VwGH 2003/10/0114

VwGH2003/10/011411.6.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Binder-Krieglstein, über 1. den Antrag des W N in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Februar 2003, Zl. MA 15-II-J 100/2002, und 2. über die Beschwerde derselben Partei gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Februar 2003, Zl. MA 15-II-J 100/2002, betreffend Sozialhilfe, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

  1. 1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wird nicht stattgegeben.
  2. 2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde u.a. der Antrag des Beschwerdeführers auf Übernahme der Kosten für verschiedene Gegenstände "für die Teilnahme am Familienurlaub" in Gesamthöhe von EUR 232,93 abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2003 begehrt der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof und führt begründend im Wesentlichen aus, ihm würden laufend zahlreiche Bescheide der Magistratsabteilungen 12 und 15 zugestellt, gegen die er alle immer rechtzeitig Berufung bzw. Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhebe. Der vorliegende Bescheid sei ihm am 27. März 2003 zugestellt worden. Als letzten Tag der Frist für eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof habe er den 12. März 2003 in seinem Computer eingetragen. Erst am 11. Mai sei ihm im Zuge der Vorbereitung der Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen einen Bescheid der Magistratsabteilung 15 vom 17. Februar 2003, dessen Einbringungsfrist am 12. März 2003 geendet habe, aufgefallen, dass er die Frist zur Erhebung der Bescheidbeschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid versäumt habe. Da er für diesen Bescheid auch keine Beschwerde habe auffinden können, müsse er davon ausgehen, dass er diese noch nicht erledigt habe. Er habe - wie dem Verwaltungsgerichtshof bekannt sei - zahllose Schreibarbeiten zu erledigen. Insbesondere führe er gleichzeitig mehrere Verfahren bei der Magistratsabteilung 15. Er sei Alleinerzieher dreier Kinder, wobei eines erst zwei Jahre alt werde. Seine Kinder seien auch laufend krank, was u.a. bei einem Kind, welches an Skoliose leide, täglich eine zweimalige Wundversorgung bedinge. Er sei über Gebühr belastet. Die Tatsache, dass er laufend zahlreiche Bescheide erhalte, welche alle Rechtsmittelfristen in Gang setzten, sei für ihn unabwendbar und unvorhergesehen. Er verweise auf die Rechtsprechung, wonach jegliches Geschehen, also auch sogenannte psychologische Vorgänge, wie Vergessen, Verschreiben, sich irren usw., als "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG gewertet werden könnten. Genau dies sei in seinem Fall gegeben. Insbesondere treffe ihn kein Verschulden an der Versäumung der gegenständlichen Frist. Selbst wenn nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ein Verschulden vorläge, so gehe dieses nicht über einen minderen Grad des Versehens hinaus. Er habe nicht auffallend sorglos gehandelt, da er die nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Sorgfaltsmaßstab anzulegen sei als an rechtsunkundige Privatpersonen. Er habe lediglich einen Fehler begangen, der gelegentlich auch einem anderen sorgfältigen Menschen unterlaufe. Dies sei insbesondere deshalb der Fall, da er durch die Erziehung von drei Kindern, u.a. eines Kleinkindes von noch nicht einmal zwei Jahren, zwangsläufig ständig von seinen eigentlichen Tätigkeiten abgelenkt werde und ihm daher durchaus ein solches Versehen unterlaufen könne, ohne dass ihn daran grobes Verschulden träfe.

Gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde Beschwerde gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Februar 2003 erhoben, mit der der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe verbunden ist.

1. Der die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" regelnde § 46 VwGG idF BGBl. Nr. 564/1985 lautet auszugsweise:

"(1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) ...

(3) Der Antrag ist beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach Aufhörung des Hindernisses, ...

zu stellen, ... Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Über den Antrag ist gemäß § 46 Abs. 4 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zu entscheiden.

(5) ..."

Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 24. Februar 1994, Zl. 92/10/0392).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann jegliches Geschehen, also auch sogenannte psychologische Vorgänge, wie Vergessen, Verschreiben, sich irren usw., als "Ereignis" im Sinne des (vergleichbaren) § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG gewertet werden. Um die Wiedereinsetzung zu rechtfertigen, muss das Ereignis aber für den Antragsteller unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen sein. Unabwendbar ist ein Ereignis jedenfalls dann, wenn sein Eintritt vom Willen des Betroffenen nicht verhindert werden kann. Unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein minderer Grad des Versehens unterläuft. Ein solcher minderer Grad des Versehens liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf aber nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Parteien (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 71 AVG wiedergegebene Rechtsprechung, insbesondere E 40 ff).

Im erwähnten Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Vormerkung behördlicher Fristen, insbesondere von Rechtsmittelfristen, ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit von jedem Betroffenen voraussetzt, dessen Außerachtlassung - liegen nicht besondere Umstände vor - bereits ein erhebliches Maß des Verschuldens voraussetzt (vgl. das Erkenntnis vom 17. November 1994, Zl. 94/09/0218).

Für die Bewilligung der Wiedereinsetzung erforderliche besondere Umstände werden vom Beschwerdeführer in seinem Antrag nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer beschreibt vielmehr seine allgemeine Lebenssituation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass er neben seiner Eigenschaft als Alleinerzieher von drei Kindern eine große Anzahl von Verfahren vor Behörden bzw. vor dem Verwaltungsgerichtshof führt. Dabei handelt es sich aber - bezogen auf die fehlerhafte Fristeneintragung - nicht um "besondere Umstände", die den Sorgfaltsverstoß als geringfügig erscheinen lassen.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher nicht stattzugeben.

Ein Auftrag an den Beschwerdeführer, den Wiedereinsetzungsantrag, der entgegen der Bestimmung des § 24 Abs. 2 VwGG nicht mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen ist, zu verbessern, erübrigt sich, wenn der Antrag zweifelsfrei erkennen lässt, dass keinerlei Anhaltspunkte für die Stattgebung des Wiedereinsetzungsantrages gegeben sind und somit auch nach Behebung des Formgebrechens die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausgeschlossen wäre (vgl. dazu etwa die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 666, wiedergegebene Rechtsprechung).

2. Die vorliegende Beschwerde erweist sich daher als verspätet, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.

Ist eine Beschwerde wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen, erübrigt sich ein Eingehen auf einen Verfahrenshilfeantrag (vgl. dazu etwa den Beschluss vom 9. Juli 1992, Zl. 92/10/0098).

Wien, am 11. Juni 2003

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