VwGH 2000/15/0043

VwGH2000/15/00433.7.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde des W in E, vertreten durch Dr. Arnold, Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg vom 2. Februar 2000, Zl. RV 162/1-6/99, betreffend Haftung für Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §20;
BAO §224;
BAO §243;
BAO §248;
BAO §4;
BAO §80 Abs1;
BAO §80;
BAO §9 Abs1;
BAO §9;
EStG §93;
EStG §95;
EStG §96;
KStG §8 Abs2;
VwRallg;
BAO §20;
BAO §224;
BAO §243;
BAO §248;
BAO §4;
BAO §80 Abs1;
BAO §80;
BAO §9 Abs1;
BAO §9;
EStG §93;
EStG §95;
EStG §96;
KStG §8 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die CBS GmbH mit Sitz in S. (in der Folge: CBS-S), die sich mit dem Handel von Kosmetikprodukten befasst, wurde mit Gesellschaftsvertrag 1984 gegründet. Gesellschafterin ist die CBS AG in Liechtenstein. Die Geschäftsführung obliegt seit Errichtung der CBS-S dem Beschwerdeführer und von 1989 bis 1997 auch Rudolf G.

Mit Bescheid vom 22. Juli 1998 ordnete das Finanzamt gemäß § 232 BAO in das Vermögen der CBS-S die Sicherstellung der Gewerbesteuer 1992 bis 1994, Körperschaftsteuer 1992 bis 1996 und Kapitalertragsteuer 1992 bis 1996 in insgesamt voraussichtlicher Höhe von S 206,723.632,-- an (die voraussichtliche Höhe und die Abgabenart ist für jedes Jahr gesondert ausgewiesen). Weiters wurde ausgesprochen, dass eine Hinterlegung eines Betrages von S 206 Mio. bewirke, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Sicherstellungsmaßnahmen aufgehoben werden.

Mit weiterem Bescheid vom 22. Juli 1998 nahm das Finanzamt den Beschwerdeführer als Haftungspflichtigen gemäß § 9 BAO für die Abgabenschuldigkeiten der CBS-S im Ausmaß von S 103,361.812,-- in Anspruch und forderte ihn auf, diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten. In der Begründung führte das Finanzamt zunächst für den Zeitraum 1992 bis 1996 die Abgabenschuldigkeiten der CBS-S je nach Abgabenart und Betrag an. Sodann wurde ausgeführt wie folgt:

In den Jahren 1995/96 sei bei der CBS-S eine abgabenbehördliche Prüfung durchgeführt worden. Der Prüfer habe festgestellt, dass die CBS-S die für den Weiterverkauf bestimmten Waren (Kosmetikartikel) mit der Markenbezeichnung "Channoine" seit Juni 1992 von der Channoine Cosmetics AG ( in der Folge nur: Ch. AG) mit Sitz in Liechtenstein beziehe. Es sei der Verdacht entstanden, bei der Ch. AG in Liechtenstein handle es sich entweder um eine Briefkastenfirma (Domizilgesellschaft) ohne tatsächliche Geschäftstätigkeit oder um ein verbundenes Unternehmen, welches den Zweck verfolge, die offensichtlich vorwiegend in Deutschland verhältnismäßig billig hergestellten Waren im Zuge des Verkaufes an die CBS-S empfindlich zu verteuern, womit deren steuerliche Gewinne geschmälert würden. In diesem Verfahren habe die CBS-S letztlich eine "gutachterliche Stellungnahme" einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH vorgelegt. In dieser sei u.a. festgehalten, dass die Ch. AG in Liechtenstein zu 55 % einem Liechtensteiner gehöre. Bei dieser Ch. AG handle es sich um ein völlig eigenständiges, gewerbliches Unternehmen, das etwa 30 Arbeitskräfte beschäftige, Kosmetika produziere und über eigene Betriebsräumlichkeiten verfüge. Auch die Rezepturen der Kosmetika stünden ausschließlich im Eigentum der Ch. AG.

