VwGH 2005/18/0177

VwGH2005/18/017730.6.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der N, geboren 1961, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. März 2005, Zl. SD 217/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §39 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z6;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §39 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. März 2005 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 und 9 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Die Beschwerdeführerin habe vom 6. Oktober 1988 bis 4. Jänner 1995 mit Unterbrechungen über Sichtvermerke und vom 5. Jänner 1995 bis zum 30. Juni 1995 über eine Aufenthaltsbewilligung für das Bundesgebiet verfügt. Am 15. Dezember 1992 habe sie den österreichischen Staatsbürger Roland N. geehelicht. Dieser habe für die Eheschließung S 10.000,--

erhalten. Es sei weder zu einem Vollzug der Ehe gekommen noch hätten die Ehegatten jemals ein gemeinsames Familienleben geführt. Die Ehe sei mit Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 23. Mai 1996 rechtskräftig für nichtig erklärt worden. Ein Antrag auf Verlängerung der zuletzt erteilten Aufenthaltsbewilligung sei mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1996 wegen des Vorliegens einer Scheinehe rechtskräftig abgewiesen worden. Die Erstbehörde habe mit dem (im Instanzenzug von der erkennenden Behörde bestätigten) Bescheid vom 24. Juni 1997 gegen die Beschwerdeführerin wegen Eingehens dieser Scheinehe rechtskräftig ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

"Anschließend" habe sich die Beschwerdeführerin am 16. April 1997 behördlich abgemeldet und das Bundesgebiet verlassen. Am 15. August 2000 habe sie in Jugoslawien den österreichischen Staatsbürger Rudolf Sch. geheiratet. Am 3. September 2000 sei sie - nach Erhalt eines bis zum 28. Februar 2001 gültigen Visums "D" - nach Österreich eingereist. Am 15. Jänner 2001 habe sie einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" eingebracht, wobei sie sich auf die eheliche Gemeinschaft mit ihrem Gatten Rudolf Sch. berufen habe. Die erstinstanzliche Abweisung dieses Antrages sei mit Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 18. September 2001 mit der Begründung bestätigt worden, dass die Beschwerdeführerin auf Grund des neuerlichen Eingehens einer Scheinehe die öffentliche Ordnung in hohem Maß gefährdet habe. Die Ehe sei mit Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 22. Oktober 2002 rechtskräftig für nichtig erklärt worden, weil die Ehe vermittelt worden sei, damit die Beschwerdeführerin in Österreich bleiben und hier arbeiten könne. Für die Eheschließung habe die Beschwerdeführerin Rudolf Sch. S 25.000,-- bezahlt. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft sei nie beabsichtigt gewesen, weil die Beschwerdeführerin bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung mit ihrem Lebensgefährten und den beiden Kindern aus dieser Beziehung zusammengelebt habe. Die Beschwerdeführerin habe zudem am 27. August 2000 anlässlich ihrer Antragstellung zwecks Erlangung eines Visums "D" bei der österreichischen Botschaft in Belgrad ihren früheren Familiennamen "N." sowie ihren "früheren" Aufenthalt in Österreich nicht bekannt gegeben. Hätte die Beschwerdeführerin dies getan, so hätte sie auf Grund des gegen sie noch aufrechten Aufenthaltsverbotes kein Visum erhalten. Die Beschwerdeführerin habe unrichtige bzw. unvollständige Angaben über ihre Person gemacht, um sich die Einreiseberechtigung gemäß § 31 FrG zu verschaffen.

Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG sei erfüllt. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin gewusst habe, dass gegen sie ein Aufenthaltsverbot bestehe. Auch die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG seien erfüllt. Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung sei nach wie vor gegeben, da seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung noch nicht fünf Jahre vergangen seien.

Die Beschwerdeführerin sei zuletzt seit ca. viereinhalb Jahren in Österreich aufhältig und verfüge im Inland über familiäre Bindungen zu ihren beiden Kindern sowie zu einem Onkel und einer Cousine. Zudem gehe sie regelmäßig einer Beschäftigung nach. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in ihr Privat- bzw. Familienleben auszugehen. Das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Das zweimalige Eingehen einer Scheinehe, um sich fremdenrechtliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen. Die Beschwerdeführerin habe nur auf Grund der durch ihre Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz eine unselbständige Beschäftigung eingehen können, weshalb auch die durch den ca. viereinhalbjährigen Aufenthalt erzielte Integration wesentlich geschmälert werde. Dies umso mehr, als letztlich auch die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes auf dem besagten rechtsmissbräuchlichen Verhalten basiere. Die Bindung der Beschwerdeführerin zu ihren beiden Kindern werde insofern relativiert, als diese bereits volljährig seien und sich außerdem die "Rechtmäßigkeit" ihres Aufenthaltes von der rechtswidrig erlangten Stellung der Beschwerdeführerin als begünstigte Drittstaatsangehörige ableite. Ihre Bindung zu ihrem Onkel und ihrer Cousine sei von geringer Bedeutung, weil sie mit beiden nicht in gemeinsamem Haushalt lebe. Die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin würden gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund treten.

Im Hinblick auf das Gesamtfehlverhalten der Beschwerdeführerin könne - selbst unter Bedachtnahme auf deren familiäre Situation - ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes nicht vor Ablauf der für das Aufenthaltsverbot festgesetzten Frist von zehn Jahren angenommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen eine der in den Z. 1 und 2 umschriebenen Annahmen gerechtfertigt ist.

