VwGH 2002/11/0007

VwGH2002/11/000718.3.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 29. Oktober 2001, Zl. VwSen- 280567/2/Ga/Mm, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei: G in W), zu Recht erkannt:

Normen

ArbIG 1974 §13;
ArbIG 1993 §13;
ArbIG 1993 §16;
AuslBG §28a Abs1;
AZG §27;
AZG §28 Abs1 Z1;
AZG §28 Abs1 Z2;
AZG §28 Abs1 Z3;
AZG §28 Abs1;
B-VG Art131 Abs2;
B-VG Art7;
VStG §22 Abs1;
VwGG §26 Abs1 Z2;
VwGG §26 Abs1 Z4;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §28 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
ArbIG 1974 §13;
ArbIG 1993 §13;
ArbIG 1993 §16;
AuslBG §28a Abs1;
AZG §27;
AZG §28 Abs1 Z1;
AZG §28 Abs1 Z2;
AZG §28 Abs1 Z3;
AZG §28 Abs1;
B-VG Art131 Abs2;
B-VG Art7;
VStG §22 Abs1;
VwGG §26 Abs1 Z2;
VwGG §26 Abs1 Z4;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §28 Abs2;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung (d. i. hinsichtlich seines Punktes A) II.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Wels vom 5. April 2001 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt:

"Sie haben es (als) Bevollmächtigter i. S. d. § 28 AZG der Arbeitgeberin der nachstehenden ArbeitnehmerInnen, der …, zu verantworten, dass durch die Firma am Standort …, in den jeweils angeführten Fällen

1. die höchstzulässige tägliche Arbeitszeit (TAZ) von 10 Stunden überschritten wurde:

d) S. N., geb. ...

(es werden für den Zeitraum 29. April 2000 bis 12. August 2000 mit genauer Zeitangabe Überschreitungen der täglichen Arbeitszeit in 19 Fällen angeführt)

e) H. Ch., geb. …

(es werden für den Zeitraum 27. April 2000 bis 25. August 2000 mit genauer Zeitangabe Überschreitungen der täglichen Arbeitszeit in 27 Fällen angeführt)

3. die Ruhepause von mindestens einer halben Stunde nicht gewährt wurde:

e) S. P., …

An allen Arbeitstagen im Zeitraum 26. 4. 2000 bis 18. 8. 2000, ausgenommen am 2, 24., 30. und 31. 5., am 2., 3., 16., 17. und 25. 6. sowie am 9. und 17. 8. 2000 (insg. 42 Arbeitstage)

4. die tägliche Ruhezeit von elf Stunden (weibliche Arbeitnehmer) bzw. zehn Stunden (männliche Arbeitnehmer) nicht gewährt wurde:

e) S. P., …

(es werden für den Zeitraum 6. Mai 2000 bis 18. August 2000 mit genauer Zeitangabe Überschreitungen der täglichen Ruhezeit in 8 Fällen angeführt)

f) H. Ch., geb. …

(es werden für den Zeitraum 3. Mai 2000 bis 25. August 2000 mit genauer Zeitangabe Überschreitungen der täglichen Ruhezeit in 14 Fällen angeführt)"

Dem Mitbeteiligten wurde zur Last gelegt, folgende Rechtsvorschriften verletzt zu haben:

"1. § 28 Abs 1 Z 1 Tatbestand 1 i.V.m. § 9 Abs 1 Tatbestand 1, § 7 und § 8 Arbeitszeitgesetz (AZG), BGBl 461/1969 idgF

  1. 3. § 28 Abs 1 Z 2 i.V.m. § 11 Abs 1 AZG
  2. 4. § 28 Abs 1 Z 3 i.V.m. § 12 Abs 1 und 2 AZG (sowie Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe)"

    Über die mitbeteiligte Partei wurde hinsichtlich der angeführten Überschreitungen der gesetzlichen höchstzulässigen täglichen Arbeitszeit bzw. Nichtgewährung der Ruhepause bzw. täglichen Ruhezeit in Ansehung jedes Arbeitnehmers jeweils eine Gesamtstrafe gestützt auf § 28 Abs. 1 Z. 1 Tatbestand 1 bzw. § 28 Abs. 1 Z. 2 bzw. § 28 Abs. 1 Z. 3 AZG verhängt.

    Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde - soweit für das Beschwerdeverfahren maßgeblich - über die dagegen erhobene Berufung des Mitbeteiligten wie folgt entschieden:

    "A) Der Berufung wird teilweise stattgegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird

    ...

    II. in den Fakten 1d , 1e , 3e , 4e und 4f

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11 Abs. 1 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 (ArbIG) ist in Verwaltungsstrafsachen wegen der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften das zuständige Arbeitsinspektorat (§ 15 Abs. 6) Partei.

Gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle hat die Verwaltungsstrafbehörde in dem Fall, dass sie zu der Ansicht gelangt, dass das Strafverfahren einzustellen oder eine niedrigere Strafe zu verhängen ist, als vom Arbeitsinspektorat beantragt wurde, vor Erlassung des Bescheides oder einer Strafverfügung dem Arbeitsinspektorat Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Gemäß Abs. 3 dieses Paragraphen steht dem Arbeitsinspektorat das Recht der Berufung gegen Bescheide sowie des Einspruches gegen Strafverfügungen zu.

