VwGH 2006/13/0120

VwGH2006/13/012018.4.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. B. Trefil LL.M., über die Beschwerde der E in W, vertreten durch Dr. Walter Brugger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 13. Februar 2006, Zl. RV/2081-W/05, betreffend Familienbeihilfe von Oktober 2002 bis Juni 2003, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §2 Abs2;
FamLAG 1967 §2 Abs5;
FamLAG 1967 §2a;
FamLAG 1967 §7;
FamLAG 1967 §2 Abs2;
FamLAG 1967 §2 Abs5;
FamLAG 1967 §2a;
FamLAG 1967 §7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er den Monat Juni 2003 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 13. Juni 1992 geborene Dominik G. ist der Sohn der Gabriele S. und des Martin G. Die Obsorge für ihn wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16. Mai 1994 dem Vater übertragen.

Mit Antrag vom 24. Juni 2003 begehrte die Beschwerdeführerin, die väterliche Großmutter des Dominik, die Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum Oktober 2002 bis Juni 2003. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Finanzamt am 15. Juli 2003 brachte sie dazu im Wesentlichen vor, dass Dominik von Oktober 2002 bis Mitte Mai 2003 in ihrem Haushalt (und teilweise im Haushalt seines Vaters) versorgt worden sei. Meist habe sie ihn zur Schule gebracht, nach der Schule sei Dominik fast immer zu ihr gefahren, wo er auch in der Regel geschlafen habe. Auch die Wochenenden habe Dominik fast immer bei ihr (Beschwerdeführerin) verbracht, nur ausnahmsweise manchmal einen Tag bei der Mutter. Erst Mitte Mai 2003 sei Dominik zur Mutter übersiedelt, weshalb die Gewährung von Familienbeihilfe von Oktober 2002 bis Mai 2003 beantragt werde.

Die Kindesmutter Gabriele S. gab demgegenüber am 18. Juli 2003 niederschriftlich einvernommen an, dass sich Dominik schon in der Zeit von Oktober 2002 bis Mai 2003 überwiegend in ihrem Haushalt aufgehalten habe; er habe zwar öfter bei der Beschwerdeführerin geschlafen, sei aber nach der Schule direkt zu ihr gekommen und dann meist erst spät abends abgeholt worden.

In der Folge, jeweils am 10. August 2004, wurden auch zwei weitere - bereits volljährige - Kinder der Gabriele S., ihre Schwester sowie eine "Bekannte der Familie" einvernommen. Diese Personen bestätigten weitgehend gleich lautend, dass Dominik "bereits in den Ferienmonaten ab Juli/2002 - lfd im gemeinsamen Haushalt bei der Mutter" gewesen und "in jedem Fall von der Mutter versorgt und beaufsichtigt" worden sei; er habe nur "gelegentlich einige male-Nächtigung im Haushalt der Großmutter" verbracht. In den Verwaltungsakten erliegen überdies Ablichtungen von Protokollen über Einvernahmen der Kindesmutter durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien am 8. April 2003 und durch das Bezirksgericht Favoriten am 20. Mai 2003 sowie einer mit ihr am 15. Mai 2003 aufgenommenen Niederschrift vor dem Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie. Demnach gab die Mutter am 8. April 2003 an, dass Dominik bei seinem Vater wohne und seit etwa einem halben Jahr mit den Verhältnissen zu Hause unzufrieden sei; nach der Schule und am Wochenende sei Dominik meistens bei ihr oder bei der Beschwerdeführerin; der Vater hole Dominik erst sehr spät ab, meistens nach 22.00 Uhr. Gemäß dem am 20. Mai 2003 aufgenommenen Protokoll brachte die Mutter vor, dass sich Dominik seit Oktober 2002 ständig bei ihr oder bei der Beschwerdeführerin aufhalte. Der mitanwesende Dominik selbst gab lt. dem genannten Protokoll an, er sei schon längere Zeit hauptsächlich bei seiner Mutter; es sei bisher nur so gewesen, das ihn am Abend die Beschwerdeführerin abgeholt und er dann im 10. Bezirk übernachtet habe, um dann von dort in die Schule zu gehen; nach der Schule sei er wieder zu seiner Mutter gegangen. In der Niederschrift vom 15. Mai 2003 hielt die Mutter schließlich fest, dass sich Dominik größtenteils bei ihr aufhalte; das bedeute, dass er nach der Schule, sofern er sie besuche, gleich zu ihr komme und sich bis zur Abholung spät abends bei ihr zu Hause aufhalte; am Wochenende und in den Ferien sei Dominik auch bei ihr.

