VwGH 2000/21/0129

VwGH2000/21/01294.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerden des M, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen die Bescheide jeweils der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 25. Mai 2000, Zl. Fr 1144/1997, betreffend Feststellung gemäß § 75 Fremdengesetz 1997 (hg. Zl. 2000/21/0129) und Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (hg. Zl. 2000/21/0167), zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z2;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;
FrG 1997 §38;
FrG 1997 §39;
FrG 1997 §57 Abs1;
EMRK Art3;
SMG 1997 §28 Abs2;
VwGG §42 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z2;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;
FrG 1997 §38;
FrG 1997 §39;
FrG 1997 §57 Abs1;
EMRK Art3;
SMG 1997 §28 Abs2;
VwGG §42 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein liberianischer Staatsangehöriger, reiste dem Akteninhalt zufolge am 23. Dezember 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und gab zur Begründung seines Asylantrages am 16. Jänner 1997 im Wesentlichen zu Protokoll:

Sein Vater habe vor dem Ausbruch des Krieges im Jahr 1989 für das Justizministerium gearbeitet. Nachher habe er auf der Seite des Prince Johnson als Soldat gekämpft. Bis zum 25. November 1996 habe der Beschwerdeführer keine Probleme im Heimatland gehabt und sei auch nicht verfolgt worden. An diesem Tag sei ein Freund seines Vaters zu ihm gekommen und habe ihm mitgeteilt, dass sein Vater am 20. November 1996 durch die Soldaten des Charles Taylor getötet worden wäre und der Beschwerdeführer als ältester Sohn die Unterlagen seines Vaters über seine Tätigkeit für Prince Johnson vorlegen sollte oder getötet werden würde. Der Freund seines Vaters habe ihn warnen wollen und sei danach wieder gegangen. Sein Vater und der genannte Freund seien vorher bei derselben Gruppe gewesen und hätten sich nachher getrennt. Der Beschwerdeführer habe zu den Angehörigen (gemeint offenbar: Anhängern) des Charles Taylor keinen Kontakt gehabt und keiner Gruppe oder politischen Partei angehört. Am 25. November 1996 habe der Ehemann seiner Tante über Rundfunk erfahren, dass der Beschwerdeführer die Unterlagen seines Vaters bei den Anhängern des Charles Taylor abgeben sollte.

Mit seiner Berufung vom 17. Juni 1997 gegen einen Ausweisungsbescheid beantragte der Beschwerdeführer festzustellen, dass er gemäß § 54 FrG (1992) iVm § 37 nicht nach Liberia zurückkehren könne und gab in einer Niederschrift vom 7. August 1997 an, ein Freund seines Vaters habe ihm mitgeteilt, dass vom Beschwerdeführer die Dokumente verlangt würden, die im Besitz seines Vaters gewesen seien. Da der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nicht habe nachkommen können, habe er um sein Leben bangen müssen. Obwohl sein Onkel ein Anhänger des Charles Taylor gewesen sei, habe er dem Beschwerdeführer geraten, das Land zu verlassen. Im Fall seiner Rückkehr in seine Heimat müsste er damit rechnen, von den Leuten des Charles Taylor umgebracht zu werden. Hiefür genüge schon die Tatsache, dass sein Vater für den Gegner des jetzigen Diktators gekämpft habe und man annehme, dass der Beschwerdeführer die gleichen politischen Ansichten wie sein Vater habe.

Gemäß dem im Akt erliegenden Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. November 1999 wurde über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verhängt. Er wurde schuldig gesprochen, in insgesamt - näher dargestellten - 15 Tathandlungen in den Jahren 1998 und 1999 Suchtgift, nämlich Heroin und Kokain, in einer großen Menge in Verkehr gesetzt zu haben. Als erschwerend wurden die Faktenvielzahl und der lange Tatzeitraum gewertet, als mildernd das Geständnis und die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers.

