VwGH 2005/20/0061

VwGH2005/20/006117.10.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des F in T, geboren 1987 (alias 1985 bzw. 1984), vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Jänner 2005, Zl. 256.456/0-XI/34/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und insoweit als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus dem Edo-State stammender nigerianischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen Angaben am 13. Dezember 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen schriftlichen Asylantrag, in dem er sein Geburtsdatum mit 3. Jänner 1987 angegeben hatte.

Bei seiner Einvernahme am 20. Dezember 2004 wurde dem Beschwerdeführer zunächst vorgehalten, aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes könne nicht davon ausgegangen werden, dass das angegebene Lebensalter richtig sei. Vielmehr sei anzunehmen, dass er zumindest das 19. Lebensjahr bereits vollendet habe. Dem hielt der Beschwerdeführer entgegen, der Organwalter könne nicht aufgrund seines Aussehens urteilen. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass er so alt sei. Danach ist im Protokoll angemerkt, dass auch der Rechtsberater die Auffassung des Bundesasylamtes teile und die Vertretung des Beschwerdeführers als gesetzlicher Vertreter ablehne. Anschließend wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass davon auszugehen sei, dass er volljährig sei und im weiteren Verfahren nicht mehr durch den Rechtsberater als gesetzlichen Vertreter vertreten werde. Trotzdem beharrte der Beschwerdeführer darauf, er werde "nächstes Jahr erst 18 Jahre".

Danach gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen - zusammengefasst - an, er sei im November 2004 in Warri während der Verrichtung von Arbeiten auf der Straße im Zuge von Unruhen von einer mit Macheten und Holzstangen bewaffneten Gruppe der "Rebellen" angegriffen worden, wobei zwei seiner Kollegen erstochen worden seien. Aus Angst, auch getötet zu werden, sei der Beschwerdeführer auf näher beschriebene Weise geflüchtet. Bei der zweiten Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 22. Dezember 2004 verwies der Beschwerdeführer nur auf diese Angaben.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte es gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).

Im Kopf dieses Bescheides wurde neben dem Namen des Beschwerdeführers angeführt, "12.02.1984 geb. alias 03.01.1987 geb." Demgegenüber stellte das Bundesasylamt im ersten Absatz der Begründung fest, das Geburtsdatum des Beschwerdeführers "ist der 03.01.1985". Nach wörtlicher Wiedergabe der Niederschriften heißt es in diesem Zusammenhang auf Seite 8 noch, es könne nicht festgestellt werden, dass das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum 3. Jänner 1987 stimme. Dazu führte das Bundesasylamt auf Seite 11 des erstinstanzlichen Bescheides beweiswürdigend aus, aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Beschwerdeführers und seines Verhaltens während der Einvernahmen könne nicht davon ausgegangen werden, dass das von ihm vorgegebene Lebensalter der Richtigkeit entspreche. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer das 19. Lebensjahr bereits vollendet habe. Das Geburtsdatum werde daher mit 3. Jänner 1985 angenommen.

In der Sache führte das Bundesasylamt aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers "keinen Feststellungen unterzogen" werde, weil diesem - selbst bei Vorliegen des vom Beschwerdeführer angegebenen Sachverhaltes - aus näher dargestellten rechtlichen Erwägungen keine "Entscheidungsrelevanz" zukomme. Im Übrigen ging die Erstbehörde unter Bezugnahme auf auch getroffene Feststellungen zur Lage in Nigeria von einer internen Ausweichmöglichkeit vor der behaupteten Verfolgungsgefahr aus. Mangels familiärer Bindungen in Österreich sei auch die Ausweisung des Beschwerdeführers gerechtfertigt.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer noch am 23. Dezember 2004 beim Bundesasylamt ausgehändigt.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine - im Begründungsteil teilweise handschriftlich verfasste - Berufung, auf deren erster (in "Maschinschrift" geschriebener) Seite das Geburtsdatum - wie im Kopf des Bescheides der Erstbehörde - auch mit "12.02.1984, alias 03.01.1987" angegeben wurde. Inhaltlich nahm die Berufung auf das Alter nicht mehr Bezug, sondern es wurden neben rechtlichen Einwänden gegen die Ausweisung im Wesentlichen nur die Fluchtgründe wiederholt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung "gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 8 Abs. 2 AsylG" ab, wobei sie zur Begründung nur auf die für zutreffend erachteten Ausführungen des Bundesasylamtes verwies, denen die Berufung kein konkretes stichhältiges Argument entgegen gesetzt habe. Zum Alter des Beschwerdeführers finden sich keine (eigenen) Erwägungen; im Kopf wurde das Geburtsdatum wie im Bescheid des Bundesasylamtes und wie in der Berufung angegeben.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde macht unter Bezugnahme auf die wiedergegebene Aktenlage geltend, zufolge der (damaligen) Minderjährigkeit des Beschwerdeführers sei der erstinstanzliche Bescheid nicht rechtswirksam zugestellt worden und die belangte Behörde hätte daher die Berufung zurückweisen müssen. Sie hätte sich zumindest selbst im Rahmen einer mündlichen Verhandlung nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens mit der Frage des Alters des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen, zumal der erstinstanzliche Bescheid dazu einander teilweise widersprechende Passagen enthalte.

Dem ist beizupflichten:

Die Erstbehörde hat sich zur Begründung ihrer altersmäßigen Einschätzung nur auf das äußere Erscheinungsbild und das Verhalten des Beschwerdeführers bei den Einvernahmen gestützt, was mangels näherer Beschreibung der dabei für maßgeblich erachteten Kriterien für sich genommen nicht nachvollziehbar und einer Überprüfung nicht zugänglich ist. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der einvernehmende Organwalter des Bundesasylamtes in Fragen der Altersbeurteilung über eine besondere fachliche Qualifikation oder Erfahrung verfüge (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 2005, Zl. 2005/01/0415). Die mangelnde Schlüssigkeit der diesbezüglichen Überlegungen des Bundesasylamtes hätte die belangte Behörde daher veranlassen müssen, die Altersfrage einer eigenständigen Beurteilung zu unterziehen. Davon konnte sie nicht schon deshalb absehen, weil in der Berufung dazu kein ausdrückliches Vorbringen erstattet und das Geburtsdatum aus dem Bescheid der Erstbehörde übernommen wurde. In diesem Zusammenhang hat die Beschwerde nämlich zutreffend bemerkt, dass die Aktenlage für das Geburtsdatum 12. Februar 1984 keine Grundlage bietet. Aus dessen Übernahme im Kopf der Berufung durfte daher nicht geschlossen werden, der Beschwerdeführer wolle die Richtigkeit der behördlichen Einschätzung ausdrücklich zugestehen. Davon ausgehend war die belangte Behörde aber verpflichtet, sich mit dem Alter des Beschwerdeführers - als Vorfrage für die Wirksamkeit der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an ihn selbst und für die Zulässigkeit einer meritorischen Erledigung der Berufung (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 22. November 2005, Zl. 2005/01/0415) - von Amts wegen auseinander zu setzen.

Hinsichtlich der Bestätigung des Ausspruches nach § 8 Abs. 2 AsylG über die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet" (Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides) hat die belangte Behörde überdies rechtlich verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit damit die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurden, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Soweit mit dem angefochtenen Bescheid auch Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurde, war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG eine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes vorzunehmen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. Oktober 2006

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