VwGH 2004/21/0259

VwGH2004/21/025922.6.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des L, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 18. September 2003, Zl. Fr 1544/03, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §19;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §19;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Mödling hat als Behörde erster Instanz mit Bescheid vom 26. März 2003 den an sie gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck Familiengemeinschaft mit einem EWR-Bürger mit der Begründung abgewiesen, dass der Beschwerdeführer nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen sei. Mit dem zitierten Bescheid wies die belangte Behörde im Instanzenzug den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der USA, "vom 8.08.2002 bzw. 13.02.2003" wegen sachlicher Unzuständigkeit gemäß § 89 Abs. 2 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl I Nr. 75, zurück.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer habe einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit der Begründung eingebracht, dass er im Jahr 2001 mit einem deutschen Staatsangehörigen - der als Bediensteter der Europäischen Patentorganisation in Österreich eine Beschäftigung aufnehmen und sich hier niederlassen werde - in den Niederlanden eine gleichgeschlechtliche Ehe eingegangen sei. Ihm sei (lt. Aktenvermerk vom 12. September 2002) von der Behörde erster Instanz mitgeteilt worden, dass die Bezirkshauptmannschaft Mödling als Fremdenbehörde im Sinn des § 89 Abs. 2 FrG für die Erledigung des Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht zuständig sei, weil eine gleichgeschlechtliche Ehe keinesfalls von den Bestimmungen des § 47 Abs. 2 und 3 FrG bzw. den in diesem Zusammenhang stehenden "EU-Verordnungen bzw. EU-Richtlinien" umfasst sei. Ein anderer Zuständigkeitstatbestand nach § 89 Abs. 2 FrG sei nicht zu ersehen. Der Beschwerdeführer habe mitgeteilt, auf einer schriftlichen Entscheidung zu bestehen.

Beim Beschwerdeführer handle es sich - so die weitere Begründung der belangten Behörde - nicht um einen Angehörigen eines EWR-Bürgers im Sinn des § 47 Abs. 3 FrG. Der Begriff des begünstigten Drittstaatsangehörigen orientiere sich an den maßgeblichen Bestimmungen des EG-Vertrages sowie den Sekundärrechtsakten, z.B. der Verordnung (EWG) 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gehe nach wie vor vom konventionellen Begriff der Ehe aus. Es würden weder "homosexuelle Ehen noch sonstige Lebensgemeinschaften" als Grundlage für die Eigenschaft als Familienangehöriger anerkannt. Im Ergebnis erwachse somit im konkreten Fall weder aus dem europäischen "Primär- und Sekundärrecht" noch aus § 47 Abs. 3 FrG ein Freizügigkeitsrecht. Insofern bestehe keine Zuständigkeit nach § 89 Abs. 2 Z 1 FrG. Auch die maßgeblichen österreichischen Rechtsnormen gingen im Zusammenhang mit dem Begriff "Ehegemeinschaft" von der traditionellen Gemeinschaft heterosexueller Beziehungen aus. Auch aus dem "Sitzabkommen" zwischen der Europäischen Patentorganisation und der Republik Österreich sei keine Niederlassungsfreiheit im Sinn des § 47 Abs. 2 FrG abzuleiten.

Somit sei die Behörde erster Instanz als Fremdenbehörde nach § 89 Abs. 2 FrG zur Erledigung des vorliegenden Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit einem EWR-Bürger" nicht zuständig. Zuständig wäre im Sinn des § 89 Abs. 1 FrG der Landeshauptmann von Niederösterreich bzw. die von ihm ermächtigte Behörde gewesen. Der Beschwerdeführer habe - wie erwähnt - auf der Erledigung des Antrags durch die Fremdenbehörde beharrt, weshalb eine Weiterleitung des Antrags nach § 6 AVG nicht in Betracht gekommen und die Verpflichtung zur Fällung einer Zuständigkeitsentscheidung in Form einer Zurückweisung des Antrags ausgelöst worden sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde mit Erkenntnis vom 14. Oktober 2004, B 1512/03-6, abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten über die ergänzte Beschwerde erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des FrG (in der Fassung BGBl I Nr. 126/2002) lauten auszugsweise:

"§ 47. (1) Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, unterliegen der Sichtvermerkspflicht.

