Normen
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §36;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §36;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, ist am 8. August 2002 über den Flughafen Wien/Schwechat in das Bundesgebiet eingereist und beantragte am 12. August 2002 die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 16. August 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig. Außerdem traf das Bundesasylamt eine Ausweisungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AsylG. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung.
Am 18. April 2005 heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin. Am 31. Mai 2005 sprach er beim unabhängigen Bundesasylsenat vor, der daraufhin in einem Aktenvermerk selben Tages festhielt, der Beschwerdeführer habe seine Berufung gegen den zuvor genannten Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. August 2004 (zur Gänze) zurückgezogen.
Mit Bescheid vom 26. Jänner 2006 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 76 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (§ 60 FPG) und zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) an. Hiefür sei maßgebend, dass sich der Beschwerdeführer seit 1. Juni 2005 - weil er nach rechtskräftiger Ausweisung im Asylverfahren das Bundesgebiet nicht verlassen habe -
nicht rechtmäßig in Österreich aufhalte. Die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung "des bzw. der fremdenpolizeilichen Verfahren" sei notwendig, da zu befürchten sei, dass sich der Beschwerdeführer "dem weiteren fremdenrechtlichen Verfahren bzw. Maßnahmen" zu entziehen trachten werde, zumal er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG komme nicht in Betracht, da gegen den Beschwerdeführer "bereits mehrere Aliasdaten" aufliegen würden und er auch zweifach zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben sei. Nunmehr versuche er "mittels Ehe die Legalisierung", eine Überprüfung habe jedoch den Verdacht einer Scheinehe ergeben.
Gegen den eben dargestellten Schubhaftbescheid, der am 9. Februar 2006 in Vollzug gesetzt wurde, erhob der Beschwerdeführer gemäß § 82 FPG Beschwerde an die belangte Behörde. Diese wies die Beschwerde - unter Kostenzuspruch an den Bund - gemäß § 83 Abs. 2 und 4 FPG ab und erklärte den Schubhaftbescheid vom 26. Jänner 2006 sowie die Anhaltung in Schubhaft für rechtmäßig. In der Begründung ihres Bescheides gab die belangte Behörde zunächst den besagten Schubhaftbescheid und die dagegen erhobene Beschwerde wörtlich wieder. Nach Zitierung von § 76 Abs. 1 erster Satz FPG führte sie weiter aus:
"Schon der Wortlaut dieser Bestimmung zeigt, dass ein Aufenthaltsverbot im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft noch nicht vorliegen muss.
Laut dem Spruch des Schubhaftbescheides vom 26.1.2006 wurde die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (§ 60 FPG) und zur Sicherung der Abschiebung (§ 46 FPG) angeordnet."
Nach Darstellung des § 76 Abs. 2 FPG heißt es weiter:
"Im vorliegenden Fall steht unbestritten fest, dass der Bf die Staatsangehörigkeit Algerien hat und somit Fremder im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes 2005 ist, dass er ein Fremder ist, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, und dass gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde.
Der Bf bringt vor, er habe seine Berufung bezüglich des Asylantrages lediglich bezüglich des Spruchpunktes 1 des Bescheides des Bundesasylamtes vom 16.8.2004 zurückziehen wollen, nicht aber auch bezüglich der Spruchpunkte 2 und 3, da damit auch die Rechtskraft der Ausweisung und somit eine Ausreiseverpflichtung verbunden gewesen wären. Dieses Vorbringen geht ins Leere, da gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG es genügt, dass gegen den Fremden nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde. Dies war im gegenständlichen Fall unbestrittener Weise geschehen. Es muss also nach dem Wortlaut dieser Bestimmung eine rechtskräftige Ausweisung nicht vorliegen.
Somit sind die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG erfüllt. Der Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft waren daher schon aus diesem Grund rechtmäßig.
Insoweit eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige -
Ausweisung vorliegt, sind der Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft auch im Sinne des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG rechtmäßig.
Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf gemäß § 76 Abs. 1 zweiter Satz FPG Schubhaft verhängt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.
Im Einklang mit der Aktenlage hat die belangte Behörde in der Begründung des Schubhaftbescheides ausgeführt, gegen den Bf würden mehrere "Aliasdaten" aufliegen. In der Beschwerde wird dazu entgegnet, aufgrund der Vorlage des Reisepasses durch den Bf würde dessen Identität zweifelsfrei feststehen, weshalb dies nicht die Notwendigkeit der Schubhaft begründen könne. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien kann diese Ansicht des Bf nicht teilen. Die sich aus der Aktenlage ergebende Angabe unterschiedlicher Vor- und Zunamen gegenüber den Behörden zeigt sehr wohl, dass anzunehmen ist, der Bf würde sich dem Zugriff der Behörde zu entziehen trachten.
Das Vorbringen betreffend die Bestreitung des Vorliegens einer Scheinehe geht insofern ins Leere, als selbst bei Verneinung einer Scheinehe und insofern rechtmäßigem Aufenthalt die Bestimmung des § 76 Abs. 1 zweiter Satz FPG anzuwenden ist, wonach auch über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, Schubhaft verhängt werden darf, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.
Dazu kommt, dass § 60 FPG zahlreiche andere Voraussetzungen für das Aufenthaltsverbot als jene des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG ("Scheinehe") kennt.
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
- 1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
- 2. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Die Aufzählung des § 60 Abs. 2 FPG, was als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten hat, ist nur beispielhaft und nicht abschließend (argumento "insbesondere").
Der Umstand, dass der Bf nach unbestrittener Aktenlage den Behörden gegenüber mit unterschiedlichen Vor- und Zunamen aufgetreten ist, rechtfertigt die Annahme, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung gefährdet (§ 60 Abs. 1 Z 1 FPG).
