VwGH 2005/20/0372

VwGH2005/20/037225.10.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in W, geboren 1967, vertreten durch Dr. Walter Rosenkranz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 12/17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Jänner 2005, Zl. 216.184/11- XIV/39/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Beschwerdeführer, ein aus dem Punjab stammender Staatsangehöriger von Indien, gelangte am 26. September 1999 in das Bundesgebiet und brachte am 29. September 1999 einen (ersten) Asylantrag ein. Er begründete diesen im Wesentlichen damit, er sei zweimal von der Polizei wegen der "Verpflegung" von Terroristen verhaftet und misshandelt worden; er befürchte, im Fall seiner Rückkehr erneut verhaftet zu werden, und glaube, dass er in ganz Indien verhaftet werden könne. Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 10. März 2000 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend führte das Bundesasylamt insbesondere aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe sein Heimatland "auf Grund zweier kurzfristiger Inhaftierungen im Jahr 1997 verlassen, wurde keiner Feststellung unterzogen", da es diesem Vorbringen am zeitlichen Konnex zu seiner Ausreise mangle und diese Inhaftierungen auch keine "hinreichend intensive, objektivierbare asylrelevante Verfolgung" darstellten.

Die dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 18. August 2000 gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, sie erhebe die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zur Begründung des Berufungsbescheides; es könne auf Grund der "Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ... nicht festgestellt werden, dass dem Berufungswerber eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung" wegen eines asylrelevanten Grundes drohe. Eine "Rückkehr von Sikh in den Punjab und nach Delhi" sei "grundsätzlich möglich" und es bestehe eine "inländische Fluchtalternative auf dem übrigen Gebiet der indischen Union".

Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0464, ab.

2. Am 31. Juli 2003 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Asylantrag. Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Jänner 2004 gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 23. März 2004 gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 22. Juli 2004, Zl. 2004/20/0205, ab.

3. In der Folge stellte der Beschwerdeführer einen dritten, mit 16. August 2004 datierten (schriftlichen) Asylantrag und führte darin aus, er werde "in Indien aktuell asylrelevant verfolgt", gegen ihn bestehe "ein Haftbefehl (Juni 2004)". Er legte u.a. die Kopie eines "Warrant of Arrest" vom 2. Juni 2004, in dem sein Name genannt wird, sowie ein Schreiben eines indischen Anwaltes vom 14. Juni 2004 vor, in dem davon die Rede ist, dass seit 1997 ein Verfahren gegen den Beschwerdeführer anhängig sei; infolge einer Anklage gegen den Beschwerdeführer sei ein gerichtlicher Haftbefehl erlassen worden und im Mai 2004 sei der Bruder des Beschwerdeführers verhaftet und misshandelt worden, damit er den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers bekannt gebe.

Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 3. Dezember 2004 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück. Der Beschwerdeführer behaupte "noch immer dieselbe Gefahr, die damals (bei seiner ersten Asylantragstellung) schon bestanden hat", der einzige Unterscheid zum ersten Asylantrag sei jener, dass er nun behaupte, "dass er jetzt Beweise hat". Die Begründung des neuerlichen Asylantrages habe daher nicht ausgereicht, um einen neuen wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab und begründete diese Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer behaupte, "wie auch in seinen bisherigen Vorbringen, in Indien von der Polizei verfolgt zu werden". Dieser Sachverhalt sei jedoch bereits im ersten Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. März 2000 "als nicht glaubhaft gewertet" worden. Die nunmehr vorgelegten Dokumente seien "jedenfalls nicht geeignet, einen neuen Sachverhalt geltend zu machen, beziehen sich diese doch auf jenen Sachverhalt, über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden" sei. So stelle "der Haftbefehl, wonach der Asylwerber gesucht werde, eine Intensivierung der bereits geltend gemachten Fluchtgründe dar", die jedoch nicht geeignet sei, eine relevante Änderung des Sachverhaltes herbeizuführen. Eine eingehende Überprüfung dieses Dokumentes sei somit nicht erforderlich gewesen, wobei "lediglich der Vollständigkeit halber" auf bestehende "Zweifel" an der Echtheit bzw. Richtigkeit des Haftbefehles hingewiesen werde; darüber hinaus habe der Anwalt in seinem Schreiben darauf verwiesen, dass die Anzeigen 1997 erstattet worden seien.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ist zunächst schon unrichtig davon ausgegangen, dass sich die Erledigung des Erstantrages darauf gegründet habe, dass das damalige Vorbringen des Asylwerbers "als nicht glaubhaft gewertet" wurde. Tatsächlich hat das Bundesasylamt in seinem Bescheid vom 10. März 2000 (auf dessen Begründung die belangte Behörde in ihrem damaligen Berufungsbescheid verwiesen hat) ausgeführt, dass "das Vorbringen, Sie hätten am 03.09.1999 Ihr Heimatland auf Grund zweier kurzfristiger Inhaftierungen im Jahr 1997 verlassen, ... keiner Feststellung unterzogen" wurde, weil "selbst bei Vorliegen des von Ihnen angegebenen Sachverhaltes" nicht die Gefahr bestehe, der Beschwerdeführer könne "von der Polizei (in ganz Indien) verhaftet werden"; auch hätte er sich gegen die aus seiner Sicht willkürlichen Übergriffe der Polizei wehren können. Eine "hinreichend intensive, objektivierbare asylrelevante Verfolgung" liege nicht vor. Das Bundesasylamt hat somit keine Feststellung dahin getroffen, dass die seinerzeit geltend gemachten Fluchtgründe nicht vorgelegen wären.

Wenn die belangte Behörde weiter damit argumentiert, dass infolge des Haftbefehls nur eine (nicht relevante) "Intensivierung der bereits geltend gemachten Fluchtgründe" (im Jahr 1997 erstattete Anzeige) vorliege, so verkennt sie, dass das zum Drittantrag unter Vorlage von Beweismitteln erstattete Vorbringen über das nunmehrige Vorgehen der Polizei, die den Beschwerdeführer angeblich mit einem - im Jahr 2004 ausgestellten - Haftbefehl suche und seinen Bruder verhaftet und misshandelt habe (was der Beschwerdeführer auch für sich selbst befürchte), nicht von vornherein der selben rechtlichen Beurteilung unterworfen werden kann, wie der dem ersten Asylbescheid zu Grunde gelegte Sachverhalt. Vielmehr hat der Beschwerdeführer Umstände geltend gemacht, die - legt man sie zu Grunde - insbesondere im Hinblick auf den erwähnten Haftbefehl zu einer anderen (rechtlichen) Beurteilung des in Rede stehenden Asylantrages führen könnten.

Unter diesen Umständen wäre es zur Prüfung der Zulässigkeit des Drittantrages erforderlich gewesen, sich mit der Glaubwürdigkeit der nunmehrigen Behauptungen des Beschwerdeführers und der Beweiskraft der von ihm dazu vorgelegten Urkunden zur Beurteilung ihres "glaubhaften Kerns" beweiswürdigend auseinander zu setzen, soweit sich diese Behauptungen und Beweismittel auf ein verschärftes Vorgehen gegen den Beschwerdeführer nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über dessen ersten Asylantrag - und nicht nur auf die beiden im Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. März 2000 erwähnten "kurzfristigen Inhaftierungen im Jahr 1997" - bezogen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0391, 31. März 2005, Zl. 2003/20/0468, 26. Juli 2005, Zl. 2005/20/0343, und 27. September 2005, Zl. 2005/01/0363). Die im angefochtenen Bescheid geäußerten "Zweifel" an der Echtheit der Urkunden genügen dafür nicht.

Da es die belangte Behörde somit zu Unrecht verabsäumt hat, sich mit den Behauptungen und Beweismitteln, auf die der Beschwerdeführer seinen Drittantrag gestützt hat, beweiswürdigend auseinander zu setzen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 25. Oktober 2005

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