VwGH 2005/01/0057

VwGH2005/01/005726.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der FK in L, geboren 1975, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Mauhart, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Jahnstraße 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. April 2004, Zl. 247.082/0- VI/42/04, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
EMRK Art3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, gehört der bosnischen Volksgruppe an und ist muslimischen Glaubens. Sie reiste nach eigenen Angaben im April 2002 gemeinsam mit ihrem Ehemann unter Verwendung eines von der österreichischen Botschaft in Sajarevo ausgestellten Visums in das Bundesgebiet ein, begab sich anschließend nach Deutschland (und von dort zwischenzeitlich auch nach Luxemburg), von wo sie Anfang November 2002 nach Österreich rücküberstellt wurde. Am 7. November 2002 stellte sie beim Bundesasylamt einen Asylantrag, zu dem sie am 30. Jänner 2003 erstmals einvernommen wurde. Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an, aus Doboj (in der heutigen Republika Srpska) zu stammen. Das Haus ihrer Familie sei während des Krieges zerstört worden. Von 1995 bis kurz vor der Ausreise habe sie in einer "staatlichen Wohnung" in Maglaj gewohnt, die ihrer Familie zur Verfügung gestellt worden sei. Im Jänner 2002 habe sie einen Bescheid der "Bosnischen Föderation, Gemeinde Maglaj" erhalten, wonach sie die Wohnung verlassen müsse, weil sie "praktisch dem früheren Mieter" - einem Serben - wieder zugesprochen worden sei. Da sie die Wohnung nicht freiwillig verlassen habe, sei sie von der Polizei "hinausgeschmissen" worden. Das sei der Hauptgrund für das Verlassen des Heimatlandes gewesen. Im Falle einer Rückkehr wisse sie nicht, wohin sie mit ihrem Mann und ihrem Kind (die Beschwerdeführerin gebar am 5. Juni 2002 eine Tochter; am 23. Dezember 2003 brachte sie im Übrigen ein weiteres Kind zur Welt) gehen solle.