Dazu kommt im vorliegenden Fall, dass der Bf laut der im Fremdenakt einliegenden Niederschrift vom 27.11.2003 (Aktenblatt 160 bis 173) selbst angegeben hat, er habe in Algerien gefälschte Dokumente beschafft, wonach er studiere, und habe aufgrund dessen seine Einrückung zum Militärdienst immer wieder aufschieben können.
Ein gelinderes Mittel als die Schubhaft kann deshalb nicht zur Anwendung gelangen, da der Bf laut Niederschrift vom 16.2.2006 (Aktenblatt 188 und 189) selbst vorbringt, er sei nicht bereit, nach Algerien zurückzukehren, er werde bei einer Abschiebung auf alle Fälle Probleme machen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer hat in seiner gegen den Schubhaftbescheid vom 26. Jänner 2006 erhobenen Beschwerde an die belangte Behörde ua. vorgebracht, dass er aufrecht gemeldet sei, seit beinahe einem Jahr an seiner Meldeadresse gemeinsam mit seiner Ehefrau wohne und von den Organen der Bundespolizeidirektion Wien in der ehelichen Wohnung angetroffen worden sei, woraus sich ergebe, dass er sich "in keiner Weise dem Verfahren bzw. der Maßnahme entziehen" werde. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht näher auseinander gesetzt, weshalb der bekämpfte Bescheid schon von daher an einem Begründungsmangel leidet.
Davon abgesehen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer unbestritten und in Übereinstimmung mit der Aktenlage seinen Asylantrag bereits 2002 gestellt hat. Sofern er - was die belangte Behörde offen ließ - nach wie vor Asylwerber wäre, müsste sein Asylverfahren daher gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) grundsätzlich - eine nähere Darstellung der Details dieser Regelung ist hier entbehrlich - nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (vgl. insbesondere dessen § 21 Abs. 1) zu Ende geführt werden. Die von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegte und auf das Asylgesetz 2005 bezugnehmende Bestimmung des § 76 Abs. 2 FPG kann demnach keinesfalls isoliert zum Tragen kommen. Im Besonderen kann - anders als im bekämpften Bescheid - nicht davon die Rede sein, es sei gegen den Beschwerdeführer ein Ausweisungsverfahren nach den Bestimmungen des AsylG 2005 eingeleitet worden, war doch bei Inkrafttreten des Asylgesetzes 2005 am 1. Jänner 2006 gegen den Beschwerdeführer bereits mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. August 2004 eine Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG (iVm mit einer Abweisung seines Asylantrages und der Feststellung, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Algerien zulässig sei) erlassen worden.
Der bekämpfte Bescheid lässt nicht erkennen, in welchem Verhältnis seine weiteren Überlegungen zu den eben erörterten verfehlten Ausführungen zu § 76 Abs. 2 FPG stehen. Unabhängig davon ist jedenfalls weiter anzumerken, dass die Auffassung, die gegenständliche Schubhaft komme (auch?) zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Betracht, am Boden der getroffenen Feststellungen aus nachstehenden Gründen keine ausreichende Basis hat:
Zwar ist auch nach dem FPG davon auszugehen, dass die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht die Gewissheit voraussetzt, dass ein Aufenthaltsverbot verhängt werde, sondern dass hiefür bereits die berechtigte Annahme einer solchen Möglichkeit ausreicht (zur entsprechenden Judikatur nach dem FrG vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, Zl. 2004/21/0145). Von einer derartigen Annahme kann freilich im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht allein deswegen ausgegangen werden, weil der Beschwerdeführer "den Behörden gegenüber mit unterschiedlichen Vor- und Zunamen aufgetreten" sei oder weil er laut eigenen Angaben in Algerien gefälschte Dokumente beschafft habe, um sich dem Militärdienst zu entziehen. In diesen Verhaltensweisen ist nämlich ohne Hinzutreten weiterer Umstände (solche hat die belangte Behörde nicht aufgezeigt) nicht annähernd die Verwirklichung eines der in § 60 Abs. 2 FPG normierten Aufenthaltsverbotstatbestände zu erblicken. Wohl hat der Verwaltungsgerichtshof zur Vorgängerbestimmung des § 36 FrG die Auffassung vertreten, auch dann, wenn keiner der Tatbestände des § 36 Abs. 2 FrG erfüllt sei, komme die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in Betracht, sofern triftige Gründe vorlägen, die in ihrer Gesamtheit die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme (der Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider) rechtfertigten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2005, Zl. 2004/21/0242). Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt, dass die in § 36 Abs. 2 FrG genannten Sachverhalte als Maßstab für die Schwere jener Tatsachen heranzuziehen seien, die bei der Verhängung eines bloß auf § 36 Abs. 1 FrG gegründeten Aufenthaltsverbotes vorliegen müssten. Das muss auch für die nunmehr maßgebliche Bestimmung des § 60 FPG gelten, die in den wesentlichen Grundzügen dem seinerzeitigen § 36 FrG entspricht. Dass die von der belangten Behörde ins Treffen geführten und nicht näher beschriebenen Umstände jenen Schweregrad erreichen, der einem in § 60 Abs. 2 genannten Tatbestand entspricht, lässt sich indes nicht sagen. Die behördliche Annahme, es könne gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot verhängt werden, selbst wenn ihm nicht das Eingehen einer Scheinehe anzulasten sei, erweist sich vor diesem Hintergrund als nicht gerechtfertigt. Bezeichnenderweise sind den Verwaltungsakten auch keine Hinweise zu entnehmen, wonach die Bundespolizeidirektion Wien je Initiativen in diese Richtung gesetzt hätte.
Insgesamt ergibt sich nach dem Gesagten, dass die belangte Behörde in mehrfacher Hinsicht die Rechtslage verkannte. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 25. April 2006
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