VwGH 2004/21/0014

VwGH2004/21/001427.4.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Helmut Malek, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Dinstlstraße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 1. Dezember 2003, Zl. Fr 112/02, betreffend 1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und 2. Zurückweisung der Berufung in einer Angelegenheit nach dem FrG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen - hinsichtlich Spruchpunkt II) - wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt vom 20. Jänner 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt, dessen Zustellung an den Beschwerdeführer zu eigenen Handen am 28. Jänner 2003 erfolgte.

Mit Schreiben vom 15. Juli 2003 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, bei der Übernahme des Aufenthaltsverbotsbescheides sei er aufgrund seines schweren Drogenproblems in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen und habe demzufolge nicht erkennen können, dass er rechtzeitig ein Rechtsmittel ergreifen müsse. Unter einem hat der Beschwerdeführer - wie er später klarstellte - eine Berufung gegen den Bescheid betreffend das Aufenthaltsverbot erhoben.

Über Verbesserungsauftrag der Erstbehörde brachte der Beschwerdeführer neben konkretisierenden Angaben zum Wiedereinsetzungsgrund zur Rechtzeitigkeit des Antrages vor, die Fristversäumnis und deren Konsequenzen seien ihm erst Anfang Juli 2003 bewusst geworden, nachdem er sich bei einer fremdenrechtlichen Beratungsstelle ausreichend informiert habe.

Die Behörde erster Instanz wies diesen Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 6. August 2003 gemäß § 71 Abs. 2 AVG zurück, weil er verspätet - nicht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses - eingebracht worden sei. Die Antragsfrist habe spätestens am 14. Mai 2003 "zu laufen begonnen". Die konkreten und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers bei der Vernehmung an diesem Tag würden auf den Wegfall der behaupteten Dispositionsunfähigkeit schließen lassen. Im Übrigen seien in einer weiteren Niederschrift vom selben Tag "die Bescheiderlassung" (gemeint: betreffend das Aufenthaltsverbot) und die damit verbundenen Rechtsfolgen angesprochen worden, sodass dem Beschwerdeführer der Verfahrensstand eindeutig bewusst gewesen sein müsse.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine Berufung, in der er näher darlegte, aus welchen Gründen die Frist zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages seiner Ansicht nach erst Mitte Juli 2003 begonnen habe.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 1. Dezember 2003 entschied die belangte Behörde im Spruch wie folgt:

"I) Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1991wird Ihrer Berufung keine Folge gegeben. Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1991 abgewiesen.

II) Gemäß § 66 Abs. 4 i.V.m. § 63 Abs. 5 AVG 1991 wird Ihre Berufung gegen das Aufenthaltsverbot vom 20.01.2003 als verspätet zurückgewiesen."

Die belangte Behörde erachtete es aufgrund näher dargelegter beweiswürdigender Überlegungen als erwiesen, dass der Beschwerdeführer "zum Zeitpunkt der Bescheidübernahme und im Zeitraum der Rechtsmittelfrist sehr wohl zu einem zielgerichteten Handeln fähig" gewesen sei, eine Dispositionsunfähigkeit nicht vorgelegen habe und der Beschwerdeführer aufgrund seiner Suchtkrankheit nicht daran gehindert gewesen sei, eine fristgerechte Berufung einzubringen. Rechtlich folgerte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I), der Beschwerdeführer habe den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund - Ausschluss der Dispositionsfähigkeit durch die Suchtkrankheit - nicht glaubhaft machen können, weshalb die Berufung abzuweisen gewesen sei.

Zu Spruchpunkt II) führte die belangte Behörde aus, aufgrund der Übernahme des Bescheides betreffend das Aufenthaltsverbot am 28. Jänner 2003 sei die mit Schreiben vom 15. Juli 2003 erhobene Berufung "jedenfalls als verspätet eingebracht zu bewerten."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten der erstinstanzlichen Behörde erwogen:

Die Erstbehörde hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers nicht meritorisch erledigt, sondern durch die Zurückweisung des Antrages (wegen Versäumung der im § 71 Abs. 2 AVG normierten Einbringungsfrist) eine formale Entscheidung getroffen. Damit war die Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde insofern eingeschränkt, als ihr ein meritorischer Abspruch über den Wiedereinsetzungsantrag verwehrt war. Gegenstand des Berufungsverfahrens ("Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG) konnte lediglich die Rechtmäßigkeit des verfahrensrechtlichen Ausspruches der Erstbehörde sein. Statt selbst über den Wiedereinsetzungsantrag meritorisch zu entscheiden, hätte die belangte Behörde - sollte sie der Auffassung gewesen sein, der Wiedereinsetzungsantrag sei fristgerecht eingebracht worden - die erstinstanzliche Entscheidung aufheben müssen, um so den Weg zur inhaltlichen Behandlung des Wiedereinsetzungsantrages frei zu machen. Durch ihre meritorische Entscheidung hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer aber auch in Rechten verletzt, weil ihm damit eine Instanz genommen wird (vgl. das Erkenntnis vom 22. November 1994, Zl. 94/11/0227, und die daran anschließende Rechtsprechung, zuletzt etwa die Erkenntnisse vom 20. September 1999, Zlen. 99/10/0060, 0061, und vom 23. Oktober 2002, Zlen. 2002/12/0232, 0233); vgl. allgemein zur "Sache" iSd § 66 Abs. 4 AVG bei verfahrensrechtlichen Entscheidungen der Unterinstanz die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 162ff, und bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, E 70ff, jeweils zu § 66 AVG wiedergegebene Judikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt I) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Zur im Spruchpunkt II) des angefochtenen Bescheides vorgenommenen Zurückweisung der gegen den Bescheid betreffend das Aufenthaltsverbot erhobenen Berufung trägt die Beschwerde inhaltlich nichts vor. Gegen die Auffassung der belangten Behörde, die Berufungsfrist des § 63 Abs. 5 AVG sei im vorliegenden Fall vom Beschwerdeführer versäumt worden, hegt der Verwaltungsgerichtshof auch keine Bedenken. Anzumerken ist noch, dass das Vorliegen eines (fristgerechten) noch nicht erledigten Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist rechtlich kein Hindernis darstellt, die Berufung als verspätet zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1999, Zl. 99/20/0539, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 1986, Slg. Nr. 12.275/A). Bei dieser Entscheidung kommt es aber lediglich auf die terminliche Einhaltung der gesetzlichen Berufungsfrist und nicht auf etwaige Hinderungsgründe für die rechtzeitige Erhebung einer Berufung an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2001, Zl. 2001/20/0109, mwN).

Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt II) des angefochtenen Bescheides richtet, war sie somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere unter Bedachtnahme auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 27. April 2004

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