VwGH 2000/20/0231

VwGH2000/20/023124.4.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des T in R, geboren 1973, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. April 2000, Zl. 215.600/0-II/39/00, betreffend § 6 Z 3 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei und kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, begründete seinen ersten Asylantrag vom 28. Februar 1996 mit der Bedrohung einerseits durch Leute der PKK und andererseits durch türkische Behörden. Dieser Asylantrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. März 1996 abgewiesen. Nach der Rückkehr in seine Heimat reiste der Beschwerdeführer am 9. Dezember 1999 neuerlich in das Bundesgebiet ein und ersuchte mit Schriftsatz vom selben Tag abermals um Asyl. Diesen Antrag begründete er vor dem Bundesasylamt mit der Unterdrückung und Verfolgung der Kurden in der Türkei. Nach Beendigung des ersten Asylverfahrens sei er in seine Heimat abgeschoben und nach seiner Ankunft auf dem Flughafen in Istanbul eineinhalb Monate lang inhaftiert worden. Im Gefängnis habe man ihn geschlagen, wovon er eine Narbe am linken Oberarm habe. Der Beschwerdeführer wisse nicht, womit er geschlagen worden sei, da man ihm seine Augen verbunden habe. Über Vorhalt bestätigte er, dass er die Narbe bereits bei seinem ersten Asylverfahren gehabt habe und fügte hinzu, er sei auch vor seiner ersten Einreise nach Österreich bereits im Gefängnis gewesen. Über weiteren Vorhalt, dass er dies im ersten Asylverfahren nicht geltend gemacht habe, antwortete der Beschwerdeführer, daran nicht gedacht zu haben. Zu seinen nunmehrigen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer weiter an, er habe in seinem Dorf "nie Ruhe" gehabt und "wir wurden immer verdächtigt, der PKK zu helfen und man hat uns immer wieder geschlagen".

Mit Bescheid vom 11. Februar 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG fest. Das Vorbringen des Beschwerdeführers entbehre "jeglicher glaubwürdigen Grundlage", weil der Beschwerdeführer im ersten Asylverfahren angegeben habe, er sei vor seiner damaligen Ausreise aus der Türkei weder Verfolgungen ausgesetzt noch in Haft gewesen. Die vom Beschwerdeführer nun ins Spiel gebrachte Narbe, "die auch keine typische Folternarbe ist", müsse daher zwangsläufig andere Ursachen als Folter haben.

Der letztgenannten Ansicht des Bundesasylamtes trat der Beschwerdeführer in der Berufung entgegen und beantragte die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens über die Folgen seiner Misshandlungen in der Türkei, an denen der Beschwerdeführer bis heute leide. Ein medizinischer Sachverständiger hätte feststellen können, dass die Narbe am linken Oberarm des Beschwerdeführers von den von ihm behaupteten Folterungen und Misshandlungen resultiere. Im Übrigen bemängelte der Beschwerdeführer unterlassene Ermittlungen der Erstbehörde über die Menschenrechtssituation in seiner Heimat und traf mehrseitige Ausführungen zur Situation der Kurden in der Türkei.

In der Berufungsverhandlung vom 11. April 2000 bekräftigte der Beschwerdeführer, dass er, weil er Kurde sei, nach seiner Rückkehr in die Türkei im Jahr 1996 während der Haft in Istanbul mit Füßen getreten und mit einem Schlagstock, den er auch mit verbundenen Augen habe fühlen können, geschlagen worden sei, bis sein Körper Blaufärbungen aufgewiesen habe. Auch in seinem Heimatdorf sei er danach immer wieder festgenommen worden. Er könne nur wiederholen und betonen, dass er bei jeder Einvernahme sowohl seine Folterungen als auch die sichtbare Narbe am Oberarm zur Sprache gebracht habe. Letztere stamme von Misshandlungen während der vierwöchigen Haft in der Türkei im Jahr 1994. Da er den Gegenstand, mit dem die der Narbe vorausgegangene Verletzung herbeigeführt worden sei, nicht habe sehen können, könne er nur vermuten, dass es sich dabei um ein "Metall- oder Eisenstück" gehandelt habe. Jedenfalls habe er dabei einen "Schnittschmerz" und keinen "Brandschmerz" gespürt.

