VwGH 2006/15/0339

VwGH2006/15/033920.2.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart in 7000 Eisenstadt, Neusiedlerstraße 46, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 20. September 2006, GZ. RV/1201-W/06, betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2001 (mitbeteiligte Partei: I GmbH, vertreten durch die EWT Wirtschaftstreuhand SteuerberatungsGes.m.b.H. in 7000 Eisenstadt, Joseph Haydn-Gasse 40/2), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §289 Abs3;
UStG 1994 §21 Abs3;
UStG 1994 §21 Abs4;
VwRallg;
BAO §289 Abs3;
UStG 1994 §21 Abs3;
UStG 1994 §21 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die mitbeteiligte GmbH war Eigentümerin mehrerer Grundstücke eines Betriebsansiedelungsgebietes, zu dessen Erschließung ein Kreisverkehr errichtet wurde.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung ergingen Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide für die Monate Juni, Juli, August, November und Dezember 2001, mit welchen der mitbeteiligten GmbH ein Vorsteuerabzug aus den Errichtungskosten des Kreisverkehrs mit der Begründung verwehrt wurde, dass es sich bei der Errichtung des Kreisverkehrs um keine an die Mitbeteiligte erbrachte Leistung im Sinne des § 1 UStG 1994 handeln würde.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Berufungsentscheidung vom 23. September 2005, RV/0487-W/03, im Wesentlichen Folge gegeben. Die mitbeteiligte GmbH habe "die Leistung aus der Errichtung des Kreisverkehrs" bezogen, um die Grundstücke des Betriebsansiedlungsgebietes "verkehrsfähig zu machen". Da die Mitbeteiligte die Grundstücke nach Option zur Steuerpflicht teilweise steuerpflichtig veräußert habe, stünde ihr insofern ein Vorsteuerabzug zu. Anders als vom Finanzamt in einer Berufungsvorentscheidung zum Ausdruck gebracht, liege auch kein Eigenverbrauch vor, weil die mitbeteiligte GmbH den Kreisverkehr nicht für die öffentliche Hand, sondern zur besseren Vermarktbarkeit der ihr gehörigen Grundstücke finanziert habe.

Die genannte Berufungsentscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Am 25. April 2006 erließ das nunmehr beschwerdeführende Finanzamt den Umsatzsteuerjahresbescheid für das Jahr 2001 (abweichendes Wirtschaftsjahr vom Oktober 2000 bis September 2001) und versagte darin der mitbeteiligten GmbH neuerlich den Abzug der besagten Vorsteuern im Zusammenhang mit der Straßenerrichtung. Begründet wurde der Bescheid im Wesentlichen damit, dass die Errichtung des gegenständlichen Kreisverkehrs eine hoheitlichöffentliche Tätigkeit darstellen würde und daher nicht als eine an die Mitbeteiligte erbrachte Leistung anzusehen wäre. Des Weiteren berief sich das beschwerdeführende Finanzamt auf das Urteil des EuGH vom 21. Februar 2006, Rs. C-255/02 , Halifax, wonach im Fall einer dem Ziel der 6. MWSt-RL widersprechenden missbräuchlichen Praxis kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung verwies die Mitbeteiligte u. a. auch auf die Bestimmung des § 289 Abs. 3 BAO, aus der sich ergebe, dass kein Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2001 ergehen dürfe, der von jener Rechtsanschauung abweiche, welche die belangte Behörde in der Berufungsentscheidung vom 23. September 2005, RV/0487-W/03 betreffend die Umsatzsteuerfestsetzung für die Kalendermonate Juni, Juli und August 2001 dargelegt habe.

