VwGH 2008/17/0072

VwGH2008/17/00724.7.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des Mag. G in S, vertreten durch Raits Ebner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Ignaz-Rieder-Kai 11c, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 6. Februar 2008, Zl. UVS- 06/FM/31/10280/2007, betreffend Übertretung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art7;
VAG 1978 §104 Abs1;
VAG 1978 §109;
VStG §5 Abs1;
VStG §9;
B-VG Art7;
VAG 1978 §104 Abs1;
VAG 1978 §109;
VStG §5 Abs1;
VStG §9;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Der Beschwerdeführer ist Mitglied des Vorstandes der W Versicherungs AG. Mit Bescheid vom 27. Juni 2006 wurde der W Versicherungs AG gemäß § 104 Abs. 1 VAG aufgetragen, "den Vertrieb des Tarifs 104/06 (Garantiepolizze/Lebensversicherung mit Prämienrückgewähr im Ablebensfall) ab 15. Juli 2006 zu unterlassen und ab 15. Juli keine Neuverträge zu diesem Tarif mehr abzuschließen."

Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 26. September 2006, Zl. 2006/17/0132, als unbegründet abgewiesen.

1.2. Auf Grund der bescheidmäßigen Anordnung vom 27. Juni 2006 erging eine Weisung von Generaldirektor G, der zufolge der Vertrieb des Produkts bis zum 14. Juli 2006 zulässig sei, der Vertrieb ab dem 15. Juli zu unterlassen sei und erst ab 15. Juli 2006 keine Neuverträge mehr "abgeschlossen/polizziert werden dürfen, das sind im Sinne des dieser Anordnung vorangegangenen Spruchteiles die nach dem Stichtag 14. Juli 2006 akquirierten Anträge/Verträge".

1.3. Da dieser Weisung entsprechend auch nach dem 14. Juli 2006 noch (bis dahin gestellte) Anträge auf Vertragsabschluss durch Kunden bearbeitet und die Polizzen an die Versicherungsnehmer übermittelt wurden, erließ die Finanzmarktaufsichtsbehörde am 25. Oktober 2007 ein Straferkenntnis gegen den Beschwerdeführer. In diesem Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer in seiner Funktion als Vorstand der W Versicherungs AG zur Last gelegt, dass er als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Versicherungs AG zu verantworten habe, dass diese zumindest folgende im Einzelnen aufgezählte Verträge zu dem im Bescheid vom 27. Juni 2006 genannten Tarif nach dem 15. Juli 2006 polizziert und die Polizzen an die Versicherungsnehmer übermittelt habe (es folgt eine Auflistung von Verträgen). Er habe damit zu verantworten, dass gegen die Anordnung im genannten Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 27. Juni 2006 diese Verträge nach dem 15. Juli 2006 abgeschlossen worden seien. Er habe dadurch §§ 109 Abs. 1 in Verbindung mit § 104 Abs. 1 VAG verletzt. Es wurde wegen dieser Verwaltungsübertretungen eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 5.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe von 156 Stunden verhängt.

1.4. Über Berufung des Beschwerdeführers erging der angefochtene Bescheid, mit dem der Berufung gegen die Höhe der Strafe Folge gegeben und die Geldstrafe auf EUR 3.500,--, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 4 Tage herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bestätigt.

1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

1.6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes wendet sich der Beschwerdeführer gegen den angefochtenen Bescheid mit dem Argument, dass kein Verstoß gegen die Anordnung des Bescheides vom 27. Juni 2006 vorliege.

Zweck der Anordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde sei gewesen, dass ein bestimmtes Produkt nicht mehr angeboten werden solle aber quasi eine Übergangsfrist eingeräumt werden sollte, damit entsprechende Maßnahmen gesetzt werden konnten und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt bleibe. Es wird dazu auf die Begründung des Untersagungsbescheides vom 27. Juni 2008 verwiesen. Die Übergangsfrist sei eingeräumt worden, damit der "Vertrieb" umgestellt werden konnte.

2.2. Wenn es auch zutrifft, dass für sich genommen die erste der beiden Anordnungen sich lediglich auf den "Vertrieb des Tarifs" bezog und damit offen wäre, ob lediglich Vertriebshandlungen nach dem 15. Juli 2006 unzulässig waren, so enthält die zweite der Anordnungen ausdrücklich das Gebot, "ab 15. Juli keine Neuverträge zu diesem Tarif mehr abzuschließen". Der Wortlaut dieser Anordnung ist eindeutig.

