Normen
AsylG 2005 §25 Abs2;
AsylG 2005 §51 Abs1;
AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §25 Abs2;
AsylG 2005 §51 Abs1;
AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beiden Beschwerdeführer (Cousins), russische Staatsangehörige, sind am 24. Jänner 2006 in das Bundesgebiet eingereist und haben die Gewährung von Asyl beantragt. Mit - sofort in Vollzug gesetzten - Bescheiden vom selben Tag verhängte die Bezirkshauptmannschaft Gmünd in der Folge über sie gemäß "§§ 76 Abs. 1 und 2, 76 Abs. 3, 113 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005" - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft "zur Sicherung des Verfahrens: Zurückschiebung/Abschiebung (Dublinbezug)". In ihrer Begründung führte sie jeweils aus, die Schubhaft sei deshalb erforderlich, weil erfahrungsgemäß Fremde, gegen die ein fremdenpolizeiliches Verfahren anhängig sei, trachteten, sich diesem Verfahren zu entziehen. Die Beschwerdeführer hätten angegeben, aus der Bundesrepublik Deutschland (Berlin) nach Österreich gekommen zu sein, woraus sich "ein Dublinbezug zur Bundesrepublik Deutschland" ergebe. Da sie kein Reisedokument mit sich führten, sei ihre Identität nicht gesichert.
Als Reaktion hierauf zogen die Beschwerdeführer noch am 24. Jänner 2006 (gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 2005 unwirksam) ihre Asylanträge zurück. Am 3. Februar 2006 beantragten sie, dass die ursprünglichen Asylanträge "doch wieder weitergeführt werden" sollten.
Am 3. März 2006 verständigte das Bundesasylamt die Bezirkshauptmannschaft Gmünd davon, dass den Beschwerdeführern "eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG zu(komme)".
Dessen ungeachtet teilte die Bezirkshauptmannschaft Gmünd den Beschwerdeführern im Weg einer Note vom 17. März 2006 (niederschriftlich durch die Sicherheitsbehörde bekannt gegeben am 22. März 2006) mit, dass die Schubhaft gemäß § 80 Abs. 2 und 4 FPG länger als zwei Monate dauern werde, "weil die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich (sei und) weil die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorlieg(e)". Eine positive Rückübernahmeerklärung eines Dublin-Staates habe nicht erzielt werden können, weil "offensichtlich die Identität und nähere Angaben zum Reiseweg und zum Aufenthaltsort in anderen EU-Staaten verschleiert wurden und werden". Über die Asylanträge sei gemäß § 22 Abs. 3 AsylG 2005 längstens binnen je drei Monaten zu entscheiden; auf Grund dieser knapp bemessenen Entscheidungsfrist könne die Erledigung der jeweiligen Asylanträge abgewartet und "der Zweck der Schubhaft erreicht werden".
Mit den angefochtenen Bescheiden vom 4. April 2006 wies die belangte Behörde die von den Beschwerdeführern jeweils am 31. März 2006 eingebrachten Schubhaftbeschwerden gemäß § 83 FPG als unbegründet ab.
In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde (jeweils) fest, die Beschwerdeführer seien am 24. Jänner 2006, gegen 06.15 Uhr, "nach einem unbefugten Grenzübertritt von Tschechien nach Österreich vermutlich im Bereich des Grenzsteines V/35," angehalten worden. Sie hätten ihren Reiseweg und ihre Identität verschleiert, indem sie jeweils zwei verschiedene Namen angegeben hätten. Auch verfügten sie über keine gültigen Reisedokumente bzw. Dokumente, aus denen ihre Identität verifiziert werden könnte, sodass die wahre Identität nicht gesichert sei. Sie hätten als Reiseweg beschrieben, mit dem Zug nach Moskau, von dort "mit dem Lkw nach Berlin (und) mit einem anderen Lkw zum Aufgriffsort in Österreich" gefahren zu sein, dazwischen jedoch große Erinnerungslücken aufgewiesen. "Der Aufgriff in Grenznähe zur CZ-Republik (lasse) einen vorangehenden Aufenthalt in diesem Staat somit sehr wahrscheinlich" annehmen.
Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes sei mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens eine rasche und negative Erledigung durch die österreichische Asylbehörde (Zurückweisung des Asylantrages) und die Zurückschiebung, Abschiebung oder Ausweisung der Beschwerdeführer in den Heimatstaat bzw. in die Tschechische Republik begründeterweise zu erwarten.
Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft gegenüber der Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 FPG sei "festzustellen", dass die Identität der Beschwerdeführer, die über kein gültiges Reisedokument verfügten, das ihnen eine legale Ausreise ermöglichte, nicht gesichert sei. "Ein vorhandener Dublin-Bezug" sei noch zu prüfen. Aus der Verschleierung von Identität und Reiseweg sei zulässigerweise abzuleiten, dass die Beschwerdeführer bei Belassung auf freiem Fuß bzw. Anwendung eines gelinderen Mittels versuchen würden, sich auf jede erdenkliche Weise dem Zugriff der Fremdenpolizeibehörden zu entziehen. Die Verhängung oder der bisherige Vollzug der Schubhaft könne daher weder als rechtswidrig noch als unverhältnismäßig erkannt werden.
Da die Anhaltung in Schubhaft noch andauere, sei gemäß § 83 Abs. 4 FPG festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung auf Grund des im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als erwiesen festgestellten Sachverhaltes die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Auf die Bestimmungen des § 80 Abs. 6 FPG werde hingewiesen.
Über die gegen diese Bescheide erhobenen, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zunächst ist anzumerken, dass der Ausspruch nach § 83 Abs. 4 FPG im Spruch und nicht nur in der Begründung der angefochtenen Bescheide vorzunehmen gewesen wäre.
Gemäß § 76 Abs. 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde (Z. 1), gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde (Z. 2), gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist (Z. 3) oder auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird (Z. 4).
Dabei handelt es sich um die Zusammenfassung aller in Betracht kommenden Fälle, in denen die Verhängung der Schubhaft gegen einen Asylwerber zulässig ist (vgl. die RV 952 BlgNR XXII. GP 103). An der (ununterbrochenen) Stellung beider Beschwerdeführer als Asylwerber (seit ihrer entsprechenden Antragstellung) hat auch die Rückziehung der Asylanträge vom 24. Jänner 2006 nichts geändert (§ 25 Abs. 2 AsylG 2005). Eine dem Gesetz entsprechende Verhängung der Schubhaft gegen die Beschwerdeführer nach § 76 Abs. 1 FPG scheidet daher von vornherein aus (vgl. § 1 Abs. 2 erster Satz FPG).
Aus den angefochtenen Bescheiden geht - ebenso wie aus den die Schubhaft anordnenden Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Gmünd vom 24. Jänner 2006 - nicht hervor, welcher Tatbestand nach § 76 Abs. 2 FPG als verwirklicht angesehen wurde. Dazu kommt, dass auch unter Berücksichtigung des Akteninhaltes nicht ersichtlich ist, welche der genannten Fallgruppen des § 76 Abs. 2 FPG erfüllt sein sollte: Die Führung eines Verfahrens über eine Ausweisung kommt nicht zur Sprache. Ebenso kann, nachdem beide Beschwerdeführer (jedenfalls noch im März 2006) gemäß § 51 Abs. 1 AsylG 2005 zum Asylverfahren zugelassen worden waren, nicht die Rede davon sein, es wäre danach noch anzunehmen, dass ihre Anträge mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung im Sinn des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG zurückgewiesen werden würden.
Für die Zeit davor mag - ungeachtet des Nichtvorliegens eines "Eurodac-Treffers" - anderes gelten. Die Schubhaftbescheide vom 24. Jänner 2006 argumentierten zum Sicherungsbedürfnis jedoch schlichtweg ohne Vornahme der gebotenen Einzelfallprüfung damit, dass erfahrungsgemäß Fremde, gegen die ein fremdenpolizeiliches Verfahren anhängig sei, trachteten, sich diesem Verfahren zu entziehen.
Dazu kommt, dass der Erstbeschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Einreise in das Bundesgebiet erst das 16. Lebensjahr vollendet hatte, was gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 FPG im Regelfall zur Anwendung gelinderer Mittel führen müsste. Für die Annahme, dass diese im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise nicht ausreichten, den Zweck der Schubhaft zu gewährleisten, fehlt jede Begründung durch die belangte Behörde.
Nach dem Gesagten sind die angefochtenen Bescheide (insbesondere) mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet, weshalb sie - auf Grund der Prävalenz dieses Tatbestandes - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 24. Oktober 2007
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