Der Prüfer sei weiters zum Schluss gekommen, dass bei der CBS-S und der Ch. AG in Liechtenstein unterschiedliche Beteiligungsverhältnisse vorlägen, und die Geschäftsführung von verschiedenen Personen besorgt werde. Eine Verbundenheit der CBS-S mit der Ch. AG in Liechtenstein liege nicht vor, sodass hinsichtlich der Verrechnungspreise keine Problematik gegeben sei.

Weiters sei erhoben worden, dass das Warenzeichen "Channoine" für eine GmbH in München am 31. August 1983 eingetragen worden sei. Die GmbH in München sei im Dezember 1982 gegründet worden und habe sich ab April 1987 in Liquidation befunden. Im Jahr 1988 habe das Amtsgericht München das Konkursverfahren über das Vermögen dieser GmbH eröffnet. Alleiniger Geschäftsführer dieser GmbH sei der Beschwerdeführer gewesen.

Zwischen den Geschäftsführern der CBS-S bestehe seit Beginn des Jahres 1998 ein Rechtsstreit. Der Geschäftsführer Rudolf G. habe am 2. Februar 1998 Selbstanzeige beim Finanzamt erstattet. Aus dieser Selbstanzeige gehe hervor, dass der in der gutachtlichen Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft genannte liechtensteinische Staatsbürger lediglich als Treuhänder für die Geschäftsführer der CBS-S tätig geworden sei. Rudolf G. habe auf Grund seiner (mittelbaren) Beteiligung (ein Drittel) an der Ch. AG in den Jahren 1992 bis 1996 mindestens S 116 Mio. erhalten. Der Beschwerdeführer sei zu zwei Drittel an der Ch. AG beteiligt. Ihm sei aus dieser Beteiligung im selben Zeitraum ein Betrag von mindestens S 232 Mio. zugeflossen. Der Beschwerdeführer verfüge über finanzielle Mittel in dieser Größenordnung. 1995 sei sein Privathaus in Salzburg fertig gestellt worden. Dies habe rund S 140 Mio. gekostet. Das Grundstück sei lastenfrei, die Finanzierung sei demnach aus Eigenmitteln erfolgt. Aus der Selbstanzeige des Rudolf G. gehe weiters hervor, dass Rudolf G. an einer näher umschriebenen AG ein Aktienpaket von S 35 Mio. und der Beschwerdeführer ein solches von S 70 Mio. halte.

Wenn diese in der Selbstanzeige angeführten Beteiligungsverhältnisse an der Ch. AG der Betriebsprüfung 1995/96 bekannt geworden wären, wäre es zu einer Korrektur der von der Ch. AG an die CBS-S verrechneten Preise gekommen. Die in der Selbstanzeige offen gelegten Geldzuflüsse aus der Ch. AG zeugten von einer Notwendigkeit der Korrektur der bisher verrechneten Preise gemäß den Vereinbarungen der OECD-Staaten sowie einer Besteuerung der Ausschüttungen bei den Geschäftsführern der CBS-S. Es lägen nunmehr auch Fotokopien von Fotografien des Betriebsgebäudes der Ch. AG in Liechtenstein vor. Diese Fotografien seien geeignet, die Ausführungen der gutachterlichen Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH in Zweifel zu ziehen. Die Abbildungen führten zu Zweifel daran, dass an der Anschrift der Ch. AG die Produktion und Lagerung von Kosmetikartikeln erfolge.