Nach Aufforderung durch die belangte Behörde hielt das beschwerdeführende Finanzamt diesem Einwand entgegen, dass die behauptete Bindungswirkung nicht bestehe, weil der Vorauszahlungsbescheid ab Erlassung des Veranlagungsbescheides keine Rechtswirkung mehr entfalte, sondern aus dem Rechtsbestand ausscheide. Die von der mitbeteiligten Partei vorgelegte und für ihren Standpunkt sprechende Anfragebeantwortung des BMF weise keinen Bezug zum konkreten Sachverhalt auf.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der mitbeteiligten Partei statt und begründete dies damit, dass der Umsatzsteuerjahresbescheid die einzelnen Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide im Sinne des § 289 Abs. 3 BAO "ersetzt" habe. Es sei unstrittig, dass gegenständlich keine neuen Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen seien, sondern das Finanzamt den unveränderten Sachverhalt abweichend von der Berufungsentscheidung der belangten Behörde gewürdigt habe. Diese Vorgangsweise widerspreche der Bestimmung des § 289 Abs. 3 BAO. Der Umsatzsteuerjahresbescheid 2001 weiche von der Umsatzsteuererklärung dieses Jahres ausschließlich hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Beurteilung der Errichtung des Kreisverkehrs ab. Diese Frage sei bereits Gegenstand der Berufungsentscheidung vom 23. September 2005, RV/0487-W/03, betreffend die Voranmeldungszeiträume Juni bis August 2001 gewesen. Dass auch hinsichtlich anderer Voranmeldungszeiträume durch den Umsatzsteuerjahresbescheid 2001 eine Änderung erfolgt sei, habe das Finanzamt nicht behauptet.

Die belangte Behörde teile daher die in einer Anfragebeantwortung des Bundesministeriums für Finanzen vom 16. Mai 2006 geäußerte Ansicht, wonach zu den Bescheiden, die eine Berufungsentscheidung betreffend Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide ersetzen, auch der nach § 21 Abs. 4 UStG 1994 ergehende Jahresveranlagungsbescheid zähle. Allerdings trete eine Bindungswirkung für den Jahresbescheid nur für jene Umsatzsteuervorauszahlungen ein, über die in der Berufungsentscheidung abgesprochen worden sei, nicht hingegen hinsichtlich anderer Monate desselben Jahres.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem rechtlichen Vorbringen des Finanzamtes sei der belangten Behörde im Hinblick auf die Bestimmung des § 289 Abs. 3 BAO verwehrt, weil die Berufungsentscheidung vom 23. September 2005 auch die Abgabenbehörde zweiter Instanz selbst binde.

Dagegen wendet sich die vorliegende, vom Finanzamt gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde.

Nach Vorlage der Akten und Erstattung von Gegenschriften seitens der belangten Behörde sowie der mitbeteiligten Partei hat der Verwaltungsgerichtshof hierüber erwogen:

Mit BGBl. I Nr. 97/2002 wurde die Bestimmung des § 289 BAO um folgenden dritten Absatz ergänzt:

"(3) Im Verfahren betreffend Bescheide, die Berufungsentscheidungen (Abs. 2) abändern, aufheben oder ersetzen, sind die Behörden an die für die Berufungsentscheidung maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden."

Nach § 323 Abs. 11 zweiter Satz BAO kommt die Bindungswirkung gemäß § 289 Abs. 3 BAO erstmals am 1. Jänner 2003 erlassenen Berufungsentscheidungen zu.

Die am 23. September 2005 ergangene einzelne Monate des Wirtschaftsjahres 2001 betreffende Berufungsentscheidung RV/0487- W/03 fällt damit unstrittig in den zeitlichen Anwendungsbereich des § 289 Abs. 3 BAO.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Bescheide betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen für bestimmte Zeiträume in vollem Umfang anfechtbar. Solche Bescheide haben aber insofern einen zeitlich begrenzten Wirkungsbereich, als sie durch Erlassung von diese Zeiträume umfassenden Umsatzsteuerjahresbescheiden außer Kraft gesetzt werden. Durch die erlassenen Umsatzsteuerjahresbescheide scheiden Bescheide betreffend Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen für bestimmte Zeiträume aus dem Rechtsbestand aus (vgl. für viele den hg. Beschluss vom 19. März 2002, 99/14/0107).