Vorwiegend gestützt auf dieses Urteil erließ die belangte Behörde im Instanzenzug mit dem zu hg. Zl. 2000/21/0167 angefochtenen Bescheid vom 25. Mai 2000 gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 und Abs. 2 Z. 1 und 7 sowie den §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, gegen den Beschwerdeführer ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, neben dem Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei auch jener des § 36 Abs. 2 Z. 7 leg. cit. erfüllt, weil der Beschwerdeführer den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht habe nachweisen können. Er habe angegeben, dass er seit Oktober 1997 keine Sozialhilfe mehr beziehe und seinen Lebensunterhalt mit dem Verteilen von Zeitschriften bestreiten würde. Er beziehe ein monatliches Einkommen von S 6.000,-- und habe für seine Unterkunft monatlich S 1.500,-- zu bezahlen. Die Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen gerichtlichen Straftat lasse ein Charakterbild erkennen, das zweifellos den Schluss rechtfertige, der Beschwerdeführer sei gegenüber den zum Schutz der Gesundheit anderer Personen bzw. der Volksgesundheit und der körperlichen Integrität anderer Personen erlassenen Vorschriften negativ eingestellt und bilde solcherart eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Im Hinblick auf seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sei eine negative Zukunftsprognose zu stellen. Da durch das Verhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit nicht nur ganz geringfügig berührt werde, könne von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht abgesehen werden. Die Notwendigkeit des Aufenthaltsverbotes werde dadurch noch verstärkt, dass sich der Beschwerdeführer bei der Einreise eines Schleppers bedient habe.

Der Beschwerdeführer sei ledig, habe im Bundesgebiet keine familiären Bindungen und gehe "keiner Berufsausübung nach". Unter Abwägung aller Tatsachen würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation "und die Ihrer Familie". Das Aufenthaltsverbot sei demnach im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig.

Mit dem weiteren, zu hg. Zl. 2000/21/0129 angefochtenen Bescheid vom 25. Mai 2000 stellte die belangte Behörde im Instanzenzug fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Diesen Ausspruch stützte die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer mit seinen oben zitierten Angaben in keiner Weise konkret nachvollziehbar und glaubhaft das Bestehen einer aktuellen, subjektiv gegen seine Person gerichteten, von den staatlichen Behörden seines Heimatstaates zumindest gebilligten Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr habe glaubhaft machen können. Der Beschwerdeführer habe zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise behauptet, dass er von den Anhängern des Charles Taylor auf Grund seiner politischen Einstellung oder wegen seiner nationalen, religiösen oder sozialen Zugehörigkeit oder aus sonstigen Gründen verfolgt würde; es ginge nach seinen Schilderungen lediglich darum, in den Besitz der angeführten Unterlagen zu gelangen. Selbst wenn man seinen auf bloßen Behauptungen beruhenden Angaben Glauben schenken wollte, sei davon auszugehen, dass das Interesse der Anhänger des Charles Taylor somit in erster Linie auf den jeweiligen Inhaber der angeblichen Unterlagen, nicht aber konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtet wäre. Es sei vollends unglaubwürdig, dass angeblich sein Onkel über Rundfunk erfahren hätte, dass der Beschwerdeführer die Unterlagen seines Vaters bei den Anhängern des Charles Taylor abgeben sollte. Dies widerspreche den allgemeinen logischen Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungswerten, zumal dem Beschwerdeführer dadurch die Flucht mit eventuell vorhandenen Unterlagen ermöglicht worden wäre.