Auch wenn im Hinblick auf die erforderliche Manipulationszeit bis zum Abschluss eines Vertrages damit gegebenenfalls die nach der ersten Anordnung mögliche "Vertriebstätigkeit" de facto nicht bis zu dem im Bescheid genannten Termin (14. Juli 2006) zweckmäßig gewesen sein sollte, weil am 14. Juli 2006 von Kunden gestellte Anbote von der Versicherungs AG nicht vor dem 15. Juli 2006 angenommen werden konnten, so ändert dies nichts an der deutlichen Anordnung, ab 15. Juli keine Neuverträge zu diesem Tarif mehr abzuschließen. Es läge auch an der einer von einer solchen Anordnung betroffenen Unternehmung, wenn sie die Übergangsfrist im Sinne der Anordnung der Behörde bestmöglich ausnützen möchte und daher tatsächlich "Vertriebshandlungen" bis zum letzten Tag der Frist setzen möchte, organisatorische Vorsorge dafür zu treffen, dass auch der Vertragsabschluss noch am letzten Tag der Frist zustande kommt.

Es trifft daher auch nicht zu, dass die belangte Behörde die Anordnung vom 27. Juni 2006 "praktisch rückwirkend", "ausgehend von den nach Erlassung dieser Anordnung gegebenen tatsächlichen Gegebenheiten" auslege. Dass der Vertragsabschluss erst mit der Annahme des Anbots des Kunden zustande kommt, ist eine rechtliche Beurteilung und hat mit der Frage, wie die Versicherung tatsächlich vorgeht nichts zu tun. Wie im Vorstehenden ausgeführt, hat die tatsächliche Vorgangsweise nur insoweit Einfluss auf die rechtliche Beurteilung, ob eine Übertretung der bescheidmäßigen Anordnung vorlag oder nicht, als die rechtlich erheblichen Fakten danach zu beurteilen sind, wann in einem bestimmten Fall der Vertragsabschluss zustande kam. Dies stellt keine Auslegung der Norm auf Grund nachfolgender Tatsachen dar.

Es kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgegangen ist, dass der Abschluss von Verträgen ab dem 15. Juli auch dann eine Zuwiderhandlung gegen die bescheidmäßige Anordnung im Bescheid vom 27. Juni 2006 darstellte, wenn die Anbote zum Vertragsabschluss von den Kunden vor dem 15. Juli 2006 abgegeben worden waren.

Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, es sei zivilrechtlich möglich, dass sowohl der Versicherungsnehmer das Vertragsoffert an die Versicherung richte als auch dass die Versicherung das Vertragsoffert an den Versicherungsnehmer richte und dieser durch eine Annahmeerklärung den Vertrag zu Stande kommen lasse, so geht dieser Einwand schon deshalb ins Leere, weil dem Beschwerdeführer nur die Annahme von Anboten der Versicherungsnehmer (Kunden) durch die W Versicherungs AG zur Last gelegt wurde. Auf den - nur hypothetischen - Sachverhalt, was wäre, wenn Anbote der W Versicherungs AG durch den Versicherungsnehmer (Kunden) erst nach dem Stichtag angenommen worden wären, ist daher nicht weiter einzugehen.

Dass es unsachlich sei, die Zulässigkeit des Vertragsabschlusses von der "Arbeitsgeschwindigkeit" der Versicherung abhängen zu lassen, ist nicht ersichtlich. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Frage der Sachlichkeit der Anordnung sich (allein) auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 27. Juni 2006 bezieht und daher in der Beschwerde gegen diesen Bescheid vorzutragen gewesen wäre. An der Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen die rechtskräftige Anordnung änderte der (im Übrigen unbegründete) Vorwurf der Unsachlichkeit der Anordnung nichts.

Dass durch den Begriff "Neuverträge" im Untersagungsbescheid vom 27. Juni 2006 angedeutet werde, dass keine ausschließlich zivilrechtliche "Begrifflichkeit gemeint" sei, ist ebenso unbegründet. Dass kein rechtlicher Unterschied zwischen der Formulierung "Abschluss eines Vertrages" und "Abschluss eines Neuvertrages" besteht, ändert nichts daran, dass auch der Ausdruck "Abschluss eines Neuvertrages" eindeutig ist. Dass die Verwendung des Wortes "Neuvertrag" bedeute, dass unter "Abschluss" in diesem Zusammenhang nicht der Vertragsabschluss, sondern das Entgegennehmen von Anboten zu verstehen sei, entbehrt jeder Grundlage (vgl. dazu insbesondere auch §§ 1a und 2 Versicherungsvertragsgesetz 1958, BGBl. Nr. 2/1959, in der Fassung BGBl. I Nr. 95/2006).

