VwGH 2006/18/0451

VwGH2006/18/045125.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des P R (vormals: S) in W, geboren am 7. November 1978, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Oktober 2006, Zl. SD 1086/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

EheG §23;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §61;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
EheG §23;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §61;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 18. Oktober 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 9 sowie § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von (nunmehr) zehn Jahren erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 20. April 2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist sei, einen Asylantrag gestellt und die gegen die negative Entscheidung eingebrachte Berufung zurückgezogen habe, da er am 12. Juli 2002 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe. Daraufhin seien ihm von seiner Ehefrau abgeleitete Niederlassungsbewilligungen erteilt bzw. bis zum 30. Juli 2004 verlängert worden. Zuletzt habe der Beschwerdeführer einen vom 17. Juni 2004 bis 17. Juni 2006 gültigen Aufenthaltstitel für jeglichen Aufenthaltszweck erhalten.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 27. Juli 2005 sei die zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau am 12. Juli 2002 geschlossene und mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 18. März 2004 einvernehmlich geschiedene Ehe gemäß § 23 Abs. 1 Ehegesetz für nichtig erklärt worden. Dieses Ehenichtigkeitsurteil sei vom Landesgericht Klagenfurt mit Urteil vom 13. Jänner 2006 bestätigt worden.

Den Gerichtsakten seien folgende Feststellungen zu entnehmen:

Die österreichische Staatsbürgerin habe über Vermittlung ihrer Freundin bzw. gleichgeschlechtlichen Lebensgefährtin B M. mit Hilfe anderer Vermittler den Beschwerdeführer kennengelernt. Ihr sei zugesagt worden, dass sie für eine Eheschließung S 50.000,-

- in Euro bekomme. Zwischen den Eheleuten hätten große Sprachschwierigkeiten bestanden, und die Ehefrau habe vom Beschwerdeführer nur die wesentlichsten Dinge, die sie in der Vorstellung erfahren habe, nämlich dass er damals in H in einer Ein-Zimmer-Wohnung gewohnt habe, gewusst. In der Folge sei am 12. Juli 2002 in W die Ehe geschlossen worden. Für die österreichische Staatsbürgerin sei die Ehe nur ein Geschäft gewesen, um zu Geld zu kommen. Für den Beschwerdeführer sei es ein Geschäft gewesen, um in Österreich bleiben zu können bzw. eine Aufenthaltsberechtigung zu erhalten. Die Ehe sei auch nicht vollzogen worden. Der Betrag von S 50.000,-- sei in Euro in mehreren Teilbeträgen bezahlt worden, und zwar sowohl von der Vermittlerin als auch vom Beschwerdeführer selbst.

Das Gericht habe diese Feststellungen schlüssig auf die authentische Aussage der Ehefrau vom 18. Oktober 2002 sowie deren später erfolgten, zum Teil widersprechenden und deshalb als unglaubwürdig zu wertenden Aussagen, die glaubwürdigen Aussagen der als Zeugin vernommenen Ehevermittlerin B M. und die als Schutzbehauptung zu wertenden Angaben des Beschwerdeführers gegründet. Für die belangte Behörde bestehe auch kein Anlass, an den von B M. getätigten Aussagen, in welchen sie das Vorliegen einer Scheinehe gegen Erhalt einer Geldsumme bestätigt habe, anlässlich ihrer Vernehmung beim "Außerstreitgericht" und den Ausführungen, welche sie am 30. August 2002 vor der Bundespolizeidirektion Wien gemacht habe, zu bezweifeln.

Es stehe somit fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf die Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK geführt zu haben, und darüber hinaus, was allerdings seit Inkrafttreten des Fremdenpolizeigesetzes keine Tatbestandsvoraussetzung mehr für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei, für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet habe. Damit seien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt.

Der Missbrauch des Rechtsinstituts der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 1 leg. cit. rechtfertige.

In Anbetracht aller Umstände sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei aber zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - dringend geboten. Wer, wie der Beschwerdeführer, rechtsmissbräuchlich insofern vorgehe, um sich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, die ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung als notwendig erscheinen ließen.

Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes sei auch im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 2 gebotenen Interessenabwägung zu bejahen. Nur auf Grund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe der Beschwerdeführer eine unselbständige Beschäftigung eingehen können. Die durch den Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration des Beschwerdeführers werde durch die bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens auf Grund des Eingehens einer Scheinehe wesentlich gemindert. Bei einer Abwägung der genannten Interessen ergebe sich, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet keinesfalls schwerer wögen als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.

Da sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde angesichts des vorliegenden Sachverhaltes von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne - selbst unter Bedachtnahme auf dessen private Situation - ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des nunmehr festgelegten Zeitraumes von zehn Jahren erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 1 leg. cit. zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

2. Die Beschwerde wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG und bringt zusammengefasst vor, der Beschwerdeführer habe mit seiner geschiedenen Ehefrau zu Beginn ihrer Ehe sehr wohl ein ordentliches Eheleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt, das durch das Hinzutreten von Frau B M. massiv gestört worden sei. Er sei aber nicht im Geringsten eine Aufenthaltsehe eingegangen, was von Seiten des Gerichts nicht bindend festgestellt worden sei. Er habe in seiner Berufung die neuerliche Vernehmung seiner geschiedenen Ehefrau sowie seiner Person beantragt, die belangte Behörde sei diese Anträge aber in Verkennung der Sach- und Rechtslage wortlos übergangen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Nach ständiger hg. Judikatur (vgl. etwa das Erkenntnis vom 7. Juli 2009, Zl. 2009/18/0229, m.w.N.) steht auf Grund eines rechtskräftigen Urteils, mit dem eine Ehe gemäß § 23 Ehegesetz für nichtig erklärt wurde, in bindender Weise fest, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt hat. Der Beschwerdeführer bestreitet weder die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen betreffend die rechtskräftige Nichtigerklärung seiner Ehe, noch, dass er sich für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf diese Ehe berufen hat. Damit begegnet die Beurteilung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG verwirklicht sei, keinem Einwand.

Angesichts der gravierenden Beeinträchtigung des großen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer Ehe zum Zweck der Erlangung von fremdenrechtlich bedeutsamen Bewilligungen ist auch die weitere Annahme der belangten Behörde, dass vorliegend die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, unbedenklich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Dezember 2008, Zl. 2007/18/0327).

3. Die Beschwerde bringt u.a. vor, ungeachtet des Ehenichtigkeitsverfahrens sei dem Beschwerdeführer eine "Niederlassungsbewilligung beschränkt" gemäß § 44 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Gültigkeit vom 7. Juni 2006 bis 7. Juni 2007 erteilt worden.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung ergibt sich aus § 61 Abs. 2 i. V.m. § 54 Abs. 1 FPG, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes auf Grund eines Sachverhaltes, der die Versagung des dem Fremden zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gerechtfertigt hätte, nur zulässig ist, wenn dieser Sachverhalt erst nach Erteilung des Titels eingetreten oder aber der Aufenthaltsbehörde danach bekannt geworden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2009/18/0097, m.w.N.).

Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten wies der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung vom 7. August 2006 auf diesen Umstand hin und legte der Berufung Kopien seiner Aufenthaltstitel, u.a. auch der "Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck", gültig bis 17. Juni 2006, und der "Niederlassungsbewilligung beschränkt", gültig bis 7. Juni 2007, bei.

Mit diesem Berufungsvorbringen hat sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt. Da dem angefochtenen Bescheid Feststellungen dazu, ob die Niederlassungsbehörde zum Zeitpunkt der Erteilung der "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" in Kenntnis der mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 13. Jänner 2006 rechtskräftigen Nichtigerklärung der Ehe des Beschwerdeführer war, nicht zu entnehmen sind, war der angefochtene Bescheid mit Blick auf die wiedergegebene hg. Rechtsprechung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

4. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Beschwerdevorbringen hinsichtlich einer behaupteten Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der langen Verfahrensdauer nicht weiter einzugehen.

5. Die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 25. September 2009

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