Strittig ist im Beschwerdefall, ob der Umsatzsteuerjahresbescheid Berufungsentscheidungen betreffend Umsatzsteuervorauszahlungen, die einzelne Voranmeldungszeiträume dieses Jahres betreffen, im Sinne des § 289 Abs. 3 BAO mit der Rechtsfolge ersetzt, dass das Finanzamt bei Erlassung des Jahresbescheides an die für einzelne Kalendermonate dargelegte Rechtsanschauung der Abgabenbehörde zweiter Instanz gebunden ist.

Die belangte Behörde hat diese Frage bejaht, weil eine "andere Auslegung" mit den Zielsetzungen des § 289 BAO nicht vereinbar wäre. Könnte nach Ergehen einer Berufungsentscheidung betreffend bestimmte Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume dieselbe Sache einer neuerlichen Prüfung durch die Berufungsbehörde unterzogen werden, stellte dies eine Doppelgleisigkeit dar, die der Gesetzgeber nicht gewollt haben könne.

Dass die Berufungsbehörde trotz identer Sach- und Rechtslage dieselbe Rechtsfrage gegebenenfalls neuerlich zu prüfen hat, ergibt sich allerdings bereits aus der Beschränkung der Bindungswirkung auf die "Sache" der Berufungsentscheidung. Daraus folgt beispielsweise, dass auch bei unveränderter Sach- und Rechtslage keine Bindung der Abgabenbehörde für Folgejahre besteht (vgl. Ritz, BAO3, § 289, Tz. 55).

Im gegebenen Zusammenhang ist zu bedenken, dass der Umsatzsteuerjahresbescheid in der Regel zwölf Voranmeldungszeiträume umfasst. Wollte man mit der belangten Behörde eine Bindungswirkung der Festsetzungsbescheide einzelner Kalendermonate auf den Jahresbescheid annehmen, hätte dies zur Folge, dass in ein und demselben Jahresbescheid gegebenenfalls unterschiedliche Rechtsanschauungen zur selben Rechtsfrage zu Grunde zu legen wären, etwa weil die Berufungsbehörde ihrerseits für einzelne Festsetzungszeiträume zu unterschiedlichen Rechtsanschauungen gefunden hat oder ihre Rechtsanschauung hinsichtlich einzelner Festsetzungszeiträume bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts erfolgreich bekämpft wurde. Auch könnte für einzelne Kalendermonate eine dem Finanzamt überbundene Rechtsanschauung der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorliegen, für andere hingegen nicht, obwohl sich auch hinsichtlich dieser Zeiträume dieselbe Streitfrage stellt.

Dazu kommt, dass nach § 21 Abs. 3 UStG 1994 eine Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen nur so lange erfolgen kann, als nicht ein den Voranmeldungszeitraum beinhaltender Veranlagungsbescheid erlassen wurde. Wäre es zur Vermeidung der von einem Festsetzungsbescheid ausgehenden Bindungswirkung erforderlich, die darin von der Berufungsbehörde geäußerte Rechtsanschauung vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts zu bekämpfen, stünde im Falle eines Beschwerdeerfolges einer neuerlichen Umsatzsteuerfestsetzung durch die Berufungsbehörde oftmals schon der Umstand der zwischenzeitig erfolgten Jahrsveranlagung entgegen.

Vor diesem Hintergrund kann der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht der belangten Behörde, die Bestimmung des § 289 Abs. 3 BAO entbinde sie im Beschwerdefall von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Frage des Vorsteuerabzugs, nicht teilen. Als abändernde, aufhebende oder ersetzende Bescheide im Sinne des § 289 Abs. 3 BAO kommen vielmehr nur solche Bescheide in Betracht, die nicht nur dieselbe Abgabenart, sondern auch denselben Zeitraum zum Gegenstand haben. Dies trifft im Falle von Umsatzsteuerjahresbescheiden und Umsatzsteuerfestsetzungsbescheiden nicht zu. Indem die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 20. Februar 2008

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