Weiters wies die belangte Behörde darauf hin, dass sich in Liberia eine stabile Staatsgewalt manifestiert habe und der seinerzeitige Bürgerkrieg zum Erliegen gekommen sei. Der unabhängige Bundesasylsenat habe mit rechtskräftigem Bescheid festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme; der Verwaltungsgerichtshof habe die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde abgelehnt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

1. Zum Aufenthaltsverbot:

Der Beschwerdeführer tritt den behördlichen Feststellungen nicht entgegen. Der Verwaltungsgerichtshof hegt somit keine Bedenken, dass sowohl der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist als auch wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und der vom Beschwerdeführer im Speziellen verwirklichten Tathandlungen mit seinem Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit verbunden wäre (§ 36 Abs. 1 leg. cit.). Die Begründung des angefochtenen Bescheides ist zwar insofern widersprüchlich, als einerseits eine Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zeitschriftenverteiler angenommen wird, andererseits bei der Wertung seiner persönlichen Interessen davon ausgegangen wird, dass er keiner Berufsausübung nachgehe. Es besteht aber angesichts des verhältnismäßig kurzen inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers und des Fehlens familiärer Bindungen kein Zweifel daran, dass seine persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich gegenüber dem gravierenden öffentlichen Interesse an der Unterbindung von Suchtgiftstraftaten in den Hintergrund zu treten haben und das Aufenthaltsverbot demzufolge - ungeachtet einer Verwirklichung auch des Tatbestandes des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG - sowohl nach § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten als auch nach § 37 Abs. 2 FrG zulässig ist.

Es begegnet auch keinen Bedenken, dass die belangte Behörde von einer Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers Abstand genommen hat, wäre dies doch bei der hier vorliegenden rechtskräftigen Verurteilung offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490).

Letztlich legt die Beschwerde, soweit Fehler im Ermittlungsverfahren, eine "antizipierende Beweiswürdigung" und eine Verletzung des Parteiengehörs angesprochen werden, nicht dar, zu welchen relevanten weiteren Feststellungen die belangte Behörde hätte gelangen können.

2. Zum Ausspruch nach § 75 Abs. 1 FrG:

Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 7. April 2000, Zl. 99/21/0001.)

Die Beschwerde tritt den behördlichen Feststellungen nicht mit konkreten Argumenten entgegen. Der Gerichtshof vermag im Rahmen der ihm zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung in keiner Weise als unschlüssig zu erkennen, stellt es sich doch als völlig unglaubwürdig dar, dass im Rundfunk bekannt gegeben worden wäre, dass der Beschwerdeführer die Unterlagen seines Vaters bei den Anhängern des Charles Taylor abgeben sollte. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass diese Unglaubwürdigkeit nicht auf die gesamte Aussage des Beschwerdeführers durchschlägt. Schon aus diesem Grund durfte die belangte Behörde das Bestehen einer Verfolgungsgefahr im Heimatland des Beschwerdeführers verneinen und es kommt den Beschwerdeausführungen über die allgemeine menschenrechtliche Situation in seinem Heimatland keine Bedeutung zu, stellen doch Hinweise auf die allgemeine politische Lage im Heimatstaat des Fremden für sich allein - ohne Glaubhaftmachung einer jedermann treffenden Gefahr nach Art. 3 EMRK - keine geeignete Grundlage dar, eine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG glaubhaft zu machen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 2002, Zlen. 99/21/0029, 0030). Der - im Übrigen in keiner Weise konkretisierte - Hinweis, dass bereits die Asylantragstellung in Österreich ausreiche, um den jeweiligen Abgeschobenen umgehend am Flughafen in Liberia zu inhaftieren, stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar. Keine Bedeutung kommt dem behaupteten Umstand zu, dass keine Flugverbindung nach Liberia bestehe; im Übrigen würde dadurch die Gefahr einer Verhaftung am Flughafen gegenstandslos. Bemerkt sei, dass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung bezogen ist.

Letztlich trifft der Vorwurf einer mangelhaften Bescheidbegründung nicht zu; dazu wird auf den oben wiedergegebenen Bescheidinhalt verwiesen. Ebenso geht der Hinweis auf eine antizipierende Beweiswürdigung fehl, berücksichtigte die belangte Behörde doch bei ihrer Beweiswürdigung in erster Linie die Aussage des Beschwerdeführers selbst.

3. Da somit beiden angefochtenen Bescheiden die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, waren die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 4. September 2003

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