VwGH 2003/21/0186

VwGH2003/21/018625.10.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerden der A und des R, beide in Baden, beide vertreten durch Mag. Georg Rupprecht, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Hauptplatz 9-13, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich je vom 9. Juli 2003, Zl. Fr 1417/03 (hg. Zl. 2003/21/0186) und Zl. Fr 1416/03 (hg. Zl. 2003/21/0187), jeweils betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführer, Ehepartner und armenische Staatsangehörige, jeweils gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, auf zehn Jahre befristete Aufenthaltsverbote.

Zur Begründung führte sie - aus beiden Bescheiden zusammengefasst - im Wesentlichen aus:

Beide Beschwerdeführer seien Anfang November 1998 nach Österreich gereist und hätten Asylanträge gestellt. Diese seien in zweiter Instanz gemäß § 7 Asylgesetz 1997 mit einem Ausspruch nach § 8 leg. cit. abgewiesen worden. Den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden sei die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden, weshalb beide vorläufig zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt seien. Drei - daher minderjährige - Töchter seien während des Aufenthaltes in Österreich geboren worden.

Der Zweitbeschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil vom 26. Mai 1999 wegen teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127, 130 erster Fall und 15 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Demnach habe er u.a. mit seiner Ehefrau in mehreren - näher beschriebenen - Angriffen zwischen 16. und 30. November 1998 gewerbsmäßig Diebstähle versucht und verübt.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 16. Juli 1999 sei er erneut wegen gewerbsmäßigen Diebstahls - begangen am 24. Juni 1999 - nach den §§ 127, 130 erster Fall StGB zu einem Jahr Freiheitsstrafe, davon acht Monate bedingt nachgesehen, verurteilt worden.

Die Erstbeschwerdeführerin sei am 12. Februar 1999 wegen versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Eine weitere rechtskräftige Verurteilung sei am 26. Mai 1999 (gleichzeitig mit dem Zweitbeschwerdeführer) wegen Diebstahls nach § 127 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten erfolgt. Der letztgenannten Verurteilung sei ein näher beschriebener Diebstahl am 30. November 1998 zu Grunde gelegen.

In beiden Fällen erachtete die belangte Behörde erkennbar den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG als verwirklicht und die Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG als zutreffend. Dies schloss sie vorwiegend aus der professionellen Vorgangsweise relativ kurz nach der Einreise in Österreich.

Weiters wertete sie jeweils unter Hinweis auf das Aufenthaltsverbot gegen den Ehepartner die Aufenthaltsverbote als dringend geboten und als zulässig im Sinn des § 37 FrG, weil eine soziale Integration der Familie praktisch nicht vorhanden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verfahren wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges verbunden und über die Beschwerden nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der belangten Behörde ist ein Rechtsirrtum vorzuwerfen, wenn sie hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG als verwirklicht erachtete. Die Erstbeschwerdeführerin wurde zwar zwei Mal wegen versuchten Diebstahls bzw. Diebstahls verurteilt; die der zweiten Verurteilung zu Grunde liegende Tathandlung wurde aber noch vor dem ersten Urteil begangen. Es handelte sich somit, auch wenn dies in der gekürzten Urteilsausfertigung keinen Niederschlag gefunden hat, um die Verhängung einer Zusatzstrafe gemäß den §§ 31 und 40 StGB. Verurteilungen, die zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen, sind aber als Einheit zu werten und können den - hier allein in Frage kommenden - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 vierter Fall FrG nicht erfüllen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2000, Zl. 2000/18/0013).

Es setzt zwar die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht zwingend voraus, dass eine in § 36 Abs. 2 FrG genannte bestimmte Tatsache gegeben ist, vielmehr kann ein Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 1 FrG auch dann erlassen werden, wenn triftige Gründe die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 9. Oktober 2001, Zl. 99/21/0155). Dennoch erweist sich das gegen die Erstbeschwerdeführerin verhängte Aufenthaltsverbot als rechtswidrig, weil angesichts der fehlenden Verwirklichung eines Tatbestandes des § 36 Abs. 2 FrG, des Zeitraumes von über vier Jahren seit Begehung der strafbaren Handlungen bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides und letztlich des Aufenthaltes der gesamten Familie im Inland ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot jedenfalls ungerechtfertigt erscheint. Ob die Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG zu Recht bejaht wurde, kann derzeit angesichts der bei einer allfälligen neuerlichen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schon wegen des beträchtlichen Zeitablaufs wesentlich geänderten Umstände dahinstehen.

Wegen der Rechtswidrigkeit des Aufenthaltsverbotes gegen die Erstbeschwerdeführerin erweist sich auch das Aufenthaltsverbot gegen den Zweitbeschwerdeführer als rechtswidrig. Der Zweitbeschwerdeführer hat zwar mit seinen Verurteilungen den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG (zweiter, dritter und vierter Fall) verwirklicht. Bei der durchzuführenden Interessenabwägung nach § 37 Abs. 2 FrG stützte sich die belangte Behörde jedoch auch auf das Aufenthaltsverbot gegen die Ehefrau. Durch die Einbeziehung dieses rechtswidrigen Aufenthaltsverbotes unterlag die belangte Behörde auch hinsichtlich des Aufenthaltsverbotes gegen den Zweitbeschwerdeführer einem Rechtsirrtum.

Die unrichtige Annahme der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes auch gegen die Erstbeschwerdeführerin führt weiters zur Konsequenz, dass die belangte Behörde auf die zum damaligen Zeitpunkt noch offenen Asylanträge der Beschwerdeführer nicht ausreichend Bedacht genommen hat. Der Gerichtshof sprach nämlich bereits aus, dass bei Beurteilung nach § 37 Abs. 2 FrG auch Erhebungen zum Stand der Asylverfahren vorzunehmen seien und die Frage, ob Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht zukomme, nicht zur Gänze ausgeblendet werden dürfe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, Zl. 2004/21/0121, mwN.). Da auch beim Zweitbeschwerdeführer zwischen Verübung der strafbaren Handlungen und der Erlassung des gegenständlichen Bescheides ein von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogener mehr als vierjähriger Zeitraum des Wohlverhaltens verstrichen ist, ist ein Aufenthaltsverbot nicht in jedem Fall zulässig, sondern es käme ein solches dann nicht in Betracht, wenn wegen eines allenfalls unterschiedlichen Ausganges der Asylverfahren und der Unzulässigkeit eines "gemeinsamen" Aufenthaltsverbotes eine Trennung der (aus den Eltern und drei Kleinkindern bestehenden) Familie einen unzulässigen Eingriff in das Familienleben nach sich zöge.

Dazu kommt, dass die belangte Behörde den - bereits in den Berufungen angesprochenen - Hinweis auf eine Beschäftigung des Zweitbeschwerdeführers und somit der möglichen Erzielung eines ausreichenden Einkommens für die gesamte Familie unbeachtet gelassen hat.

Da nach dem Gesagten somit beide Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet sind, waren sie gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht - im begehrten Umfang - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 25. Oktober 2006

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