VwGH 2001/20/0427

VwGH2001/20/042724.6.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des T in W, geboren 1969, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz und Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältinnen in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Mai 2001, Zl. 218.879/0-IX/26/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 23. Juni 2000 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Vor dem Bundesasylamt führte er dazu am 27. Juli 2000 niederschriftlich zusammengefasst aus, seine Fluchtgründe seien darauf zurückzuführen, dass verschiedene Mitglieder seiner Familie wichtige militärische Funktionen unter der Herrschaft des Schahs bekleidet hätten. Neun Monate, nachdem sein Bruder, der Beamter des Nachrichtendienstes des Schah gewesen und dem in Österreich Asyl gewährt worden sei, den Iran verlassen habe, sei es im Elternhaus des Beschwerdeführers zu einer Hausdurchsuchung gekommen. Weil die Beamten den Bruder des Beschwerdeführers gesucht hätten, sei letzterer festgenommen und im Gefängnis zu Einzelheiten seinen Bruder betreffend verhört worden. Man habe den Beschwerdeführer in eine Einzelzelle gebracht und dort insgesamt 19 Monate angehalten, verhört und misshandelt. Erst im April 1998 sei der Beschwerdeführer nach Hinterlegung einer Grundbuchrolle seines Elternhauses frei gelassen worden. Auf Grund dieser Haft sei es ihm anschließend unmöglich gewesen, eine Arbeit zu finden. Ein geplanter Fluchtversuch mit einem von seinem Bruder bezahlten Schlepper sei misslungen, weil dieser für das Geld keine Leistung erbracht hätte. Da sich der Beschwerdeführer vom iranischen Regime verletzt und verraten gefühlt habe, habe er sich aus Anlass der Studentenunruhen im Sommer des Jahres 1999 entschlossen, sich gegen das Regime seiner Heimat zu betätigen. Er habe handschriftlich Flugblätter gegen das Regime und für den Schah geschrieben und diese Flugblätter fotokopiert und in der Nacht (zuletzt etwa Ende April/Anfang Mai 2000) verteilt. Diese Flugblätter habe er aus eigenem Antrieb hergestellt und nicht als Mitglied einer politischen Gruppierung. Die handschriftlichen (Originale der) Flugblätter habe er normalerweise sofort nach der Vervielfältigung vernichtet. Am 30. April 2000 habe in seinem Elternhaus eine Hausdurchsuchung stattgefunden. Dabei hätten Beamte neben dem Kopiergerät auch handschriftliche Aufzeichnungen von Flugblättern, die der Beschwerdeführer für eine weitere Vervielfältigung aufbewahrt habe, gefunden und beschlagnahmt. Da der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung nicht daheim gewesen sei, hätten die Beamten seinen Vater, der bis heute nicht frei gelassen worden sei, und drei weitere Verwandte festgenommen. Daraufhin habe sich der Beschwerdeführer zur Flucht aus seinem Heimatland entschlossen.

Nach weiterer Befragung des Beschwerdeführers unter anderem zu seinen Kenntnissen über die Familie des Schah und über die Ursache der von ihm angesprochenen Studentendemonstration wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 28. August 2000 gemäß § 7 AsylG ab. Gleichzeitig stellte die Erstbehörde gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei.

In der Begründung dieses Bescheides ging die Erstbehörde vorweg von der Inhaftierung des Beschwerdeführers bis zum 16. April 1998 aus, maß diesem Ereignis aber mangels zeitlichen Zusammenhangs mit dem Verlassen seines Heimatstaates keine Bedeutung zu. Die Erstbehörde erachtete es auch als glaubwürdig, dass der geschilderte Versuch des Beschwerdeführers, mit Hilfe seines Bruders einen Schlepper zu organisieren, misslungen sei. Nach den niederschriftlichen Angaben des Bruders sei aber "dies bereits zwei Monate vor ihrem eigentlichen fluchtauslösenden Erlebnis gewesen". Da der Versuch der Schleppung des Beschwerdeführers nach Österreich somit zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, bevor die iranischen Behörden auf den Beschwerdeführer aufmerksam geworden seien und der Beschwerdeführer "noch keinerlei politische Aktivitäten gesetzt" hätte, spreche dies gegen die Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer, der kaum Kenntnisse über den Schah und dessen Familie aufweise, habe auch den Grund der von ihm genannten Studentendemonstration im Iran nicht schildern können. Es sei daher insgesamt nicht glaubwürdig, dass er versucht habe, "im Alleingang" einen politischen Umbruch bzw. eine politische Veränderung herbeizuführen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung beantragte der Beschwerdeführer die Durchführung einer Berufungsverhandlung und bekämpfte die Beweiswürdigung der Erstbehörde. Dazu führte er aus, auch ein politisch agierender Mensch müsse nicht unbedingt die Ursache der erwähnten Studentendemonstrationen im Iran kennen, wenn diese Ursache entweder außerhalb seines (politischen) Tätigkeitsfeldes liege oder aus einer Zeit stamme, in der der Betreffende politisch noch nicht interessiert gewesen sei. Zum Argument des Bundesasylamtes, gegen die politischen Aktivitäten des Beschwerdeführers spreche der bereits zuvor organisiert gewesene Fluchtversuch mit einem Schlepper, führte der Beschwerdeführer ins Treffen, dass der Grund der schon damals geplanten Flucht in der vorangegangenen 19-monatigen Haft des Beschwerdeführers gelegen sei und daher die nachfolgenden politischen Aktivitäten des Beschwerdeführers keineswegs in Zweifel ziehe.

Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde - unter Abstandnahme von der Durchführung einer Berufungsverhandlung - die Berufung des Beschwerdeführers gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab. In der Begründung dieses Bescheides schloss sie sich einleitend den Sachverhaltsfeststellungen des Bundesasylamtes, denen "der Berufungswerber nicht entgegen getreten" sei, an und setzte sich sodann in detaillierter Weise mit den beweiswürdigenden Argumenten der Erstbehörde und den zugehörigen Einwendungen in der Berufung auseinander. So spreche auch nach Ansicht der belangten Behörde gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers über seine Tätigkeit gegen das iranische Regime, dass dieser den auslösenden Grund der Studentendemonstrationen des Sommers 1999 nicht habe nennen können. "Außerdem" habe der Beschwerdeführer in seiner Erstvernehmung über andere politische Ereignisse (wie etwa ein von ihm näher genanntes Attentat auf einen politischen Berater von Präsident Khatami), hinsichtlich der er ebenfalls Flugblätter verteilt habe, Bescheid gewusst, sodass für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Beschwerdeführer, wenn er gegen das iranische Regime tätig gewesen sei, gerade die Ursache der Studentenunruhen nicht gekannt haben soll.

Gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers über die Durchsuchung seines Elternhauses Ende April 2000, bei der die iranischen Sicherheitsbehörden handgeschriebene Flugzettel des Beschwerdeführers gefunden hätten, führte die belangte Behörde - über die beweiswürdigenden Argumente der Erstbehörde hinausgehend - ins Treffen, es erscheine auch äußerst unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer die handschriftlichen Flugzettel jeweils nach der Vervielfältigung vernichtet habe und gerade am Tag der Hausdurchsuchung darauf vergessen habe.

"Im Gegensatz zum Bundesasylamt" erachtete die belangte Behörde schließlich auch die behauptete 19-monatige Inhaftierung des Beschwerdeführers mit dem Ziel, Informationen über seinen gesuchten Bruder zu erhalten, für nicht glaubhaft. Es erscheine nämlich unplausibel, dass eine solche Festnahme des Beschwerdeführers erst erfolgt sei, nachdem der Bruder bereits seit neun Monaten den Iran verlassen gehabt habe. "Aus all dem" ergebe sich, so die belangte Behörde zusammenfassend, dass der Beschwerdeführer für den Fall seiner Rückkehr in den Iran keine Verfolgung habe glaubhaft machen können, weil seine Aussagen in zentralen Punkten entweder vage oder mit bekannten Tatsachen oder mit der allgemeinen Erfahrung nicht in Übereinstimmung gebracht werden könnten. Nach Ansicht der belangten Behörde entspreche daher das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers zur erwarteten Verfolgung nicht den Tatsachen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer weist in seiner Beschwerde darauf hin, er habe in der Berufung die Beweiswürdigung der Erstbehörde in mehreren Punkten bekämpft und die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt. Die belangte Behörde habe die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens teilweise anders eingeschätzt als das Bundesasylamt. Hätte die belangte Behörde eine Berufungsverhandlung durchgeführt, so hätte der Beschwerdeführer anhand von ähnlichen Beispielen erklären können, weshalb seine Verhaftung erst neun Monate nach der Flucht seines Bruders erfolgt sei.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer mit den oben wiedergegebenen Berufungsausführungen der Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz (anders als die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid, Seite 3, meint) mit Argumenten, die im angefochtenen Bescheid an mehreren Stellen behandelt werden, substanziell entgegengetreten ist, was schon für sich genommen die Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung begründete (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2003, Zl. 2001/20/0085, vom 1. April 2004, Zl. 2001/20/0291, und zuletzt vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/20/0736, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Abgesehen davon durfte die belangte Behörde von einer Verhandlung aber insbesondere auch deshalb nicht Abstand nehmen, weil sie - wie dargestellt - die Beweiswürdigung der Erstbehörde um zusätzliche Argumente ergänzt hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2002/20/0003, und vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/20/0738) und - was die 19-monatige Inhaftierung des Beschwerdeführers als wesentlichen Teil seiner Fluchtgründe betrifft - eine Umwürdigung eines entscheidungswesentlichen Elementes des Sachverhalts dahin gehend vornahm, dass ihrer Ansicht nach auch diesem Vorbringensteil die Glaubwürdigkeit zu versagen sei (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423). Die von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretene Auffassung, ihre abweichende Beweiswürdigung im letztgenannten Punkt sei nicht entscheidungsrelevant gewesen und der Beschwerdeeinwand der unterlassenen Berufungsverhandlung gehe daher ins Leere, vermag der Verwaltungsgerichtshof schon vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Begründungsteile des angefochtenen Bescheides - bei denen es sich nicht erkennbar um bloße Zusatzbemerkungen oder Eventualausführungen handelt - nicht zu teilen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Juni 2004

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