Gemäß § 13 ArbIG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales (nunmehr: Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) bei Verfahren gemäß §§ 11 und 12 berechtigt, gegen Bescheide, die in letzter Instanz ergangen sind, sowie gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

Die Beschwerde nach § 13 ArbIG (Amtsbeschwerde) ist ein Fall des Art. 131 Abs. 2 VwGG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1996, Zl. 95/02/0425). Im Falle der Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales geht es nicht um die Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1995, Zl. 95/11/0018). Die Beschwerdelegitimation des Bundesministers, der im vorangegangenen Verwaltungsstrafverfahren nicht als Partei beteiligt ist, ist demnach ein von den Parteien des Verfahrens und der beteiligten Behörde losgelöstes Kontrollinstrument. Es handelt sich daher um ein objektives Beschwerderecht. Der Bundesminister kann die Beschwerde sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil des Beschuldigten erheben. Die Beschwerdefrist beginnt für den Bundesminister gemäß § 26 Abs. 1 Z. 4 (zweiter Fall) mit dem Zeitpunkt, zu dem er vom angefochtenen Bescheid Kenntnis erlangt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1996, Zl. 95/02/0425).

Der beschwerdeführende Bundesminister begründet seine Beschwerde damit, dass es sich bei den dem Mitbeteiligten angelasteten Verwaltungsübertretungen "um die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts" handle. Bei der Bestrafung eines solchen Delikts gelte nicht das in § 22 Abs. 1 VStG normierte Kumulationsprinzip, vielmehr werde nur eine Strafe verhängt. Die Strafbehörde erster Instanz habe dem bereits Rechnung getragen. Hinsichtlich der Verfolgungsverjährung bei Vorliegen eines fortgesetzten Delikts ergebe sich, dass die Frist des § 31 Abs. 2 VStG für dieses eine Delikt unabhängig davon, wann mit der strafbaren Tätigkeit begonnen worden sei, erst von dem Zeitpunkt an zu rechnen sei, an dem dieses abgeschlossen worden ist. Dies habe die belangte Behörde nicht beachtet.

Gemäß § 31 Abs. 2 VStG beträgt die Verjährungsfrist bei den Verwaltungsübertretungen der Gefährdung, Verkürzung oder Hinterziehung von Landes- und Gemeindeabgaben ein Jahr, bei allen anderen Verwaltungsübertretungen sechs Monate. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.

Die Begehung fortgesetzter Delikte hat zur Folge, dass die Verjährungsfrist für dieses jeweils eine Delikt - unabhängig davon, wann die strafbare Tätigkeit begonnen hat - erst von dem Zeitpunkt zu berechnen ist, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1994, Zl. 93/09/0191, m. w. N.).

Ein Zuwiderhandeln gegen Arbeitszeitvorschriften des § 28 Abs. 1 Z. 1 bis 3 Arbeitszeitgesetz (AZG) durch den Arbeitgeber, wie dies dem Mitbeteiligten im angefochtenen Bescheid zur Last gelegt worden ist, wurde in ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als fortgesetztes Delikt dann angesehen, wenn die festgestellten Zuwiderhandlungen des Arbeitgebers, die in der Beschäftigung des Arbeitnehmers unter Verletzung der Arbeitszeitvorschriften bei seiner beruflichen Tätigkeit bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1984, Zl. 82/11/0363), erkennen lassen, dass sie zu Folge der im hg. Erkenntnis vom 30. März 1982, Zl. 81/11/0087, näher bezeichneten Voraussetzungen zu einer Einheit zusammenfließen (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1998, Zlen. 97/11/0188, 0189 und 0191 bis 0196, m. w. N.).

Von dieser Rechtsprechung abzugehen bietet auch der Beschwerdefall keinen Anlass. Insbesondere die im erstinstanzlichen Bescheid vorgenommene Anführung des Tatzeitraumes und Tatortes, in dem und an dem die jeweils genannten Arbeitnehmer unter Verletzung von Arbeitszeitvorschriften beschäftigt wurden, lassen Zweifel an der Form der zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen als fortgesetzte Delikte nicht aufkommen. Auch die belangte Behörde hat die einem Tatbestand des § 28 AZG zugeordneten inkriminierten Tathandlungen hinsichtlich desselben Arbeitnehmers nur einmal bestraft und ging somit selbst zu Recht vom Vorliegen eines fortgesetzten Deliktes aus. Das von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift zitierte hg. Erkenntnis vom 12. September 2001, Zl. 98/03/0057, steht mit der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht im Widerspruch. In diesem Erkenntnis wurden Verstöße gegen das Gelegenheitsverkehrs-Gesetz in Ansehung unterschiedlicher Gesellschaften (11 OEGs) nicht als fortgesetztes Delikt gewertet. Die einzelnen Tathandlungen in Ansehung eines Zurechnungssubjektes (einer OEG) hingegen würden auch in diesem Beschwerdefall zu einem fortgesetzten Delikt zusammengefasst.

Ausgehend davon belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weil sie den Zeitpunkt für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 VStG für die einzelnen zu einem fortgesetzten Delikt und damit zu einer rechtlichen Einheit gehörenden Tathandlungen unrichtig berechnet hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 18. März 2003

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