VwGH 2006/15/0109

VwGH2006/15/010930.3.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über den Antrag des H in G, vertreten durch Dr. Peter C. Sziberth, Rechtsanwalt in 8151 Hitzendorf, Oberberg 102, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln im mit Beschluss vom 22. Dezember 2005, 2005/15/0111, eingestellten Verfahren den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

Begründung

1. Der Beschwerdeführer erhob eine mit 30. August 2005 datierte Beschwerde gegen einen näher bezeichneten Bescheid des unabhängigen Finanzsenates.

Der Verwaltungsgerichtshof protokollierte diese zweifach und unter Anschluss einer Ablichtung des angefochtenen Bescheides eingebrachte Beschwerde unter der Zahl 2005/15/0111 und stellte mit Verfügung vom 6. September 2005, 2005/15/0111-2, den Schriftsatz (zweifach) samt Beilage zur Behebung von Mängeln zurück. Er forderte den Beschwerdeführer auf, das Recht, in dem die beschwerdeführende Partei verletzt zu sein behauptet (Beschwerdepunkte, § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bestimmt zu bezeichnen. Es sei eine weitere Ausfertigung der Beschwerde für den Bundesminister für Finanzen beizubringen (§ 24 Abs. 1 und § 29 VwGG). Dem Beschwerdeführer stehe es frei, einen neuen, dem Mängelbehebungsauftrag voll Rechnung tragenden Schriftsatz unter Wiedervorlage der zurückgestellten unverbesserten Beschwerde einzubringen (§ 34 Abs. 2 letzter Satz VwGG). Ein ergänzender Schriftsatz sei in dreifacher Ausfertigung vorzulegen. Zur Behebung dieser Mängel wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von drei Wochen, gerechnet vom Tage der Zustellung dieses Mängelbehebungsauftrages, eingeräumt. Der Beschwerdeführer wurde gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die zurückgestellte Beschwerde (einschließlich der angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen) auch dann wieder vorzulegen ist, wenn zur Ergänzung ein neuer Schriftsatz eingebracht wird.

Innerhalb offener Frist brachte der Beschwerdeführer einen neuen, mit 19. September 2005 datierten Schriftsatz (dreifach) ein, welchem der Mangel des Fehlens eines Beschwerdepunktes nicht mehr anhaftete. Die zurückgestellte ursprüngliche Beschwerde wurde jedoch lediglich in zweifacher Ausfertigung vorgelegt. Der zurückgestellte angefochtene Bescheid wurde nicht wieder vorgelegt.

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2005, 2005/15/0111-5, stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 und § 34 Abs. 2 VwGG wegen unterlassener Mängelbehebung ein. Das Unterlassen der Wiedervorlage des angefochtenen Bescheides und der Vorlage einer weiteren Ausfertigung der ursprünglichen Beschwerde für den Bundesminister für Finanzen stehe einer gänzlichen Unterlassung einer Mängelbehebung gleich (Hinweis auf die hg. Entscheidungen vom 21. April 1998, 97/08/0658, und vom 23. September 2005, 2005/15/0077).

2. Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2006 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Erst mit Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 2005 am 6. Februar 2006 habe der Beschwerdeführer davon Kenntnis erhalten, dass dem Verbesserungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. September 2005 nicht rechtzeitig Rechnung getragen worden sei. Am 19. September 2005 habe der Beschwerdevertreter "die Beschwerde entsprechend dem Punkt 1 der Verfügung vom 06.09.2005 repariert". Diese Beschwerde sei von der Sekretärin des Vertreters des Beschwerdeführers geschrieben, ausgedruckt und dem Verfasser zur Kontrolle vorgelegt worden. Nachdem der Vertreter des Beschwerdeführers den Inhalt der verbesserten Beschwerde für gut befunden habe, seien "die notwendigen Kopien angefertigt" worden und habe der Beschwerdevertreter "entsprechend der Verfügung auf einem selbstklebenden Postit-Zetterl vermerkt", welche Schriftstücke an den Verwaltungsgerichtshof das entsprechende Kuvert zu beinhalten habe. An diesem Tag habe der Beschwerdevertreter nicht nur diesen Akt zur Bearbeitung und zum Versand vorzubereiten gehabt, sondern auch verschiedene andere Schriftstücke, weshalb er in der Folge "einen mehr oder minder hohen Aktenstoß" dem Sekretariat vorgelegt habe, um die entsprechenden Schriftstücke nach den Vorgaben zu kuvertieren, zu adressieren und abzusenden. Mit diesem Tätigkeitsbereich sei am 20. September 2005 die Mitarbeiterin des Beschwerdevertreters, E., beschäftigt gewesen. Es sei davon auszugehen, dass E. bei der Aktenbearbeitung den vorangegangenen Akt offensichtlich vom Stapel gezogen habe, um ihn zu erledigen, und sich dabei offensichtlich der "Postit-Zettel" vom Akt der gegenständlichen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gelöst habe, sodass die in Rede stehende Verbesserung von E. nicht entsprechend der Verfügung vom 6. September 2005, sondern "wie ein ganz gewöhnlicher Gerichtsschriftsatz" kuvertiert worden sei. Wäre der "Postit-Zettel" noch auf dem "VwGH-Akt" geklebt, hätte E. "entsprechend den Vorgaben ihres Chefs" selbstverständlich die Versandmodalitäten befolgt und wäre innerhalb der Frist die Verbesserung des Schriftsatzes nicht nur möglich gewesen, sondern auch durchgeführt worden. Bei E. handle es sich um eine zuverlässige und "altgediente" Sekretärin mit "entsprechendem Ausbildungsniveau", für die die Postabfertigung entsprechend den Vorgaben ihres Chefs noch nie ein Problem dargestellt habe. Durch den Verlust des "Postit-Zetterls", offensichtlich sei dieser mit seinem Selbstklebestreifen auf dem vorangegangenen Akt im Stoß kleben geblieben, sei es zum unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignis gekommen. Eine Kontrolle des Postausganges erscheine dem Rechtsanwalt als unzumutbar, weil er einer altgedienten Sekretärin vertrauen könne. Der Verlust des "Postit-Zettels" stelle wohl eine mindere Art des Versehens dar. Ein Rechtsanwalt mit ordnungsgemäßem Kanzleibetrieb dürfe sich darauf verlassen, dass das Kanzleipersonal das ausführe, was mit einem "Postit-Zettel" schriftlich aufgetragen werde. Der Vertreter sei daher jedenfalls seiner gegenüber seinem Kanzleibediensteten gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen.

Zum Beweis legte der Vertreter des Beschwerdeführers eine eidesstättige Erklärung der E. vor. In diesem Schriftsatz führt E. aus, dass sie, weil sie Abitur und langjährige Sekretariatserfahrung habe, am 20. September 2005 damit beauftragt gewesen sei, den vom Beschwerdevertreter vorbereiteten Aktenstoß zu bearbeiten und die vorgegebenen Schriftsätze samt Beilage zu kuvertieren und zu versenden. Es sei in der Kanzlei üblich, auf sogenannten "Postit-Zetteln" die jeweiligen Sonderaufträge zu vermerken und diese auf den jeweiligen Akt außen aufzukleben. Wenn auf einem Akt kein "Postit-Zettel" angebracht sei, sei dieses Schriftstück wie ein gewöhnlicher Gerichtsschriftsatz zu behandeln. Beim Herunterziehen des vorangegangenen Aktes habe sich "das Postit-Zetterl" offensichtlich vom Akt gelöst und sei "irgendwo anders kleben geblieben", sodass die Beschwerde "wie ein normaler Schriftsatz (zweifach die ursprüngliche Beschwerde, zweifach plus Versandrubrik die verbesserte Beschwerde) kuvertiert" worden sei. Ein Fehler dieser Art sei ihr bis zum 20. September 2005 und auch danach nicht passiert. Eine entsprechende Änderung der diesbezüglichen Handhabung sei bereits vollzogen worden, "Postit-Zetteln" würden nicht mehr verwendet.

3. Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl. beispielsweise die hg. Beschlüsse vom 26. November 2003, 2003/13/0054, mwN, vom 26. Februar 2004, 2003/15/0145 und 0146, und vom 15. Juni 2005, 2005/13/0043 und 0044), stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Vertreters, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne der obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. November 2000, 99/17/0395, und den hg. Beschluss vom 26. Februar 2004, 2003/15/0145 und 0146).

Die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist stecken den Rahmen für die Untersuchung der Frage ab, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist (vgl. etwa den Beschluss vom 23. September 2005, 2005/15/0083 und 0084).

Eingangs ist festzuhalten, dass weder der ursprünglichen, mängelbehafteten Beschwerde noch dem Schriftsatz zur Mängelbehebung eine Halbschrift angeschlossen war und auf den Schriftsätzen selbst kein Hinweis auf Beilagen oder die Anzahl der Ausfertigungen des Schriftsatzes aufscheint. Dass dies in der Kanzlei des Beschwerdevertreters nicht der Regelfall gewesen wäre, wird nicht behauptet.

Woraus die Anzahl der Ausfertigungen und der Beilagen zu entnehmen wäre, welche die Kanzleiangestellten jeweils zu kuvertieren hatten, ist insoweit ungeklärt, als im Wiedereinsetzungsantrag und in der eidesstättigen Erklärung der Kanzleiangestellten E. nur von "gewöhnlichen Gerichtsschriftsätzen" die Rede ist, wobei offen blieb, welche Anweisungen die Kanzleiangestellten für die Kuvertierung von solchen Schriftsätzen hatten.

Nach den Ausführungen in der eidesstättigen Erklärung sei es üblich, dass der Beschwerdevertreter die jeweiligen "Sonderaufträge" auf sogenannten "Postit-Zetteln" vermerke und auf dem jeweiligen Akt außen aufklebe. Somit habe die Kanzleiangestellte bei Fehlen eines solchen "Postit-Zettels" - mangels gegenteiligen Vorbringens im Widereinsetzungsantrag - offenbar annehmen dürfen, es handle sich um einen "gewöhnlichen Gerichtsschriftsatz", und diesen ohne Nachfrage kuvertieren dürfen.

Darüber hinaus schildert der Beschwerdeführer im Wiedereinsetzungsantrag, nachdem der Beschwerdevertreter den Inhalt der verbesserten Beschwerde für gut befunden habe, seien "die notwendigen Kopien" angefertigt worden und habe der Beschwerdevertreter "entsprechend der Verfügung auf einem selbstklebenden Postit-Zetterl vermerkt, welche Schriftstücke an den Verwaltungsgerichtshof das entsprechende Kuvert zu beinhalten" habe. Damit wird nicht konkret und unmissverständlich dargestellt, dass auch die Herstellung einer weiteren Ausfertigung der ursprünglichen Beschwerde und der Anschluss als Beilage angeordnet und erfolgt seien.

Unterfertigt ein Parteienvertreter einen Beschwerdeergänzungsschriftsatz, ist er verpflichtet, zu überprüfen, ob mit der beabsichtigten Prozesshandlung dem gerichtlichen Auftrag fristgerecht entsprochen wird (vgl. den hg. Beschluss vom 22. Dezember 2004, 2004/08/0224, sowie die in Dolp,

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 671, referierte Rechtsprechung).

In Anbetracht der Bedeutung, die der Vollständigkeit der Erfüllung eines Ergänzungsauftrages zukommt, ist der Beschwerdeführer bzw. sein Vertreter verhalten, sowohl die Rechtzeitigkeit des Ergänzungsschriftsatzes als auch die Vollständigkeit der Erfüllung der Aufträge zu überprüfen. Dazu gehört, dass er anlässlich der Unterfertigung der Beschwerde sein Augenmerk auch darauf richtet, ob am Ergänzungsschriftsatz die erforderliche Anzahl der Ausfertigungen und Beilagen vermerkt ist und diese dem Schriftsatz auch angeschlossen sind.

Indem ein Beschwerdevertreter bei einem Mängelbehebungsschriftsatz den Vermerk über die anzuschließende Zahl von Ausfertigungen und Zahl und Bezeichnung der Beilagen nicht auf dem Schriftsatz vermerkt, sondern sich mit Haftnotizen begnügt, nimmt er in Kauf, dass die Haftnotiz auf dem Schriftstück nicht haften bleibt und damit nicht klar ist, wie viele Gleichschriften und wie viele und welche Beilagen anzuschließen sind. Damit hat der Beschwerdevertreter die oben beschriebene Pflicht zur Überprüfung nicht erfüllt und ist der behauptete, oben beschriebene Fehler das Ergebnis eines Mangels in der Kanzleiorganisation, welcher über den minderen Grad des Versehens hinausgeht.

Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die Ausführungen in der eidesstättigen Erklärung der Kanzleibediensteten E. insofern mit der Aktenlage nicht in Einklang zu bringen sind, als E. angibt, sie habe die Mängelbehebung wie einen "normalen Schriftsatz (zweifach die ursprüngliche Beschwerde, zweifach plus Versandrubrik die verbesserte Beschwerde)" kuvertiert. Tatsächlich liegt dem Verwaltungsgerichtshof keine "Versandrubrik" vor und wurde die "verbesserte Beschwerde" ohnehin dreifach eingebracht.

Aus diesen Gründen war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattzugeben.

Wien, am 30. März 2006

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte