VwGH 2004/20/0415

VwGH2004/20/04152.3.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des D in W, geboren 1987, vertreten durch Dr. Ernst Brandl, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 116, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. August 2004, Zl. 248.379/0-III/07/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides (Feststellung nach § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997) wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der seinen Angaben zufolge damals noch nicht 16-jährige Beschwerdeführer reiste am 8. Dezember 2003 nach Österreich ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag. Bei der Befragung durch das Bundesasylamt am 20. Februar 2004 brachte der Beschwerdeführer vor, sein Vater sei Liberianer und seine Mutter Nigerianerin. Aufgrund der Mutter widerfahrener Schwierigkeiten habe sie sich vor seiner Geburt von Liberia nach Nigeria begeben, wo der Beschwerdeführer geboren worden sei. Er habe bis zu seiner - wegen Problemen mit den Verwandten seiner Mutter in Nigeria - vor etwa zwei Jahren erfolgten Ausreise immer in Nigeria gelebt. In Liberia habe er sich - abgesehen von einem dreitägigen Aufenthalt auf einem Schiff vor der Küste von Monrovia vor seiner Weiterreise nach Europa - niemals aufgehalten. Der Beschwerdeführer wurde eingehend zu seiner Staatsangehörigkeit befragt, wobei er den behaupteten Besitz der liberianischen Staatsbürgerschaft damit begründete, dass die Staatsbürgerschaft seines Vaters ausschlaggebend sei. Aufgefordert, seine Probleme in Liberia zu schildern, gab der Beschwerdeführer an, von seinem (beim Vater lebenden Bruder) habe er gehört, dass es "in Liberia immer noch Kämpfe" gebe und der Bruder deswegen in die USA flüchten wolle. Der Beschwerdeführer werde nicht nach Liberia "zurückkehren", weil dort noch Krieg herrsche. Sollte - wie dem Beschwerdeführer darauf hin vorgehalten wurde - der Krieg vorbei sein, würde er nach Liberia "zurückkehren".

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 9. März 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia fest. Das Bundesasylamt legte seiner Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde, verneinte aber aus rechtlichen Gründen die Asylrelevanz der in Bezug auf Liberia geltend gemachten "Bürgerkriegssituation". Gestützt auf die "zur derzeitigen Lage in Liberia" getroffenen Feststellungen vertrat das Bundesasylamt im Übrigen auch den Standpunkt, die Situation habe sich in den letzten Monaten wesentlich geändert. Nach dem Friedensabkommen (vom 19. August 2003) könne "speziell der westliche Teil Liberias, insbesondere die Hauptstadt Monrovia und die weitere Umgebung, (...) als befriedet eingestuft werden", zumal auch "internationale Friedens- und Hilfstruppen die Arbeit aufgenommen" hätten. Mit der wesentlichen Verbesserung der "allgemeinen Situation in Liberia" begründete das Bundesasylamt schließlich auch den nach § 8 AsylG vorgenommenen Zulässigkeitsausspruch.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit Spruchpunkt 1. des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides vom 23. August 2004 im Asylteil gemäß § 7 AsylG ab. Im Spruchpunkt 2. wiederholte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf

§ 8 Abs. 1 AsylG (idF der AsylG-Novelle 2003) iVm

§ 57 Fremdengesetz 1997 den Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia. Begründend führte die belangte Behörde aus, "als einzigen Fluchtgrund" habe der Beschwerdeführer "die Angst vor dem in Liberia (Anm.: vormals) herrschenden Krieg" geltend gemacht. Nachdem ihm das "nunmehr bereits über ein Jahr zurückliegende Ende des in Liberia stattgefundenen Krieges" zur Kenntnis gebracht worden sei, habe er erklärt, in sein Heimatland zurückkehren zu wollen. Das Bundesasylamt habe (unter Heranziehung aktueller Berichte zur allgemeinen Situation in Liberia) hinsichtlich beider Spruchpunkte in der Begründung seines Bescheides "die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst". Die belangte Behörde schließe sich diesen Ausführungen "vollinhaltlich" an und erhebe sie zum Inhalt des Berufungsbescheides. Zu Spruchpunkt 2. werde ergänzend ausgeführt, es seien "keine Umstände amtsbekannt (...), dass in Liberia eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde, in der die zugrunde gelegte liberianische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers als "unbestritten" bezeichnet wird, tritt der (im angefochtenen Bescheid übernommenen) rechtlichen Beurteilung des Bundesasylamtes, die vom Beschwerdeführer nur ganz allgemein vorgenommene Berufung auf die Folgen eines Bürgerkrieges könne eine Asylgewährung nicht rechtfertigen, nicht konkret entgegen. Da diese Einschätzung unter den fallbezogen gegebenen Umständen jedenfalls im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht (vgl. etwa das zu § 6 Z 2 AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003 ergangene Erkenntnis vom 15. Mai 2003, Zl. 2002/01/0203, und darauf verweisend das Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2000/20/0182, mwH), kann die Beschwerde in Bezug auf den Asylteil (hinsichtlich Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides) keinen Erfolg haben.

Die Beschwerde betont allerdings - offenbar auch unter dem Gesichtspunkt des verweigerten Abschiebungsschutzes - die Situation des im Bescheiderlassungszeitpunkt noch nicht einmal 17- jährigen Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in eines "der am heftigsten umkämpften Krisengebiete des modernen Afrika". Selbst wenn sich das Land nach der "Schreckensherrschaft von Charles Taylor" zu erholen beginne, stehe der "Erneuerungsprozess" erst am Anfang. Eine vollständige Befriedung des Landes sei bis heute nicht erreicht. Die "verschiedensten sozialen, ethnischen und gesellschaftlichen Gruppierungen" seien "nach wie vor in regionale Konflikte verstrickt, die mit der Waffe ausgetragen werden". Die Situation sei weiterhin "als instabil und krisengeschüttelt anzusehen". Es bestehe daher ein durchaus reales Risiko, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr Opfer des bewaffneten Konfliktes, verletzt oder gar getötet werde.

Dieses Vorbringen ist insoweit berechtigt, als damit auch zum Ausdruck gebracht wird, die vom Bundesasylamt im Bescheid vom 9. März 2004 getroffenen und auch von der belangten Behörde zugrundegelegten Feststellungen zur Verbesserung der Lage in Liberia seit dem Friedensabkommen Mitte 2003 reichten nicht aus, um im konkreten Fall die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers annehmen zu können. Vielmehr hätte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf die Sicherheitslage und die humanitären Verhältnisse prüfen müssen, welche konkrete Situation den noch minderjährigen und in Nigeria aufgewachsenen Beschwerdeführer bei einer zwangsweisen Verbringung nach Liberia erwarten würde. Insoweit kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2004/20/0240, verwiesen werden, in dem ein ähnlich gelagerter Sachverhalt und ein Berufungsbescheid der belangten Behörde zu beurteilen war, der auf einen - inhaltsgleiche Feststellungen zur Lage in Liberia wie im vorliegenden Fall enthaltenden - Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. März 2004 verwiesen hatte.

Aus den im genannten Erkenntnis angeführten Erwägungen war auch hier der Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 2. März 2006

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