Es sei nunmehr entgegen den Feststellungen der Betriebsprüfung aus den Jahren 1995/96 davon auszugehen, dass die Geschäftsführer der CBS-S im Verhältnis 2:1 an der Ch. AG beteiligt seien und daher die Verrechnungspreisproblematik sowie die Frage der Besteuerung der Geldzuflüsse an die Geschäftsführer aktuell seien. Es bestehe der Verdacht, dass die Geschäftsführer der CBS-S durch Einschaltung der in Liechtenstein ansässigen Ch. AG in Österreich steuerpflichtige Gewinne der CBS-S der Besteuerung entzogen und somit unter Verletzung der abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Abgabe unrichtiger Körperschaftsteuererklärungen sowie durch Nichtabgabe entsprechender Kapitalertragsteueranmeldungen zumindest für die Jahre 1992 bis 1996 Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer in noch festzustellender Höhe verkürzt und hiedurch Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 Finanzstrafgesetz begangen hätten. Aus den in der Selbstanzeige des Rudolf G. genannten Geldflüssen ließen sich beachtliche Gewinnverkürzungen bei der CBS-S in den Jahren 1992 bis 1996 und ebenso hohe Gewinnausschüttungen an ihre Geschäftsführer ablesen. Berechne man ausgehend von einer Gewinnschmälerung im Ausmaß von S 348 Mio. infolge von überhöhten Einkaufspreisen die Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Kapitalertragsteuer bei der CBS-S in den Streitjahren, so ergebe sich ein verkürzter Betrag von S 206,723.632,-- (eine detaillierte Berechnung ist der Bescheidbegründung als Tabelle 1 angeschlossen). Die Abgabenansprüche gegenüber der CBS-S seien in diesem Umfang gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 und 3 BAO und § 95 Abs. 4 EStG 1998 bereits entstanden.

Aus der letzten in den Veranlagungsakten aufliegenden Bilanz zum 28. Februar 1994 sei eine buchmäßige Überschuldung der CBS-S in Höhe von ca. S 3,9 Mio. ersichtlich. Auf der Aktivseite sei ein Vermögenswert in Höhe von S 108 Mio. ausgewiesen, davon S 28 Mio. schwer verwertbare Betriebs- und Geschäftsausstattung, Vorräte an Handelswaren in Höhe von S 56,8 Mio., davon "Ware unterwegs" S 29,3 Mio., Forderungen gegen verbundene Unternehmen in Höhe von S 5,2 Mio. sowie Kassa und Bankguthaben in Höhe von S 16,4 Mio. Dem stünden auf der Passivseite Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sowie gegenüber Vermittler in Höhe von S 102,3 Mio. und sonstige Verbindlichkeiten in Höhe von S 0,7 Mio. gegenüber. Die eingereichten Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 1994, 1995 und 1996 zeigten regelmäßig nicht unerhebliche Verluste (1994 S 4,5 Mio., 1995 S 2,6 Mio. und 1996 S 3,7 Mio.). Es sei sohin davon auszugehen, dass sich die finanzielle Situation der CBS-S verschlechtert habe. Aus dem nunmehr hervorgekommenen Sachverhalt sei abzuleiten, dass ein wohl durchdachtes System zur Abgabenhinterziehung durch Verlagerung von Gewinnen ins Ausland entwickelt worden sei.

Es stehe fest, dass die nachzufordernden Abgaben jedenfalls zumindest mit dem Betrag bei der CBS-S (Primärschuldnerin) uneinbringlich seien, der die Summe der in der Bilanz der CBS-S ausgewiesenen Aktiva in Höhe von S 108 Mio. übersteige. Wie bereits dargestellt, sei auf Grund der eingereichten Jahreserklärungen für die Folgejahre von einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der CBS-S auszugehen. Die Haftungsinanspruchnahme sei daher auf jeweils die Hälfte der gegenüber der Primärschuldnerin geltend gemachten Abgabenansprüche beschränkt worden. Der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der CBS-S sei daher gemäß den §§ 9, 80 BAO auf Grund des von ihm schuldhaft zu verantwortenden, oben dargestellten, Sachverhaltes bezüglich des als uneinbringlich feststehenden Teiles der Abgabenansprüche zur Haftung heranzuziehen.

