VwGH 2004/21/0133

VwGH2004/21/013331.8.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des C, vertreten durch Mag. Werner Hauser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstrasse 3, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 13. Jänner 2004, Zl. III-1135621/FrB/04, betreffend Anordnung der Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §61 Abs2;
VwRallg;
AVG §56;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §61 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Mitte Oktober 2002 ohne Reisedokumente illegal nach Österreich eingereist und stellte unmittelbar danach einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes - nach den Feststellungen der belangten Behörde - "am 08.08.2003 gemäß § 7 und § 8 Asylgesetz rechtskräftig negativ beschieden wurde". Nach der Aktenlage hatte der Beschwerdeführer im Asylverfahren behauptet, am 8. März 1986 in Freetown geboren und Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer (u.a.) wegen Suchtmittelhandels (§ 28 SMG) - offenbar mit anderem Geburtsjahr (1985) und nigerianischer Staatsangehörigkeit - zur Anzeige gebracht und am 8. November 2003 in die Justizanstalt Josefstadt eingeliefert.

Bei der am 12. Dezember 2003 durchgeführten Befragung wurde der Beschwerdeführer von der Absicht, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen und ihn nach der Entlassung aus der Gerichtshaft in Schubhaft zu nehmen, in Kenntnis gesetzt. Er gab dazu an, ledig zu sein, keine Sorgepflichten zu haben und in Österreich weder über familiäre noch berufliche Bindungen zu verfügen. Er sei in Wien nicht gemeldet. Der Beschwerdeführer bestreite seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten und sei nicht im Besitz von "Barmittel". Zu Abschiebungshindernissen verwies der Beschwerdeführer auf seine Angaben im Asylverfahren und gab abschließend an, sich in Untersuchungshaft zu befinden und den Termin der Hauptverhandlung im Strafverfahren noch nicht zu kennen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. Jänner 2004 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) gemäß § 61 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, gegen den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 FrG bzw. des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 33 FrG und zur Sicherung der Abschiebung (§ 56 FrG) an, wobei sie aussprach, dass die Rechtsfolgen ihres Bescheides nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Gerichtshaft eintreten. (Nach der Mitteilung der belangten Behörde vom 12. Juni 2006 wird der Beschwerdeführer voraussichtlich am 7. November 2006 aus der Strafhaft entlassen werden.)

Begründend führte die belangte Behörde - ergänzend zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt - aus, dass der nicht bloß kurzfristig in Haft befindliche Beschwerdeführer ledig sei und keine Sorgepflichten habe. "Zu Österreich" bestünden weder familiäre noch berufliche Bindungen. Er sei im Bundesgebiet nicht gemeldet. Seinen Lebensunterhalt habe der Beschwerdeführer durch Gelegenheitsarbeiten bestritten. Derzeit sei er vollkommen mittellos und nicht in der Lage, den Besitz der Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes nachzuweisen. Sein Verhalten lasse klar erkennen, dass er nicht gewillt sei, österreichische Rechtsvorschriften einzuhalten. Nach Abwägung der maßgeblichen öffentlichen Interessen gegen seine Privatinteressen fielen die öffentlichen Interessen erheblich schwerer ins Gewicht, weshalb die Interessenabwägung zu seinem Nachteil habe ausfallen müssen. Gegen Minderjährige habe die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden könne. Die Anwendung eines gelinderen Mittels sei im vorliegenden Fall "jedoch auszuschließen", weil auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers die Annahme gerechtfertigt sei, dass er sich dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde und der Zweck der Schubhaft somit nicht erreicht werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 61 Abs. 1 FrG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Die Schubhaft ist nach Abs. 2 mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG (im Mandatsverfahren) zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

Die Beschwerde bemängelt zunächst, die belangte Behörde habe keine Feststellungen darüber getroffen, ob sich der Beschwerdeführer als Verdächtiger in Untersuchungshaft oder nach einer Verurteilung "wegen der zitierten Strafnormen" in Strafhaft befunden habe. Diese Feststellungen wären zu treffen gewesen, um die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer befinde sich "nicht bloß kurzfristig in Haft" überprüfen zu können.