Es trifft daher nicht zu, dass unter dem Begriff "abschließen" im gegebenen Zusammenhang nur das Entgegennehmen der Verträge gemeint gewesen sei.

2.3. Unter dem Gesichtspunkt des Fehlens der subjektiven Tatseite wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Bestrafung mit dem Argument, im Rahmen der internen Geschäftsverteilung des Unternehmens sei der Mitbeschuldigte G für den Bereich der Personenversicherung zuständig gewesen. Es habe kein objektiver Anhaltspunkt bestanden, ex ante hinsichtlich der Tätigkeit der Versicherung im Rahmen der Personenversicherung nachzufragen, ob etwa Anordnungen der FMA vorlägen bzw. wie diesen gegebenenfalls entsprochen werde. Die Sorgfaltspflicht eines Vorstandsmitgliedes könne nicht darin bestehen, dass ohne jeden Anhaltspunkt täglich die Arbeit der anderen Vorstandsmitglieder überprüft werde.

Diesem Vorbringen ist die hg. Rechtsprechung betreffend die Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft entgegenzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1992, Zl. 91/17/0134, Slg. 6714/F). Nach dieser entlastet eine bloß interne Aufgabenverteilung den Beschwerdeführer nicht (vgl. z. B. die hg. Erkenntnisse vom 19. Dezember 2001, Zl. 99/13/0035, und vom 19. Oktober 2004, Zl. 2004/03/0102). Die Unzuständigkeit des Beschwerdeführers nach der Geschäftsverteilung für die einzelnen Vorstandsmitglieder konnte von vornherein keine grundsätzliche Entlastung des Beschwerdeführers von der Verantwortung für die Entscheidungen bewirken, die in jenem Unternehmen getroffen wurden, dessen zur Vertretung nach außen berufenes Organ er war (vgl. auch die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren II2, § 9 VStG, E 116 ff, wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausgesprochen hat, stellt der bloße Rückzug auf eine interne Unzuständigkeit ohne jegliches weiteres Vorbringen über irgendwelche, die Einhaltung der Vorschriften gewährleistenden Tätigkeiten ein zur Entlastung im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG untaugliches Vorbringen dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 96/07/0097). Auch aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich jedoch, dass sich der Beschwerdeführer ausschließlich auf die korrekte Geschäftsführung durch das zuständige Vorstandsmitglied verlassen hat.

Auch die Bejahung der Schuld des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde war somit nicht rechtswidrig.

2.4. Soweit in der Beschwerde die Strafbemessung bekämpft wird, ist darauf hinzuweisen, dass es nicht zutrifft, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Funktionsfähigkeit des Versicherungsmarktes als eines der vom Versicherungsaufsichtsrecht zu schützenden Güter im vorliegenden Fall nicht berührt sein könne, weil die Anordnung der Finanzmarktaufsicht keine Wirkung gegenüber der Öffentlichkeit habe. Das angesprochene Vertrauen der Öffentlichkeit hängt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch von der korrekten Vollziehung der Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsrechts ab, zu der auch die Einhaltung der Anordnungen der Finanzmarktaufsicht und die allfällige Sanktionierung von Verstößen gegen derartige Anordnungen gehört. Eine ungenügende Handhabung des Aufsichtsrechts würde den vom VAG verfolgten Zielen widersprechen (vgl. auch bereits den Wortlaut des § 104, "zur Wahrung der Interessen der Versicherten") und damit auch das Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren des Marktes beeinträchtigen. Ob und inwieweit zu einem bestimmten Zeitpunkt die Öffentlichkeit (bereits) über solche Anordnungen informiert ist, ändert nichts daran, dass einem diesbezüglichen Verstoß ein nicht geringer Unrechtsgehalt inne wohnt. Auch die Annahme, dass eine Gefährdung der "im Untersagungsbescheid genannten gesetzlich geschützten Interessen tatsächlich nicht eingetreten" sei, ist verfehlt.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es nicht zutrifft, dass die belangte Behörde von der Übertretung an sich auf den objektiven (hohen) Unrechtsgehalt geschlossen habe. Die belangte Behörde hat vielmehr aus dem Schutzzweck der Norm und dem Einfluss der Übertretung ihrer Anordnung auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Funktionsfähigkeit des Versicherungsmarktes auf den nicht geringen Unrechtsgehalt geschlossen. Die Verhängung einer Strafe in der Höhe von rund einem Achtel der gesetzlichen Strafdrohung erweist sich insofern nicht als rechtswidrig.

2.5. Die Beschwerde zeigt daher keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 4. Juli 2008

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