In einer Anlage (Tabelle 1) dieses Bescheides ist die Zuordnung der "verdeckten Ausschüttung" auf die Streitjahre 1992 bis 1996 sowie die dadurch entstehende Nachforderung an Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und KESt dargestellt.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die gegen den Haftungsbescheid vom 22. Juli 1998 erhobene Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. In der Begründung ihres Bescheides stellte die belangte Behörde zunächst den (oben wiedergegebenen) Inhalt des bekämpften Bescheides des Finanzamtes und den Inhalt der Berufung, der Berufungsvorentscheidung und des Vorlageantrages dar. Im Erwägungsteil führte sie - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - Folgendes aus:

Die Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung setze das Bestehen einer Abgabenschuld voraus, nicht jedoch, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber auch bereits geltend gemacht worden sei. Überdies sei erforderlich, dass dem Haftungspflichtigen die Bemessungsgrundlagen und zu Grunde liegenden Abgabenschuldigkeiten bekannt gegeben werden. Dies sei mit der Anlage zum bekämpften Haftungsbescheid geschehen. Da - wie im vorliegenden Fall - noch keine Abgabenbescheide gegen den Abgabenschuldner ergangen seien, seien Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben auch im Haftungsverfahren zulässig.

Das Finanzamt sei im Haftungsbescheid nicht davon ausgegangen, dass die gesamten bei der CBS-S nachzufordernden Abgaben in Höhe von S 206,723.632,-- bei der Primärschuldnerin uneinbringlich seien. Der Haftungsbetrag sei auf 50 % der Gesamtsumme eingeschränkt worden, weil ausgehend von der letzten vorliegenden Bilanz und den Abgabenerklärungen für die Folgejahre in diesem Umfang von der Uneinbringlichkeit der nachzufordernden Abgaben auszugehen sei. Die Bilanz der CBS-S zum 28. Februar 1994 weise eine Überschuldung von S 3,9 Mio., die Aktivseite Vermögenswerte von S 108 Mio. auf. Das Finanzamt sei bei Beurteilung der Uneinbringlichkeit von der günstigsten Variante ausgegangen, in dem es angenommen habe, dass nachzufordernde Abgaben zumindest mit dem Betrag uneinbringlich seien, der die ausgewiesenen Aktiva von S 108 Mio. übersteige. Die Abgabenerklärungen für die Folgejahre seien zur Beurteilung der Uneinbringlichkeit nicht heranzuziehen gewesen, weil die dazugehörigen Rechenwerke noch nicht vorgelegt worden seien. Der Beschwerdeführer habe in der Berufung vorgebracht, dass die vom Finanzamt für erforderlich gehaltene Korrektur der Verrechnungspreise zu einer Reduktion der Einkaufspreise führe und somit zum Entstehen einer adäquaten Forderung gegen den Lieferanten. Dies treffe zwar zu, ändere jedoch nichts an der Beurteilung der Einbringlichkeit, weil die Abgabenbehörde keine Möglichkeit habe, diese Forderungen gegenüber der Lieferantin, der Ch. AG mit Sitz in Liechtenstein, im Einbringungswege zu realisieren.

Dem Einwand, bei der CBS-S sei keine Steuerschuld hinsichtlich der Kapitalertragsteuer entstanden, sei Folgendes entgegenzusetzen:

