische Staatsangehörige, gewesen. In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer einen Asylantrag gestellt. Erhebungen hätten ergeben, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Tschechien aufgehalten habe. Tschechien sei ein Mitglied der Europäischen Union und "Unterzeichner des Dublin-11-Abkommens" (gemeint offenbar: die Dublin-Verordnung finde im Verhältnis zu Tschechien Anwendung).

Der Beschwerdeführer besitze kein gültiges Reisedokument und sei "offenkundig nicht gewillt oder in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen". Eine Ausreise sei auf Grund "dieser Tatsache aus eigenem Entschluss nicht möglich", so dass "entsprechende fremdenpolizeiliche Sicherungsmaßnahmen zu treffen" seien. Weiters verfüge der Beschwerdeführer über keine ausreichenden Barmittel für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Eine rechtmäßige Beschäftigung könne er nicht ausüben, weil er weder im Besitz einer arbeitsmarktrechtlichen noch aufenthaltsrechtlichen Bewilligung sei.

Es genüge - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung -, dass die Behörde auf Grund der ihr bis zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung bekannten Umstände berechtigten Grund zur Annahme haben könne, fremdenpolizeiliche Maßnahmen, Verfahrensschritte oder Vollzugshandlungen würden möglich sein. Ob diese auch tatsächlich erlassen oder verhängt würden, sei im Hinblick "auf die in § 76 (1 und 2) FPG 2005 umschriebenen Schubhaftzwecke" nicht abschließend zu beurteilen.

Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und unter dem Gesichtspunkt nach § 77 FPG sei festzuhalten, dass es auf Grund des erhobenen Sachverhaltes feststehe, dass es zur Zurückweisung des vom Beschwerdeführer gestellten Antrages auf internationalen Schutz kommen werde, weil ein "Dublin-Bezug zur CZ-Republik als nahezu sicher gelten" könne. Auf Grund der nicht restlos geklärten Identität und der fehlenden Möglichkeit zur legalen Ausreise erscheine die Schubhaft als einzig taugliches und der "Sach- und Rechtslage adäquates" Sicherungsmittel.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2007 ablehnte und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Über die - auftragsgemäß ergänzte - Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Bescheid keine Ausführungen dazu enthält, auf welche Rechtsgrundlage die Schubhaft gestützt wurde. Die belangte Behörde erwähnte sowohl Abs. 1 als auch Abs. 2 des § 76 FPG, ohne jedoch eine Subsumtion unter einen der dort angeführten Tatbestände vorzunehmen.

Den inhaltlichen Ausführungen des angefochtenen Bescheides kann allerdings mit noch hinreichender Deutlichkeit entnommen werden kann, dass offenbar der Tatbestand der Z 4 des § 76 Abs. 2 FPG, auf den sich schon die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach bei der Schubhaftverhängung gestützt hatte, die Grundlage für die Schubhaft darstellen sollte.

Der belangten Behörde ist nun vorzuwerfen, dass sie bei Prüfung des Schubhaftgrundes nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass selbst bei Vorliegen des Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG (was vom Beschwerdeführer allerdings bestritten wurde, hier aber dahingestellt bleiben kann) die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesem frühen Stadium des Asylverfahrens ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. ausführlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, sowie aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, Zl. 2006/21/0341).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach betont, dass die Verhängung der Schubhaft in "Dublinfällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden darf. Besondere Gesichtspunkte, die erkennen ließen, es handle sich hier um eine von den typischen "Dublinfällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Beschwerdeführer geschlossen hätte werden können, sind dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde weist in diesem Zusammenhang auf die unrechtmäßige Einreise, das Fehlen eines Reisedokuments sowie das Fehlen von Barmitteln hin. Dabei handelt es sich allerdings um keine Umstände, die den gegenständlichen Fall gegenüber sonstigen typischen "Dublinfällen" auszeichnen würden und die Notwendigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft darlegen könnten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2009, Zl. 2007/21/0037, mwH). Dies gilt auch für die nach Ansicht der belangten Behörde nicht "restlos geklärte" Identität des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer zu seiner Identität falsche Angaben gemacht hätte, um allfällige fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu vereiteln, oder auf Grund bestimmter Umstände konkrete Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben hervorgekommen wären, ist weder dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen noch ergibt sich solches aus den vorgelegten Verwaltungsakten.

Soweit die belangte Behörde auf das Fehlen einer berufliche Integration des Beschwerdeführers abstellt, handelt es sich dabei in Bezug auf (wie der Beschwerdeführer noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt. Der Frage der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233, mwH).

Der angefochtene Bescheid war sohin schon deswegen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Bei diesem Ergebnis musste auf die weiteren in der Beschwerde enthaltenen Rügen nicht mehr eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 8. Juli 2009

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