VwGH 2003/05/0110

VwGH2003/05/011025.2.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde

1. des Franz Kopatz und 2. der Christine Kopatz, beide in St. Pölten, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner und Mag. Christian Schweinzer, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt St. Pölten vom 25. November 2002, Zl. 00/37/9d/15-2002/Mag.De./Pi, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei:

Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft Neunkirchen, 2620 Neunkirchen, Bahnstraße 25), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO NÖ 1996 §48 Abs2;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauRallg;
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z5 idF 8000-14;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §48 Abs2;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauRallg;
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z5 idF 8000-14;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben der Landeshauptstadt St. Pölten Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 12. Juli 2002 beantragte die mitbeteiligte Bauwerberin die Erteilung der Baubewilligung für eine Wohnhausanlage mit Lebensmittelmarkt und Cafe auf einer näher genannten Liegenschaft in St. Pölten. Bei der mündlichen Verhandlung am 30. Juli 2002 führten die Beschwerdeführer im Rahmen ihrer Einwendungen - soweit hier wesentlich - aus, sie hätten auf der Nachbarliegenschaft einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Tierhaltung (Schweine, Rinder und Hühner). Sie beabsichtigten auch eine Erweiterung dieses Betriebes. Daraus ergäben sich Lärm-, Geruchs- und Staubimmissionen für die geplante Wohnhausanlage. Die Tierabholung durch den Fleischhauer erfolge im Wesentlichen während der Nachtzeit, wodurch ebenfalls eine Lärmbelästigung zu erwarten sei (schreiende Tiere, laufender LKW-Motor).

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt St. Pölten vom 1. August 2002 wurde der mitbeteiligten Partei die beantragte Baubewilligung erteilt.

In ihrer Berufung gegen diese Baubewilligung legten die Beschwerdeführer im Wesentlichen dar, die Wohnhausanlage solle auf einem Grundstück mit der Widmung "Bauland-Kerngebiet" errichtet werden. Diese Widmung widerspreche dem raumordnungsrechtlichen Gebot einer Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen durch Flächenwidmungen. Die Beschwerdeführer wiesen sodann auf ihren landwirtschaftlichen Betrieb und dessen geplante Erweiterung sowie die sich aus diesem ergebenden Immissionen für die geplante Wohnhausanlage hin. Die Beeinträchtigung der Bewohner der neuen Wohnhausanlage würde zu regelmäßigen Auseinandersetzungen der Beschwerdeführer mit den Anrainern führen. Die "heranrückende Wohnbebauung" sei daher nicht zulässig.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführer abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem beantragten Bauvorhaben stünde die im Flächenwidmungsplan festgelegte Widmung des Baugrundstückes nicht entgegen. Der Schutz von landwirtschaftlichen Betrieben gegen das Heranrücken einer Wohnbebauung sei ausschließlich Aufgabe der örtlichen Raumordnung, begründe aber kein Nachbarrecht im baubehördlichen Verfahren. Im Übrigen habe die belangte Behörde von der rechtswirksam verordneten Widmung des Baugrundstückes auszugehen.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 16. Juni 2003, B 129/03, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verfassungsgerichtshof legte in der Begründung seines Ablehnungsbeschlusses dar, das Vorbringen der Beschwerdeführer bedenke nicht ausreichend, dass einerseits selbst auf den als "Bauland-Agrargebiet" gewidmeten Grundstücken der Beschwerdeführer gemäß § 16 Abs. 1 Z. 5 NÖ-ROG 1976 eine Wohnnutzung mit höchstens vier Wohneinheiten zulässig ist und andererseits auch im "Bauland-Kerngebiet" gemäß § 16 Abs. 1 Z. 2 NÖ-ROG 1976 die Errichtung von Betrieben erlaubt ist, welche keine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- oder Geruchsbelästigung sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen, und daher diese Widmungsart nur einen darüber hinausgehenden Immissionsschutz vorsieht. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung (Verweis auf VfSlg. 14.777 und 15.112) lasse die Beschwerde daher die behaupteten Rechtsverletzungen oder die Verletzung eines nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts als so wenig wahrscheinlich erscheinen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

In der von den Beschwerdeführern auftragsgemäß ergänzten Beschwerde wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes begehrt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In ihrer Beschwerdeergänzung verweisen die Beschwerdeführer darauf, dass mit der Bewilligung einer Wohnhausanlage der Widmung der angrenzenden Grundstücke ("Bauland-Agrargebiet") entgegengewirkt werde. Auf Grund der Erteilung der Baubewilligung sei mit einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Bewohner der zu errichtenden Gebäude durch Emissionen aus bestehenden Bauwerken zu rechnen. Diese Emissionen wären auch aus den Stallungen der Beschwerdeführer zu erwarten und würden Streitigkeiten mit der künftigen Wohnbevölkerung bewirken. Der Emissionsschutz des § 48 NÖ Bauordnung 1996 (BO) sei im Zusammenhang mit der Errichtung neuer Bauvorhaben auch für die Emissionen bestehender Gebäude zu berücksichtigen. Daraus sei ein Recht des Anrainers darauf, dass er nicht mit überraschenden bzw. gesteigerten Auflagen, bewirkt durch die heranrückende Wohnbebauung, konfrontiert werde, abzuleiten. Auch würde die Bewilligung der Wohnhausanlage eine Veränderung der "Ortsüblichkeit" der Emissionen zu Lasten der Beschwerdeführer mit sich bringen. Die Baubewilligung stünde daher dem Recht der Beschwerdeführer, ihre bestehenden landwirtschaftlichen Gebäude bzw. allfällige Betriebserweiterungen entsprechend den bisherigen Kriterien der Ortsüblichkeit zu nutzen bzw. vorzunehmen, entgegen. Die belangte Behörde habe sich mit dem einschlägigen Vorbringen der Beschwerdeführer in der Berufung nicht auseinander gesetzt und dadurch Verfahrensvorschriften verletzt.