Nach § 95 Abs. 2 EStG 1988 sei die Kapitalertragsteuer durch Abzug einzubehalten. Der zum Abzug Verpflichtete hafte dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer. Nach dieser Gesetzeslage sei die CBS-S kraft Gesetzes zur Einbehaltung und Abfuhr verpflichtet. Diese Konstruktion entspreche der Regelung bei der Lohnsteuer. In diesen Fällen entstehe auf Grund dieser besonderen abgabenrechtlichen Vorschriften eine Zahlungsverpflichtung, ohne dass es eines Haftungsbescheides bedürfe. Wer Abgaben einzubehalten und abzuführen habe, sei verpflichtet, zu den gesetzlich festgelegten Terminen die Abgaben zu entrichten. Ergebe sich in der Folge, dass die vom Abfuhrpflichtigen abgeführten Abgaben zu gering gewesen seien, so sei mit Haftungs- und Zahlungsbescheid vorzugehen. Eine neue Fälligkeit entstehe dadurch nicht. Die CBS-S hafte sohin kraft Gesetzes für die von ihr einzubehaltenden und abzuführenden KESt-Beträge.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass im Streitzeitraum die abgabenrechtlichen Belange der CBS-S vom zweiten Geschäftsführer Rudolf G. vereinbarungsgemäß wahrgenommen worden seien, möge zwar zutreffen. Allerdings sei nach den Feststellungen davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer sogar der überwiegende Teil der erzielten Erträgnisse zugeflossen sei. Der Beschwerdeführer habe demnach Kenntnis von den erwähnten steuerlichen Gestaltungen im Bereich der CBS-S gehabt und habe daher als einer der im § 80 BAO genannten verantwortlichen Vertreter die teilweise eingetretene Uneinbringlichkeit der Abgabennachforderungen zu verantworten. Die für die Heranziehung zur Haftung relevante schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Verpflichtungen sei darin zu stehen, dass der Beschwerdeführer zusammen mit Rudolf G. als verantwortlicher Geschäftsführer der CBS-S durch Einschaltung der in Liechtenstein ansässigen Ch. AG in Österreich die steuerpflichtigen Gewinne der CBS-S der Besteuerung entzogen und damit Abgaben in Millionenhöhe verkürzt habe. Erwähnenswert sei, dass der Beschwerdeführer eine vergleichbare Tätigkeit zumindest in den Jahren 1983 bis 1985 für eine GmbH in München ausgeübt habe. Diese Gesellschaft habe sich seit 1987 in Liquidation befunden. Der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes München vom 28. November 1991 als verantwortlicher Geschäftsführer dieser GmbH für schuldig befunden worden, ein vorsätzliches Vergehen der Verletzung der Buchhaltungspflicht und zwei rechtlich zusammentreffende Vergehen der Steuerhinterziehung begangen zu haben. Er sei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren (Vollzug zur Bewährung ausgesetzt) verurteilt worden.

Dieser Verurteilung sei folgender Sachverhalt zu Grunde gelegen:

Im Jahre 1985 seien in den Betriebsausgaben der Münchner GmbH Aufwendungen für Franchisegebühren in Höhe von DM 1,508.831,-- an eine in London situierte Firma S. Ltd. und für Marktanalyse ein Betrag von DM 133.125,-- an eine in England situierte Firma N. Ltd. gebucht worden. Bei diesen beiden Firmen habe es sich um sogenannte "non resident private companies by shares" gehandelt, die in England nicht tätig geworden seien. Der Beschwerdeführer habe dazu im erwähnten Strafverfahren angegeben, diese fiktiven Aufwendungen seien ausschließlich zu dem Zwecke in die Buchhaltung eingeflossen, um Gewinne der Münchner GmbH am Finanzamt vorbei ins Ausland zu schaffen.