Damit wird aber schon deshalb kein relevanter Begründungsmangel aufgezeigt, weil beide Haftarten für sich genommen nicht gegen die erwähnte Annahme, der Beschwerdeführer habe sich bei Einleitung des Verfahrens im Sinne des § 61 Abs. 2 FrG "nicht bloß kurzfristig in Haft" befunden, sprechen. Außerdem ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich der Beschwerdeführer dadurch, dass die Schubhaftanordnung nicht mittels nach § 57 AVG erlassenen Mandatsbescheides erfolgte, in Rechten verletzt erachtet. Im Übrigen ist zu diesem Beschwerdevorbringen noch Folgendes zu bemerken: Die belangte Behörde hat zwar im angefochtenen Bescheid nur festgestellt, der Beschwerdeführer sei nach einer Strafanzeige "wegen § 28 SMG und § 278a StGB" am 8. November 2003 in die Justizanstalt Josefstadt "eingeliefert" worden. Da die belangte Behörde aber keine Feststellungen zu einer mittlerweile rechtskräftig gewordenen Verurteilung getroffen hat, kann - auch unter Einbeziehung der wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers bei seiner fremdenpolizeilichen Befragung am 12. Dezember 2003, wonach er sich in Untersuchungshaft befinde und ihm noch kein Verhandlungstermin bekannt sei - kein Zweifel bestehen, dass die belangte Behörde von einer bei Verfahrenseinleitung und im Bescheiderlassungszeitpunkt (29. Jänner 2004) aufrechten Untersuchungshaft ausgegangen ist. Das stimmt auch mit der Aktenlage überein.

Mit den weiteren Ausführungen rügt der Beschwerdeführer im Ergebnis nur, die belangte Behörde hätte mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen finden müssen, und er macht auch in diesem Zusammenhang einen Begründungsmangel geltend. Im Übrigen habe die belangte Behörde die Annahme, der Beschwerdeführer sei nicht gewillt, österreichische Rechtsvorschriften einzuhalten, mit dem Hinweis auf die mangelnde Integration nicht nachvollziehbar begründet.

Zu Letzterem ist zu entgegnen, dass es auf diese Annahme bei der Frage des Vorliegens eines Sicherungsbedürfnisses im Sinne des § 61 Abs. 1 FrG nicht ankommt. Maßgeblich ist, ob im Entscheidungszeitpunkt mit Recht angenommen werden konnte, der Fremde werde sich dem behördlichen Zugriff (nach seiner terminlich noch unbestimmten Entlassung aus der Gerichtshaft) entziehen oder diesen zumindest wesentlich erschweren (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0100, mit weiteren Nachweisen). Ein solches Sicherungsinteresse konnte die belangte Behörde aus der - vom Beschwerdeführer in seiner Vernehmung zugestandenen und in der Beschwerde nicht bestrittenen - Obdachlosigkeit und Mittellosigkeit vor der Verhaftung und dem Fehlen einer ins Gewicht fallenden sozialen Integration in Österreich ableiten (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis und zuletzt die Erkenntnisse vom 22. Juni 2006, Zl. 2004/21/0192, und Zl. 2004/21/0236, jeweils mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 9. Juni 2005, Zl. 2004/21/0183). Sie musste im Hinblick auf die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich aber auch die Anwendung von gelinderen Mitteln nicht in Betracht ziehen. Dabei ist die belangte Behörde erkennbar - zugunsten des Beschwerdeführers - ohnehin davon ausgegangen, dass er im Bescheiderlassungszeitpunkt und (im Hinblick auf eine mögliche Entlassung aus der Untersuchungshaft) auch im Enthaftungszeitpunkt das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben werde. Sie hat demzufolge auch die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 zweiter Satz FrG für die Abstandnahme von gelinderen Mitteln geprüft, wobei sie der diesbezüglichen Begründungspflicht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2001, Zl. 2001/02/0048) mit dem Hinweis auf das "bisherige Verhalten" in Verbindung mit den getroffenen Feststellungen zum Fehlen einer Unterkunft, zur Mittellosigkeit und zum Nichtvorliegen maßgeblicher integrationsbegründender Umstände sowie vor dem Hintergrund der ungeklärten Identität des Beschwerdeführers fallbezogen ausreichend entsprochen hat (vgl.

etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 2002, Zl. 2000/02/0144).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als

unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in

Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 31. August 2006

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