Die belangte Behörde hielt dazu in der Verhandlungsschrift fest, der Beschwerdeführer weise sowohl an der Außen- als auch an der Innenseite des linken Oberarmes jeweils eine runde Narbe in ca. "10-Schilling-Größe" auf. Anschließend wurden dem Beschwerdeführer näher genannte (abgesehen von einem Urteil eines deutschen Verwaltungsgerichtes in den Verwaltungsakten allerdings nicht befindliche) Berichte und "Leiturteile", offenbar die Türkei betreffend, "inhaltsgemäß übersetzt".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und erklärte unter anderem die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend führte sie nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens aus, die Erstbehörde habe den Aussagen des Beschwerdeführers zutreffend jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen. Es sei realitätsfremd, dass der Beschwerdeführer asylrelevante Tatsachen wie eine noch sichtbare Narbe nach einer angeblichen Misshandlung sowie eine vierwöchige Inhaftierung nicht unmittelbar bei der ersten Einvernahme vorgebracht habe. Der Beschwerdeführer habe im Berufungsverfahren Ungereimtheiten in seinem Vorbringen (gemeint sind offenbar die unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers in den Asylverfahren über seine Haft im Jahr 1994) nicht aufklären können, sodass seinen "in ihrer Gesamtheit widersprechenden Angaben" jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen sei. "Vor diesem Hintergrund" sei auch der Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines medizinischen Gutachtens "nicht weiter zu verfolgen" gewesen.

Zu § 8 AsylG verwies die belangte Behörde auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und erachtete unter Hinweis auf die "lediglich allgemein gehaltenen" Hinweise der Berufung betreffend die Situation der kurdischen Volksgruppe in der Türkei sowie unter Bezugnahme auf die in der Verhandlungsschrift zitierten Berichte eine aktuelle Bedrohungssituation des Beschwerdeführers in der Türkei als nicht glaubhaft.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde führt einerseits ins Treffen, die belangte Behörde habe den Beweisantrag auf Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen übergangen, sodass von einer antizipierenden Beweiswürdigung gesprochen werden müsse. Andererseits rügt die Beschwerde, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit der in der Berufung dargestellten Menschenrechtssituation in der Türkei nicht auseinander gesetzt habe. Beide Einwände erweisen sich als zutreffend und im Ergebnis als zielführend.

Das Bundesasylamt hat den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Gegenstand des Berufungsverfahrens war daher, ob der Asylantrag des Beschwerdeführers auch mit Rücksicht auf sein Berufungsvorbringen noch "eindeutig jeder Grundlage entbehrt". Zur Klärung dieser Frage hat die belangte Behörde unter Berücksichtigung nicht nur des Vorbringens des Asylwerbers im Verfahren erster Instanz sondern auch des Vorbringens in der Berufung geeignete Ermittlungen anzustellen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 2001, Zl. 2000/20/0015 mwN).

Der Beschwerdeführer hat, um die Beurteilung seines Vorbringens als offensichtlich tatsachenwidrig zu widerlegen, in der Berufung die Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen beantragt. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, wenn es auf sie nicht ankommt oder wenn das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa jüngst das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2003, Zl. 2002/20/0492 mit Verweis auf die hg. Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall lagen die genannten Voraussetzungen für ein Ablehnen des Beweisantrages nicht vor. So ist insbesondere nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde im Fall des Bewahrheitens der Folterung des Beschwerdeführers im Jahr 1994 der von ihm behaupteten Verfolgung nach seiner Rückkehr in seine Heimat im Jahr 1996 Glauben geschenkt hätte.

War die belangte Behörde unter diesen Umständen nicht der Auffassung, es schließe gegenständlich schon das Erfordernis, ein Sachverständigengutachten einzuholen, die "Offensichtlichkeit" der Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen aus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Juli 2001, Zl. 99/20/0611 und Zl. 2000/20/0015), so hätte sie entgegen der von ihr im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung jedenfalls nicht von der Einholung des beantragten medizinischen Gutachtens Abstand nehmen dürfen. Schon von daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Was die Entscheidung nach § 8 AsylG betrifft, so ist der angefochtene Bescheid, wie die Beschwerde zutreffend einwendet, auch deswegen mit Rechtswidrigkeit behaftet, weil sich die belangte Behörde entgegen der Begründung dieses Spruchteiles - nicht zuletzt im Hinblick auf das ausführliche Berufungsvorbringen über die Situation der Kurden in der Türkei - hinsichtlich einer für den Beschwerdeführer im Abschiebungsfall dort bestehenden Bedrohungssituation nicht mit einem Verweis auf die Ausführungen des Erstbescheides, der zu diesem Thema keine Feststellungen beinhaltete, begnügen durfte. Soweit die belangte Behörde zu diesem Thema aber auf (abgesehen von einer Ausnahme, wie erwähnt, im Akt nicht enthaltene) Länderberichte verweist, fehlen dazu auch im angefochtenen Bescheid jegliche Feststellungen.

Da der angefochtene Bescheid demnach wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war, konnte von der Durchführung der beantragten Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die beantragte Umsatzsteuer bereits im Pauschalbetrag der genannten Verordnung enthalten ist.

Wien, am 24. April 2003

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte