VwGH 2006/04/0033

VwGH2006/04/003324.5.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der I GmbH in W, vertreten durch Dr. Hanns Christian Baldinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Karlsplatz 2/15, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 18. Jänner 2006, Senat-AB-05-0263, betreffend Maßnahme gemäß § 360 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
GewO 1994 §360 Abs1;
GewO 1994 §360 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
GewO 1994 §360 Abs1;
GewO 1994 §360 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 18. Jänner 2006 hat der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die Schließung des ersten und zweiten Obergeschosses der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin zur Ausübung des Gastgewerbes an einem bestimmt bezeichneten Standort gemäß § 360 Abs. 1 letzter Satz Gewerbeordnung 1994 (GewO) verfügt und die Beherbergung von Personen in diesen beiden Obergeschossen untersagt.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, dass anlässlich der gewerberechtlichen Genehmigung der gegenständlichen Betriebsanlage mit Bescheid vom 16. März 1994 als Auflagenpunkt 3. Folgendes vorgeschrieben worden sei:

"Der Stiegenaufgang vom Erdgeschoss in das erste Obergeschoss ist geradarmig auszuführen. Die Stiegenbreite von 1,20 m ist entsprechend dem vorgelegten Projekt vom Erdgeschoss bis in das zweite Obergeschoss herzustellen."

Mehrere Überprüfungen hätten ergeben, dass dieser Auflagenpunkt 3. nicht erfüllt worden sei. Die Erstbehörde habe daher am 28. Februar 2003 eine Verfahrensanordnung erlassen, wonach die Beschwerdeführerin bis spätestens 30. Juni 2003 den Auflagenpunkt 3. des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides zu erfüllen und hierüber zu berichten habe.

Da die Beschwerdeführerin dieser Anordnung nicht nachgekommen sei, sei mit Bescheid der Erstbehörde vom 23. Dezember 2003 die Schließung des ersten und zweiten Obergeschosses der gegenständlichen Betriebsanlage verfügt worden. Eine Berufung gegen diesen Bescheid sei am 8. März 2004 abgewiesen worden.

Der Gendarmerieposten P. habe mit Schreiben vom 21. Juni 2005 u. a. mitgeteilt, dass die aufgetragene bauliche Ausführung der Stiegen (Stiegenbreite, geradarmige Ausführung) nach Aussage einer Kellnerin und eigener Überprüfung noch immer nicht durchgeführt worden wäre.

Daraufhin habe die Erstbehörde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29. Juni 2005 mitgeteilt, dass der die Schließung des ersten und zweiten Obergeschosses verfügende Bescheid vom 23. Dezember 2003 ex lege außer Kraft getreten sei und nunmehr beabsichtigt sei, diese Schließung neuerlich zu verfügen.

Nach der Aktenlage reagierte die Beschwerdeführerin darauf mit Schreiben vom 9. September 2005, in welchem sie sich vor allem darauf berief, die - nach wie vor gewendelt ausgeführte - Stiege durch "konstruktive Maßnahmen" so geändert zu haben, dass die erforderliche Mindesttrittbreite der einzelnen Stufen überall gewährleistet sei.

Der Auflagenpunkt 3. des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides sei, so die belangte Behörde weiter, nach wie vor in seiner ursprünglichen Art und Weise aufrecht und niemals geändert worden. Demgemäß bestehe die Verpflichtung, den Stiegenaufgang vom Erdgeschoss in das erste Obergeschoss geradarmig und mit einer Mindeststiegenbreite von 1,20 m auszuführen. Aus der Aktenlage ergebe sich eindeutig, dass die Stiege nach wie vor nicht geradarmig ausgeführt sei und eine Breite von weniger als 1,20 m aufweise.

Die in § 360 Abs. 1 GewO geregelte Ermächtigung zur Verfügung einstweiliger Zwangsmaßnahmen habe eine entsprechende Aufforderung mit Verfahrensanordnung zur Voraussetzung. Das Fehlen dieser Voraussetzung bewirke die Unzulässigkeit der Maßnahme. Die Verfahrensanordnung vom 28. Februar 2003 sei gesetzgemäß ergangen. Die daraufhin von der Erstbehörde verfügte Maßnahme gemäß § 360 Abs. 1 zweiter Satz sei mittlerweile ex lege außer Kraft getreten. Die Erlassung einer neuerlichen (gleichlautenden) Verfahrensanordnung sei nicht erforderlich. Der Umstand, dass auf Grund der ersten Verfahrensanordnung bereits eine Maßnahme erlassen worden sei, ändere nichts am Vorliegen einer gesetzgemäßen Verfahrensanordnung. Aus diesem Grund seien die gegenständlichen Zwangs- und Sicherungsmaßnahmen gemäß § 360 Abs. 1 GewO zu erlassen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 360 GewO hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"§ 360. (1) Besteht der Verdacht einer Übertretung gemäß § 366 Abs. 1 Z 1, 2 oder 3, so hat die Behörde unabhängig von der Einleitung eines Strafverfahrens den Gewerbeausübenden bzw. den Anlageninhaber mit Verfahrensanordnung zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes innerhalb einer angemessenen, von der Behörde zu bestimmenden Frist aufzufordern; eine solche Aufforderung hat auch dann zu ergehen, wenn der Verdacht einer Übertretung gemäß § 367 Z 25 besteht und nicht bereits ein einschlägiges Verfahren gemäß § 78 Abs. 2, § 79c oder § 82 Abs. 3 anhängig ist. Kommt der Gewerbeausübende bzw. der Anlageninhaber dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so hat die Behörde mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes jeweils notwendigen Maßnahmen, wie die Stillegung von Maschinen oder die Schließung von Teilen des Betriebes oder die Schließung des gesamten Betriebes zu verfügen.

...

(5) Die Bescheide gemäß Abs. 1 zweiter Satz, 2, 3 oder 4 sind sofort vollstreckbar; wenn sie nicht kürzer befristet sind, treten sie mit Ablauf eines Jahres, vom Beginn der Vollstreckbarkeit an gerechnet, außer Wirksamkeit. Durch einen Wechsel in der Person des Inhabers der von den einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen betroffenen Anlagen, Anlagenteile oder Gegenstände wird die Wirksamkeit dieser Bescheide nicht berührt.

..."

Im vorliegenden Fall hat die Erstbehörde bereits am 28. Februar 2003 eine Verfahrensanordnung gemäß § 360 Abs. 1 erster Satz GewO des Inhalts erlassen, dass der Beschwerdeführerin die Erfüllung des Auflagenpunktes 3. des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides bis 30. Juni 2003 aufgetragen werde. Auf Grund der Nichterfüllung dieser Verfahrensanordnung hat die Erstbehörde mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 die Schließung des ersten und zweiten Obergeschosses der gegenständlichen Betriebsanlage als Maßnahme gemäß § 360 Abs. 1 zweiter Satz GewO angeordnet. Diese Maßnahme ist gemäß § 360 Abs. 5 GewO im Dezember 2004 ex lege außer Kraft getreten.

Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid die Ansicht, dass vor Erlassung der gegenständlichen Maßnahme eine neuerliche Verfahrensanordnung nicht mehr erforderlich gewesen sei. Diese Ansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Gründen nicht geteilt:

Besteht der Verdacht der unberechtigten Gewerbeausübung oder konsenslosen Betreibung bzw. Änderung einer Betriebsanlage so hat die Behörde gemäß § 360 Abs. 1 GewO zunächst den Gewerbeausübenden bzw. den Anlageninhaber mit Verfahrensanordnung aufzufordern, den der Rechtsordnung entsprechenden Zustand herzustellen und bei nicht fristgerechter Erfüllung dieser Anordnung die - gemäß § 360 Abs. 5 leg. cit. auf maximal ein Jahr befristeten - erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

Solche Maßnahmen haben den Zweck, Gefahren oder Belästigungen kurzfristig und vorübergehend zu beseitigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. November 2000, Zl. 2000/04/0156).

Schon aus diesem kurzfristigen und vorübergehenden Zweck ergibt sich, dass es nicht im Sinn des Gesetzes liegen würde, wenn es der Behörde unbenommen bliebe, nach Erlassung einer Verfahrensanordnung nicht nur eine - auf maximal ein Jahr befristete - Maßnahme, sondern unmittelbar hintereinander mehrere solche Maßnahmen zu erlassen. Besteht nach Ablauf der befristeten Maßnahme wieder ein (gleichartiger) der Rechtsordnung widersprechender Zustand, so hat die Behörde vielmehr den Gewerbeausübenden oder Anlageninhaber neuerlich mit Verfahrensanordnung aufzufordern, diesen Zustand zu beseitigen, und kann erst, wenn dieser Anordnung nicht nachgekommen wird, eine neuerliche Maßnahme verfügen. Kommt der Gewerbeausübende bzw. der Anlageninhaber während der Gültigkeitsdauer der Maßnahme der mit Verfahrensanordnung ausgesprochenen Aufforderung nicht nach und besteht der Verdacht, er werde nach Außerkrafttreten der Maßnahme mit dem rechtswidrigen Verhalten fortfahren, so kann eine solche Verfahrensanordnung bereits vor Außerkrafttreten der Maßnahme erlassen werden, um eine lückenlose Hintanhaltung des rechtswidrigen Verhaltens zu erreichen. Das Fehlen einer (neuerlichen) Verfahrensanordnung bewirkt hingegen die Unzulässigkeit der Maßnahme (vgl. dazu auch das im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom 16. Juli 1996, Zl. 96/04/0062).

Überdies handelt es sich bei einer Aufforderung nach § 360 Abs. 1 erster Satz GewO um eine - nicht gesondert anfechtbare - Verfahrensanordnung, die nur den Gang des Verfahrens regelt und von der Rechtskraft des die Sache erledigenden Bescheides erfasst wird (vgl. zu Verfahrensanordnungen etwa das hg. Erkenntnis vom 23. April 1991, Zl. 90/04/0286). Eine Verfahrensanordnung nach § 360 Abs. 1 erster Satz GewO teilt daher jedenfalls das rechtliche Schicksal des nach § 360 Abs. 1 zweiter Satz GewO in der Sache ergangenen und das Verfahren abschließenden Bescheides. Dieser Bescheid entfaltet nach dem Außerkrafttreten der Maßnahme gemäß § 360 Abs. 5 GewO keine den Gewerbeausübenden bzw. Anlageninhaber belastenden Rechtswirkungen, insbesondere keine Bindungswirkungen betreffend den Umfang des gewerbebehördlichen Konsenses. Nach Außerkrafttreten dieses Bescheides kann daher auch die Verfahrensanordnung keine Rechtswirkungen mehr entfalten.

Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 24. Mai 2006

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