VwGH 2006/21/0344

VwGH2006/21/034430.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des K, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Mag. Dr. Roland Kier, Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer und Dr. Alexia Stuefer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 3. Oktober 2006, Zl. Senat-FR-06-3048, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Herkunft, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) als unbegründet ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 14. September 2006 im Ortsgebiet von Mitterretzbach angehalten und festgenommen worden. In der Folge habe er einen Asylantrag gestellt. Vor seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet habe er sich in Polen aufgehalten. Daher sei ein "sog. Dublinbezug zu diesem Mitgliedstaat der EU" gegeben. Auf Grund der "derzeitigen Aktenlage und der Informationen durch das BAA" sei davon auszugehen, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werde. Eine Ausreise aus eigenem Entschluss sei dem Beschwerdeführer nicht möglich, weil er über kein gültiges Reisedokument verfüge, weshalb fremdenpolizeiliche Maßnahmen notwendig seien. Es genüge zur Schubhaftverhängung, dass die Behörde auf Grund der ihr bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Umstände berechtigten Grund zur Annahme haben könne, dass die zu sichernden Maßnahmen, wie etwa Aufenthaltsverbot, Ausweisung oder Abschiebung, möglich sein würden. Zum Sicherungsbedarf führte die belangte Behörde aus, es sei keinerlei berufliche oder soziale Verankerung des Beschwerdeführers im Inland erkennbar, weshalb zu befürchten sei, dass er, falls er sich auf freiem Fuß befinde, im Bundesgebiet untertauchen werde. Daher erscheine die Schubhaft als einzig taugliches Mittel, um die fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu sichern. Die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers seien "im Bereich der EAST-Ost in Traiskirchen" untergebracht. Da der Beschwerdeführer jedoch "die treibende Kraft der bisherigen schleppergesteuerten Reisebewegungen der Familie und sohin auch bei der illegalen Einreise in das Bundesgebiet" gewesen sei, sei es schon aus diesem Grund geboten, den Beschwerdeführer gesondert von den übrigen Familienangehörigen zu verwahren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat bei Prüfung des Schubhaftgrundes nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG - hier infolge der nachvollziehbaren Annahme, es werde wegen der wahrscheinlichen Zuständigkeit Polens im Asylverfahren zur Antragszurückweisung und Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 kommen, vorerst jener nach der Z 4 und nach der (der Aktenlage entnehmbaren und offenbar von der belangten Behörde mit "Informationen durch das BAA" gemeinten) Einleitung des Ausweisungsverfahrens jener nach der Z 2 - die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesen Asylverfahrensstadien ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. zum Ganzen ausführlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Dass der Beschwerdeführer unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist ist, um hier wegen der behaupteten Verfolgung in seinem Heimatland einen Antrag auf internationalen Schutz einzubringen, stellt keinen besonderen Umstand dar, der in nachvollziehbarer Weise den Schluss zuließe, der Beschwerdeführer werde sich dem Verfahren durch "Untertauchen" entziehen. Daran ändert auch nichts, dass die Einreise des Beschwerdeführers und seiner Familie in das Bundesgebiet unter Inanspruchnahme eines Schleppers erfolgte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233). Darüber hinaus ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen, dass die Fremdenpolizeibehörde oder die belangte Behörde davon ausgegangen wären, die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Personaldaten, ungeachtet dessen, dass er über kein Identitätsdokument verfügt (oder seine sonstigen Angaben, die aber - trotz Hinweis, dass solche getätigt wurden - in den vorgelegten Akten nicht enthalten sind) seien unrichtig.

Vor diesem Hintergrund fehlen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschwerdeführer werde sich dem weiteren Verfahren entziehen und für die Behörden nicht erreichbar sein. Für eine solche Befürchtung müssten vielmehr, vor allem aus dem bisherigen Verhalten des Fremden ableitbare spezifische Hinweise bestehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach betont, dass die Verhängung der Schubhaft in "Dublin-Fällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden darf. Besondere Gesichtspunkte, die erkennen ließen, es handle sich hier um eine von den typischen "Dublin-Fällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Beschwerdeführer geschlossen hätte werden können, sind fallbezogen, und zwar ungeachtet dessen, dass im Asylverfahren das Ausweisungsverfahren formell eingeleitet worden war, nicht erkennbar.

Die belangte Behörde stellte bei ihrer Beurteilung tragend auf die fehlende soziale und berufliche Integration des Beschwerdeführers ab. Dabei handelt es sich aber in Bezug auf (wie der Beschwerdeführer noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt. Der Frage der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. zum Gesamten etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233, mwH).

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. April 2009

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