VwGH 2007/21/0402

VwGH2007/21/04027.2.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Irene Pfeifer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 24. Juli 2007, Zl. Senat-FR-07-0083, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im bekämpften Umfang (Spruchpunkt I. - Abweisung der Schubhaftbeschwerde; Spruchpunkt III. - Abweisung des Kostenersatzbegehrens) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte nach seiner am 1. Mai 2007 erfolgten Einreise nach Österreich am 4. Mai 2007 bei der Erstaufnahmestelle-Ost in Traiskirchen einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz, wobei er einen - nach den Eintragungen im Asylwerberinformationssystem - "unbedenklichen" türkischen Personalausweis vorlegte. Dem Beschwerdeführer wurde eine Verfahrenskarte ausgestellt und er war in der Folge im Rahmen der ihm gewährten Grundversorgung in der Betreuungsstelle Traiskirchen untergebracht.

Mit Schreiben vom 11. Juli 2007 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass das Bundesasylamt beabsichtige, seinen Asylantrag nach § 5 AsylG 2005 (wegen Zuständigkeit eines anderen Staates) zurückzuweisen, und dass seit 9. Juli 2007 "Dublin-Konsultationen" mit Griechenland geführt würden. Unter einem wurde darauf hingewiesen, dass diese Mitteilung (gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005) als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gelte.

Der Beschwerdeführer wurde sodann am 13. Juli 2007 in der Erstaufnahmestelle-Ost festgenommen und vor der Bezirkshauptmannschaft Baden niederschriftlich befragt. Dabei räumte er ein, mit einem (24 Tage gültigen) Visum nach Griechenland gereist zu sein und sich dort von Anfang September 2006 bis Mitte Oktober 2006 (10 Tage über die erlaubte Dauer hinaus) aufgehalten zu haben. Danach sei er aber in die Türkei zurückgekehrt und Mitte 2007 direkt von dort (über unbekannte Länder in einem LKW versteckt mit Hilfe eines Schleppers) nach Österreich geflüchtet.

Mit dem gemäß § 57 AVG erlassenen Bescheid vom 13. Juli 2007 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen den Beschwerdeführer zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 2 und 4 FPG angeführt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 2007 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die am 19. Juli 2007 erhobene Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 83 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 83 Abs. 4 FPG "von Amts wegen" fest, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nicht vorlägen (Spruchpunkt II.) und wies das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers ab (Spruchpunkt III.)

Die belangte Behörde traf Feststellungen zum bisherigen Verfahrensgang, gab den Inhalt der Schubhaftbeschwerde wörtlich wieder und vertrat nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften die Auffassung, im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden seien die Voraussetzungen nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG vorgelegen, weil das "schubhafttatbestandsbegründende" Ausweisungsverfahren durch das Bundesasylamt damals schon eingeleitet gewesen sei. In der weiteren Begründung befasste sich die belangte Behörde mit der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft. In diesem Zusammenhang führte sie aus, die Notwendigkeit der Schubhaft ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer durch sein "mehrfaches Fehlverhalten (illegale Einreise, schlepperunterstützt, illegaler Aufenthalt in österreichischem Bundesgebiet) eine besonders ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber den für die Einreise und den Aufenthalt geschaffenen Regeln gezeigt" habe. Unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301, meinte die belangte Behörde, "das Höchstgericht erachtet die Sicherungsbedürfnisse vor allem bei mangelnder beruflicher und sozialer Verankerung im Inland als gegeben". Im Zeitpunkt der Schubhaftanordnung sei aber davon auszugehen gewesen, dass der Beschwerdeführer im Inland weder beruflich noch sozial integriert gewesen und überdies illegal eingereist sei. Die Bezirkshauptmannschaft Baden sei bei der Schubhaftverhängung somit "nicht zu Unrecht" davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer "wegen seiner persönlichen Verhältnisse" und der seiner Ansicht nach nicht gegebenen Rückkehrmöglichkeit in die Türkei "nicht gewillt sei, negative Entscheidungen hinsichtlich seiner Asylbeantragung zu akzeptieren", und sich "mit hoher Wahrscheinlichkeit" einer Abschiebung durch Untertauchen in die Illegalität entziehen werde. Unter Bedachtnahme auf die mit der Beschwerde vorgelegte, von einem Onkel des Beschwerdeführers, einem österreichischen Staatsangehörigen, abgegebene Verpflichtungserklärung erachtete die belangte Behörde aber "nunmehr eine soziale Integration" im ausreichenden Ausmaß für vorhanden, sodass die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht mehr notwendig sei.

Im Hinblick darauf wurde der Beschwerdeführer am 25. Juli 2007 aus der Schubhaft entlassen.

Über die gegen die Spruchpunkte I. und III. dieses Bescheides erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG (hier: Z 2) die Schubhaftnahme eines Asylwerbers nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesem Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. zum Ganzen ausführlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Dass der Beschwerdeführer schlepperunterstützt und illegal eingereist ist, um in Österreich wegen der behaupteten Verfolgung in seinem Heimatland einen Antrag auf internationalen Schutz einzubringen, stellt aber - entgegen der Meinung der belangten Behörde und jener der Bezirkshauptmannschaft Baden, die dieses Verhalten des Beschwerdeführers ebenfalls in den Vordergrund gerückt hatte - keinen besonderen Umstand dar, der in nachvollziehbarer Weise den Schluss zuließe, der Beschwerdeführer werde sich dem Asylverfahren (nach der Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005) durch Untertauchen entziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239). In der vorliegenden Konstellation wäre vielmehr maßgeblich darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass der Beschwerdeführer (ohne relevante Verzögerung) nach seiner Einreise von sich aus Kontakt mit den Behörden aufnahm und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, dabei jedenfalls richtige Angaben zu seiner Identität machte und sich bis zu seiner Festnahme im Rahmen der gewährten Grundversorgung in der ihm zugewiesenen Betreuungsstelle aufhielt. Vor diesem Hintergrund fehlten konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschwerdeführer werde sich dem weiteren Asylverfahren entziehen und für die Behörden nicht erreichbar sein; diesbezügliche Hinweise wurden von der belangten Behörde auch nicht aufgezeigt. Soweit die Mittellosigkeit und die fehlende soziale Integration ins Treffen geführt werden, handelt es sich dabei aber in Bezug auf (noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang zitierten, nicht die Schubhaft gegen einen Asylwerber betreffenden hg. Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0301. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt; der Frage der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043).

Da die belangte Behörde insofern die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid im bekämpften Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass die in der Beschwerde in den Vordergrund gestellte Frage einer Erörterung bedarf, ob die Bezirkshauptmannschaft Baden bei der Prüfung der Notwendigkeit der Schubhaft den Hinweisen des Beschwerdeführers auf Verwandte in Österreich hätte nachgehen müssen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 7. Februar 2008

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