2.1. Gemäß § 36 Abs. 2 Z. 9 leg. cit. hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet hat.

2.2. Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen und auf die rechtskräftigen Urteile des Bezirksgerichtes Döbling vom 23. Mai 1996 und vom 22. Oktober 2002 gestützten Feststellungen über die Nichtigerklärung ihrer zwei Ehen. Ebenso unbestritten lässt die Beschwerdeführerin den Umstand, dass gegen sie bereits mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 24. Juni 1997 (der im Instanzenzug bestätigt worden ist) ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren rechtskräftig erlassen worden ist und dass sie nach Eingehen der zweiten, gegen Leistung eines Vermögensvorteils eingegangenen Ehe am 15. August 2000 bei der Bundespolizeidirektion Wien am 15. Jänner 2001 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt hat, wobei sie sich auf die eheliche Gemeinschaft mit ihrem (zweiten) Ehemann Rudolf Sch. berufen hat. Die Auffassung der belangten Behörde, das Verhalten der Beschwerdeführerin sei als bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG zu werten, begegnet daher keinen Bedenken.

3.1. Angesichts des hohen Stellenwertes, welcher der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. November 2000, Zl. 2000/18/0178, mwN), kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die Behörde die Annahme gemäß § 36 Abs. 1 FrG für gerechtfertigt erachtete, zumal es sich bei der von der Beschwerdeführerin im Jahr 2000 geschlossenen Ehe bereits um die zweite Scheinehe handelt.

3.2. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, seit dem Zeitpunkt der zweiten Eheschließung am 10. August 2000 sei ein längerer Zeitraum, nämlich mittlerweile fast fünf Jahre, vergangen, sodass das Aufenthaltsverbot nicht hätte erlassen werden dürfen, ist ihr zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof in einer Reihe von Erkenntnissen klar gestellt hat, dass nur eine zumindest fünf Jahre zurückliegende rechtsmissbräuchliche Eheschließung die Annahme, der weitere Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ordnung, nicht mehr rechtfertige. Seit dem Eingehen der zweiten Scheinehe der Beschwerdeführerin bis zur angefochtenen Entscheidung sind jedoch lediglich vier Jahre und sieben Monate vergangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2002, Zl. 2002/18/0076).

4. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde den langjährigen inländischen Aufenthalt der Beschwerdeführerin, ihre Berufstätigkeit und ihre Beziehung zu den im gemeinsamen Haushalt mit ihr lebenden beiden volljährigen Kindern sowie den Umstand berücksichtigt, dass ihr Onkel und ihr Cousin ebenfalls in Österreich leben.

Zutreffend hat die belangte Behörde die aus der Berufstätigkeit ableitbare Integration der Beschwerdeführerin als geschmälert angesehen, weil sie nur auf Grund der Scheinehe mit einem Österreicher keine Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz zur Ausübung einer Beschäftigung benötigte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2003, Zl. 2003/18/0216). Die aus der Aufenthaltsdauer resultierende Integration der Beschwerdeführerin wird dadurch deutlich gemindert, dass ihr Aufenthalt überwiegend unrechtmäßig war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. April 2002, Zl. 2002/18/0030). Die Beschwerdeführerin hat nicht damit rechnen dürfen, ihr Familienleben in Österreich begründen bzw. aufrecht erhalten zu können. Ihren persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet kommt angesichts dieser Umstände kein großes Gewicht zu. Im Hinblick auf die den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin gegenüberstehende erhebliche Gefährdung öffentlicher Interessen durch das dargestellte rechtsmissbräuchliche Verhalten kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), nicht als rechtswidrig erkannt werden.

4. Die Beschwerde wendet sich auch gegen die festgesetzte Dauer des Aufenthaltsverbotes und bringt vor, dass "in Anbetracht meines bisherigen Wohlverhaltens mit einem befristeten Aufenthaltsverbot geringerer Dauer bei weitem das Auslangen" zu finden gewesen wäre.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Die belangte Behörde hat ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren verhängt, was gemäß § 39 Abs. 1 FrG nicht zulässig wäre, wenn das Aufenthaltsverbot nur auf den Fall des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG gestützt werden könnte. Von daher kommt der weiteren Feststellung der belangten Behörde Bedeutung zu, die Beschwerdeführerin habe anlässlich ihrer Antragstellung zwecks Erlangung eines Visums D am 27. August 2000 bei der österreichischen Botschaft in Belgrad ihren früheren Familiennamen "N." sowie ihren "früheren" Aufenthalt in Österreich nicht bekannt gegeben.

Gemäß § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise - oder die Aufenthaltsberechtigung - gemäß § 31 Abs. 1 und 3 FrG zu verschaffen.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde hätte die Beschwerdeführerin nur dann unrichtige Angaben in der in § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG umschriebenen Absicht, sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen, gemacht, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass sie durch das Verschweigen ihres früheren Namens und ihres früheren Aufenthalts in Österreich bewirken könne, dass der Behörde das gegen sie erlassene Aufenthaltsverbot in Anbetracht ihres geänderten Namens unbekannt bleibt und so eine stattgebende Entscheidung über ihren Antrag auf ein Visum D ermöglicht würde. Sie kann daher dann nicht in der von dieser Gesetzesstelle geforderten Absicht gehandelt haben, wenn sie - worauf die Ausführungen der belangten Behörde hindeuten - gar nicht gewusst haben sollte, dass gegen sie in Österreich ein Aufenthaltsverbot besteht.

Wenn die Beschwerdeführerin neben dem Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG nicht auch den Tatbestand der Z. 6 leg. cit. erfüllt, dann wäre ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren rechtswidrig. Die belangte Behörde hat in Verkennung der Rechtslage keine Feststellungen darüber getroffen, dass die Beschwerdeführerin von dem gegen sie erlassenen Aufenthaltsverbot vom 24. Juni 1979 gewusst hat.

5. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

6. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 30. Juni 2005

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