Mit Bescheid vom 22. Februar 2005 wies das Finanzamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Familienbeihilfe für das Kind Dominik G. "v. 10/02 - 6/03" ab, weil Dominik zum Haushalt der Kindesmutter gehöre. Die dagegen erhobene Berufung wurde zunächst mit Berufungsvorentscheidung vom 7. Oktober 2005 und in der Folge mit dem nunmehr bekämpften Bescheid als unbegründet abgewiesen. Es werde "in freier Beweiswürdigung" die Meinung des Finanzamtes geteilt, dass im Streitzeitraum die Zugehörigkeit von Dominik zum Haushalt der Mutter gegeben gewesen sei. Sämtliche vom Finanzamt niederschriftlich vernommenen Personen hätten - im Widerspruch zur Aussage der Beschwerdeführerin - angegeben, dass Dominik ab den Ferienmonaten 2002 "laufend" im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter gewohnt und nur vereinzelt bei der Beschwerdeführerin übernachtet habe. Dem entsprächen auch die Angaben in den Protokollen des Amtes für Jugend und Familie sowie des Bezirksgerichtes Favoriten, wobei ergänzend anzuführen sei, dass Dominik selbst am 15. Mai 2003 (richtig: 20. Mai 2003) angegeben habe, dass er bereits seit längerer Zeit hauptsächlich bei seiner Mutter sei. Somit habe im Streitzeitraum keine Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der Großmutter vorgelegen, weshalb ihre Berufung abzuweisen gewesen sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin ihren ursprünglichen Antrag aus Anlass ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 15. Juli 2003 dahingehend einschränkte, dass sie Familienbeihilfe lediglich für den Zeitraum Oktober 2002 bis Mai 2003 begehre. Die erstinstanzliche Behörde hat daher insoweit, als sie auch über Juni 2003 absprach, ihre Entscheidungskompetenz überschritten, was seitens der belangten Behörde in diesem Umfang zur ersatzlosen Behebung des erstinstanzlichen Bescheides hätte führen müssen. Da dies unterblieb, ist der bekämpfte Bescheid, soweit er sich auf Juni 2003 erstreckt, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

Im Übrigen ist für die Entscheidung über die Beschwerde von § 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) auszugehen. Diese Bestimmung lautet - auszugsweise - wie folgt:

"Familienbeihilfe

§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

a) für minderjährige Kinder,

...

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

(3) Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person

a) deren Nachkommen,

...

(5) Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn

a) sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält,

b) das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt,

c) sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, wenn die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; ...

Ein Kind gilt bei beiden Elternteilen als haushaltszugehörig, wenn diese einen gemeinsamen Haushalt führen, dem das Kind angehört.

..."

Wie sich aus Abs. 2 der eben dargestellten Bestimmung ergibt, knüpft der Anspruch auf Familienbeihilfe primär an die Haushaltszugehörigkeit des Kindes an. Dabei geht das Gesetz erkennbar davon aus, dass ein Kind nur einem Haushalt angehören kann. Einerseits wird gemäß § 7 FLAG für ein Kind Familienbeihilfe nur einer Person gewährt, andererseits gibt es unter dem Gesichtspunkt "Haushaltszugehörigkeit" keine Regelungen über eine Reihung von potenziell anspruchsberechtigten Personen, etwa nach der Dauer oder dem Grad der Intensität einer solchen Zugehörigkeit. Lediglich dann, wenn ein Kind dem gemeinsamen Haushalt beider Elternteile angehört, kennt das FLAG einen "Konkurrenzfall", der in § 2a geregelt ist.

Die Bedingungen einer Haushaltszugehörigkeit sind in § 2 Abs. 5 FLAG näher umschrieben; demgemäß kommt es ausschließlich auf die einheitliche Wirtschaftsführung mit dem Kind im Rahmen einer Wohngemeinschaft (Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 1997, 96/14/0006) an.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass der minderjährige Dominik zwischen Oktober 2002 und Mai 2003 zum Haushalt seiner Mutter gehört habe. Dabei beschäftigte sich die belangte Behörde allerdings lediglich mit dem Kriterium der Wohngemeinschaft näher, wozu sie unter Bezugnahme auf niederschriftliche Einvernahmen vor dem Finanzamt ausführte, Dominik habe "ab den Ferienmonaten 2002 laufend im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter gewohnt und nur vereinzelt bei der (Beschwerdeführerin) übernachtet".

Richtig ist, dass die vom Finanzamt am 10. August 2004 einvernommenen Personen (zwei erwachsene Kinder der Kindesmutter, ihre Schwester sowie eine "Bekannte der Familie") übereinstimmend angaben, Dominik habe nur "gelegentlich einige Male" bei der Beschwerdeführerin genächtigt. Dem steht allerdings nicht nur die Darstellung der Beschwerdeführerin gegenüber. Vielmehr hat die Kindesmutter selbst mehrfach dokumentiert, dass Dominik bis Mai 2003 regelmäßig - und nicht nur gelegentlich - außerhalb ihrer Wohnung (erkennbar bei der Beschwerdeführerin) nächtigte (vgl. ihre oben wiedergegebenen Angaben vom 8. April 2003, vom 15. Mai 2003 und vom 18. Juli 2003). Auch Dominik ließ vor dem Bezirksgericht Favoriten am 20. Mai 2003 unzweifelhaft erkennen, dass er die Nächte bei der Beschwerdeführerin verbrachte ("Es war bisher nur so, dass mich am Abend meine Großmutter abgeholt hat, ich dann im 10. Bezirk übernachtet habe, um dann von dort in die Schule zu gehen."). Vor diesem Hintergrund durfte aber nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, Dominik habe im Streitzeitraum bei seiner Mutter (und daher nicht in der Wohnung der Beschwerdeführerin) gewohnt. Es kann nämlich entgegen der von der belangten Behörde - allerdings erst in ihrer Gegenschrift - geäußerten Ansicht kein Zweifel bestehen, dass die Beantwortung der Frage, mit welcher Person ein Kind die Wohnung teilt, ganz wesentlich davon abhängt, in wessen Wohnung das Kind regelmäßig nächtigt, und zwar jedenfalls dann, wenn die betreffende Person die üblicherweise mit diesen Nächtigungen im Zusammenhang stehenden altersadäquaten Betreuungsmaßnahmen (z.B. Sorgetragung für morgendliche und abendliche Körperpflege oder Begleitung zur Schule) erbringt. Anderes ist auch nicht dem schon oben erwähnten Erkenntnis vom 18. März 1997, das die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift anspricht, zu entnehmen.

Auf den Aspekt der Wirtschaftsführung ist die belangte Behörde überhaupt nicht eingegangen. Sie hat sich insbesondere nicht damit auseinander gesetzt, wer im fraglichen Zeitraum zum überwiegenden Teil die laufenden Ausgaben für das Kind getragen hat, wobei es nicht nur auf die Ausgaben für die Nahrung, sondern darüber hinaus vor allem auch auf jene für die sonstigen Dinge des täglichen Bedarfs (wozu auch Schulmaterialien zählen) sowie für Bekleidung ankommt.

Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die behördliche Schlussfolgerung, der minderjährige Dominik habe zwischen Oktober 2002 und Mai 2003 dem Haushalt seiner Mutter angehört, keine ausreichend tragfähige Basis hat. Der angefochtene Bescheid war daher, soweit er den genannten Zeitraum erfasst, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und im Übrigen, hinsichtlich seines Ausspruches betreffend Juni 2003 (siehe eingangs), gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 18. April 2007

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