Mit Bescheid vom 22. Jänner 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gemäß § 8 AsylG für zulässig. Nach ausführlichen Feststellungen zur Lage in Bosnien-Herzegowina folgerte die Behörde - unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beschwerdeführerin -, die vorgebrachte Delogierung sei keine asylrelevante Verfolgung gewesen, sondern eine "allgemeine Administrativmaßnahmen mit dem Zweck, durch den Krieg und ethnische Säuberungen entstandenes Unrecht zu beseitigen". Dem Asylantrag komme daher keine Berechtigung zu und sei der Beschwerdeführerin - aus näher dargestellten Gründen - auch kein Refoulementschutz zu gewähren.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hielt die Beschwerdeführerin zunächst ihr bisheriges Vorbringen aufrecht. Ergänzend führte sie an, es gebe für sie und ihre Familie in Bosnien-Herzegowina keine Zukunft. Sie habe dort keine Existenzgrundlage, keine Möglichkeit zu wohnen und es gebe auch keine Arbeit. Die Polizei sei korrupt, was auch der Grund sei, dass sie "ihr Haus" verloren habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Die Beschwerdeführerin habe nicht dargetan, dass ihr in Bosnien-Herzegowina asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 7 AsylG drohe. Soweit sie diesbezüglich die erfolgte Delogierung zwecks Rückgabe der Wohnung an den ursprünglichen Besitzer ins Treffen führe, sei dieser Umstand weder in Ansehung der Intensität des Eingriffs noch in Ansehung des Grundes für diese Maßnahme geeignet, eine Asylgewährung zu tragen. Auch schlechte wirtschaftliche und soziale Bedingungen könnten nicht als staatliche Verfolgung angesehen werden. Andere Gründe habe sie weder behauptet noch seien solche ersichtlich. Dem Bundesasylamt sei im Ergebnis auch zuzustimmen, dass im Falle der Beschwerdeführerin keine exzeptionellen Umstände vorlägen, aufgrund derer ihre Rückführung in den Herkunftsstaat gegen Art. 3 EMRK verstieße. In Bosnien-Herzegowina seien- wie bereits das Bundesasylamt in seinem Bescheid festgestellt habe - Notunterkünfte vorhanden, sodass die Beschwerdeführerin - trotz des Verlustes ihrer bisherigen Wohnmöglichkeit - bei Rückkehr in keine ausweglose Lage geraten würde. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere Grundnahrungsmitteln, sowie mit Kleidung und Heizmaterial sei landesweit sichergestellt.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin begründete ihre Flucht primär mit ihrer Delogierung aus einer Wohnung in Maglaj, die ihre Familie seit dem Jahr 1995 bewohnt hatte und die seitens der Behörden ihres Herkunftsstaates dem (offenbar im Zuge der kriegerischen Ereignisse geflohenen) ehemaligen Bewohner zurückgestellt werden sollte. Zu Recht hat die belangte Behörde verneint, dass eine solche - auf die Wiedergutmachung der Folgen des Bürgerkrieges gerichtete - staatliche Maßnahme geeignet wäre, einen Asylanspruch der Beschwerdeführerin zu rechtfertigen. Allerdings ließ die belangte Behörde unberücksichtigt, dass diese Wohnung der Beschwerdeführerin als Zuflucht nach dem (kriegsbedingten) Verlust ihres Hauses in Doboj (in der heutigen Republika Srpska) diente. Es wären daher - schon auf der Grundlage des näher zu hinterfragenden Vorbringens der Beschwerdeführerin - Überlegungen dahingehend anzustellen gewesen, aus welchen Gründen die Beschwerdeführerin ihre ursprüngliche Heimat (Doboj) verlassen hatte und ob es sich bei ihrem Aufenthalt in Maglaj um den Zustand interner Vertreibung handelte. In diesem Fall wäre für die Beurteilung ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht ausschlaggebend, dass ihr in Maglaj selbst keine asylrelevante Verfolgung drohte, sondern müsste - bei weiterhin aufrechter Verfolgungsgefahr in ihrer Heimatregion Doboj - insbesondere unter Berücksichtigung des Kriterium der Zumutbarkeit geprüft werden, ob ihr in Maglaj (oder einem anderen konkret in Betracht kommenden Zufluchtsort innerhalb des Herkunftsstaates) auch noch nach dem Verlust der bisher genützten Wohnung eine inländische Schutzalternative zur Verfügung stand (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2005, Zl. 2002/01/0414). Da der belangten Behörde eine solche Prüfung - rechtsirrtümlich - nicht erforderlich schien, ist ihr Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

Ungeachtet dessen rügt die Beschwerde - in Bezug auf den Ausspruch gemäß § 8 AsylG - im Ergebnis zu Recht, dass im angefochtenen Bescheid auf die individuelle Situation der Beschwerdeführerin bei Rückkehr in den Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK nicht ausreichend Bedacht genommen worden ist.

Die belangte Behörde verweist die Beschwerdeführerin (und ihre Familie), die in ihrer Berufung auf die fehlende Unterkunftsmöglichkeit hingewiesen hatte, auf das Vorhandensein von Sammelunterkünften und nimmt dabei auf die Feststellungen des Bundesasylamtes im erstinstanzlichen Bescheid Bezug. Darin wurden die Bedingungen in diesen Sammelunterkünften jedoch als "hart", wenngleich als "grundsätzlich zumutbar" bezeichnet. Für diese zuletzt genannte Einschätzung fehlt jedoch eine nähere Begründungen. Einer solchen hätte es aber insbesondere deshalb bedurft, weil die Beschwerdeführerin - worauf im angefochtenen Bescheid nicht eingegangen wird - Mutter zweier Kleinkinder ist, weshalb den bei einer Rückkehr der Familie in den Herkunftsstaat zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten besondere Bedeutung zukommt (vgl. dazu etwa die - den Kosovo betreffenden - hg. Erkenntnisse vom 8. März 2005, Zl. 2003/01/0640, und vom 24. Mai 2005, Zl. 2004/01/0554).

Auf Grund dieser ungeklärten Umstände waren im Übrigen die Voraussetzungen für ein Absehen von der Durchführung einer Berufungsverhandlung - deren Unterbleiben die Beschwerde auch zutreffend als Verfahrensmangel geltend macht - nicht gegeben.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen daher vorrangig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. Jänner 2006

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