(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. ...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

1. Ehegatten;

...

§ 89. (1) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen und Niederlassungsnachweisen trifft der Landeshauptmann. Der Landeshauptmann kann, wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung gelegen ist, die Bezirksverwaltungsbehörden mit Verordnung ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden.

(1a) ...

(2) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen und Niederlassungsnachweisen trifft jedoch die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, wenn es sich um den Aufenthaltstitel

1. für einen Drittstaatsangehörigen handelt, der nach dem

4. Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt;

..."

Der Beschwerde kommt - unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob der Angehörigenbegriff "Ehegatte" des § 47 Abs. 3 Z 1 FrG auch den Partner in einer gleichgeschlechtlichen, in den Niederlanden geschlossenen Ehe umfasst - Berechtigung zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370, Slg 14.475 A, zum Ausdruck gebracht, ein Spruch, mit dem eine Berufung zurückgewiesen werde, könne grundsätzlich nicht in der Weise umgedeutet werden, dass er eine bloße Feststellung der Unzuständigkeit der Berufungsbehörde darstelle, die nicht als abschließende Entscheidung über die Berufung qualifiziert werden könne. Aus diesem Grund sei die Zurückweisung einer Berufung durch die angerufene unzuständige Behörde auch dann unzulässig, wenn die Partei auf einer Entscheidung dieser Behörde beharre. Vielmehr habe die unzuständige Berufungsbehörde in jedem Fall die Berufung gemäß § 6 AVG an die zuständige Berufungsbehörde zu übermitteln.

Nichts anderes gilt für die an eine unzuständige erstinstanzliche Behörde gerichteten Anträge (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2001, Zl. 2000/19/0131). Wie in diesem dem zitierten Erkenntnis zu Grunde liegenden Fall hätte die erstinstanzliche Behörde - ausgehend von ihrer Auffassung, der Beschwerdeführer sei kein begünstigter Drittstaatsangehöriger - den Antrag gemäß § 6 AVG dem Landeshauptmann zur Entscheidung, ob eine Niederlassungsbewilligung für Private erteilt werde, zu übermitteln gehabt, weil der Umstand, dass ein Fremder nicht dem Kreis begünstigter Drittstaatsangehöriger angehört, nicht dazu führt, dass ihm schlechthin keine Niederlassungsbewilligung erteilt werden könnte (vgl. auch dazu das Erkenntnis Zl. 2000/19/0131). Die belangte Behörde war im Instanzenzug zu einer Zurückweisung des in Rede stehenden Antrages nicht berechtigt; sie hätte vielmehr die erstinstanzliche Sachentscheidung einer - ihrer Ansicht nach auf Basis der damals geltenden Rechtslage - unzuständigen Behörde ersatzlos zu beheben gehabt, was die belangte Behörde (rechtlich) verkannt hat.

Im Erkenntnis vom 15. Oktober 2003, Zl. 2002/12/0268, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Beharren des Antragstellers nicht zu einer Entscheidungsberechtigung der unzuständigen Behörde führt. Es ist somit unerheblich, ob der Beschwerdeführer - von der belangten Behörde behauptet und von ihm in der Beschwerde bestritten - auf einer Entscheidung durch die Behörde erster Instanz beharrt hat.

Angesichts der Änderung sowohl der nationalen Rechtslage (durch das am 1. Jänner 2006 in Kraft getretene Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das nach § 81 Abs. 1 auch für anhängige Verfahren gilt) als auch des Gemeinschaftsrechtes (durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, mit der unter anderem die VO 1612/68 geändert wurde), kann eine anhand des FrG und der VO 1612/68 vorzunehmende (nicht mehr aktuelle) Beurteilung, ob der Begriff "Ehe" auch auf eine gleichgeschlechtliche Verbindung wie die vorliegende anzuwenden gewesen wäre, unterbleiben, zumal das bejahendenfalls auch zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides geführt hätte.

Wie vorhin dargelegt war der angefochtene Bescheid jedenfalls wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im pauschalierten Aufwandersatz bereits enthalten ist.

Wien, am 22. Juni 2006

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