Die Bestimmung des § 6 Abs. 2 BO, die die subjektiv öffentlichen Nachbarrechte normiert, hat folgenden Wortlaut:

"(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4) sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben, gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehenden bewilligten und zukünftig bewilligungsfähigen) Gebäude der Nachbarn dienen."

§ 48 BO lautet:

"§ 48 Immissionsschutz

(1) Emissionen, die von Bauwerken oder deren Benützung ausgehen, dürfen

  1. 1. das Leben oder die Gesundheit von Menschen nicht gefährden;
  2. 2. Menschen durch Lärm, Geruch, Staub, Abgase, Erschütterungen, Blendung oder Spiegelung nicht örtlich unzumutbar belästigen.

(2) Ob Belästigungen örtlich zumutbar sind, ist nach der für das Baugrundstück im Flächenwidmungsplan festgelegten Widmungsart und der sich daraus ergebenden zulässigen Auswirkung des Bauwerks und dessen Benützung auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen zu beurteilen."

Im hg. Erkenntnis vom 15. Juli 2003, Zl. 2003/05/0049, konnte der Verwaltungsgerichtshof die Frage, ob § 48 BO im Sinne der Rechsprechung des Verfassungsgerichtshofes "zweiseitig" zu lesen ist, und zwar so, dass er auch die Geltendmachung von Emissionen aus bereits bestehenden Bauwerken auf Nachbarliegenschaften im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens ermöglicht, offen lassen.

§ 48 BO stellt nämlich jedenfalls nur auf Emissionen ab, die von Bauwerken oder deren Benützung ausgehen. Eine Heranziehung dieser Bestimmung kommt daher bei unbebauten Grundstücken - solche lagen im Fall des genannten hg. Erkenntnisses vom 15. Juli 2003 vor - von vornherein nicht zum Tragen.

Im vorliegenden Fall geht es hingegen nicht um ein unbebautes Grundstück, sondern die Beschwerdeführer haben auf ihrer Liegenschaft auch Gebäude, die zum landwirtschaftlichen Betrieb gehören. Dennoch kann auch hier die Frage, ob § 48 BO in obigem Sinne "zweiseitig" zu lesen ist, aus folgenden Gründen offen bleiben:

Gemäß § 16 Abs. 1 Z 5 NÖ ROG 1976 idF LGBl. Nr. 8000-14 sind Agrargebiete für Bauwerke land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und der sonstigen Tierhaltung, die über die übliche Haltung von Haustieren hinausgeht, bestimmt; andere Betriebe, welche keine das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigenden Lärm- und Geruchsbelästigungen sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen und sich in ihrer Erscheinungsform in das Ortsbild und die dörfliche bauliche Struktur einfügen, sowie Wohnnutzungen mit höchstens vier Wohneinheiten sind zuzulassen.

Der Gesetzgeber ist somit davon ausgegangen, dass es zulässig ist, dass Wohnbevölkerung den von einem Agrargebiet ausgehenden Immissionen ausgesetzt ist und diese hinzunehmen hat. Damit ist es aber ausgeschlossen, dass einem landwirtschaftlichen Betrieb eine Baubewilligung auf Grund von Einwendungen der Eigentümer benachbarter Wohnhäuser betreffend Emissionen des landwirtschaftlichen Betriebes versagt wird, wenn der Rahmen des im "Bauland-Agrargebiet" Zulässigen eingehalten wird (vgl. in diesem Sinne auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 1997, Slg. Nr. 14.777). Die örtliche Zumutbarkeit der von einem landwirtschaftlichen Betrieb im "Bauland-Agrargebiet" ausgehenden Emissionen gemäß § 48 Abs. 2 BO richtet sich daher auch stets nach der Widmung "Bauland-Agrargebiet".

Auswirkungen der Emissionen ihres landwirtschaftlichen Betriebes können die Beschwerdeführer daher nicht in ihren nach der BO gewährten subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen. Bemerkt wird, dass Rechtsfolgen anderer Art, die sich etwa aus zivilrechtlichen oder auch anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften für die Beschwerdeführer auf Grund der Emissionen ihres landwirtschaftlichen Betriebes ergeben können, im baubehördlichen Verfahren keine von der Baubehörde wahrzunehmenden Rechte begründen (vgl. die bei Hauer/Zaussinger, Niederösterreichisches Baurecht, 6. Auflage, S. 93 unter Z 81 ff und S. 320 ff unter Z 70 ff zitierte hg. Rechtsprechung).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. Februar 2005

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