Der Beschwerdeführer bestreite im Vorlageantrag die Auffassung des Finanzamtes, dass es sich bei der Ch. AG um eine nicht tätige Gesellschaft handle. Diesen Behauptungen sei Folgendes entgegenzustellen: Durch das Prüfungsverfahren seien die Angaben in der Selbstanzeige des Rudolf G. weitgehend verifiziert worden. Demnach handle es sich bei der Ch. AG zumindest ab Juli 1994 um keine Domizilgesellschaft, sehr wohl aber um ein verbundenes Unternehmen. Die Ch. AG habe bis Juni 1994 - wenn überhaupt - maximal eine Zwischenlagerfunktion ausgeübt. Seit Juli 1994 seien ihr zudem Aufgaben im Bereich der Logistik übertragen worden. Die übrigen Betriebsbereiche befänden sich in Österreich bzw. würden von der CBS-S aus gesteuert. Für diesen Teilbereich seien in der Ch. AG nach den bisherigen Ermittlungen im Zeitraum 1992 bis 2/1996 Gewinne von ca. S 74 Mio. verblieben. Es könne also keine Rede davon sein, dass die Ch. AG durch die Verrechnungspreiskorrektur "auf 0 gestellt" worden wäre. Dieser Gewinnanteil erscheine im Gegenteil hoch, wenn man sich vor Augen halte, dass der Ch. AG nur untergeordnete Funktionen zukommen. Die tatsächliche Steuerung des Geschäftsbetriebes inklusive der Produktbeschaffung erfolge nach den bisherigen Prüfungsfeststellungen im Rahmen der CBS-S, der bisher praktisch überhaupt keine Gewinne verblieben seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Behauptung - gleich lautend wie die der Beschwerdeführerin im Verfahren 2000/15/0042 -, die belangte Behörde habe nicht das gesamte Berufungsverfahren behandelt, ist zu entgegnen, dass damit die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht dargetan wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2000/15/0042).

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff leg. cit. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Voraussetzung für die Inanspruchnahme als Haftender nach diesen Gesetzesstellen ist somit eine Abgabenforderung, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt, gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit dieser Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, ein Verschulden des Vertreters an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit. Beim kumulativen Vorliegen dieser Voraussetzungen ist überdies die Geltendmachung der Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt. Ermessensentscheidungen der Abgabenbehörde haben sich gemäß § 20 BAO innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 20. September 1996, 94/17/0122).

Zu den Beschwerdeausführungen, Abgabeverbindlichkeiten der vom Beschwerdeführer vertretenen CBS-S seien nicht entstanden bzw. es seien der CBS-S keine Abgabenbescheide zugestellt worden, ist Folgendes auszuführen:

Die Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung setzt zwar das Bestehen eines Abgabenschuldverhältnisses, also das Bestehen einer Abgabenschuld (§ 4 BAO) voraus, nicht jedoch, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber auch bereits geltend gemacht wurde. Gemäß § 4 BAO entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft, somit unabhängig von einer behördlichen Tätigkeit und auch unabhängig von einer diesbezüglichen Bescheiderlassung. Geht einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde nach dem hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1996, 94/14/0148, daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten. Durch § 248 BAO ist dem Haftenden ein Rechtszug gegen den Abgabenbescheid eingeräumt. Geht der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung kein Abgabenbescheid voran, so gibt es eine solche Bindung nicht. Ob ein Abgabenanspruch gegeben ist, ist in diesem Fall als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu entscheiden. Diese Beurteilung kann mit Berufung und auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden, womit dem zur Haftung Herangezogenen der Rechtsschutz gewahrt bleibt.

Im vorliegenden Fall liegen unbestrittenermaßen keine Abgabenbescheide gegenüber der CBS-S vor. Die belangte Behörde hatte sich daher mit dem Entstehen der Abgabenschuldigkeiten der CBS-S, für welche der Beschwerdeführer als Haftungspflichtiger in Anspruch genommen wird, auseinander zu setzen. Dazu, dass die belangte Behörde zutreffend vom Entstehen des Anspruches auf Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer in den Streitjahren ausgegangen ist, genügt es gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2000/15/0042, zu verweisen.

Der Beschwerdeführer meint, seine Inanspruchnahme für Abgabenverbindlichkeiten der CBS-S an Kapitalertragsteuer wäre im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde im Gesetz nicht gedeckt, weil kein Haftungsbescheid gegenüber der CBS-S für die Kapitalertragsteuer existiere. Die belangte Behörde dagegen meint, die CBS-S hafte für die Kapitalertragsteuer ex lege, eines Haftungsbescheides bedürfe es nicht.

Ob die von der CBS-S unstrittigermaßen nicht abgeführte Kapitalertragsteuer der CBS-S als Steuerschuldnerin gegenüber nur auf Grund eines Haftungsbescheides im Sinne des § 224 BAO entsteht oder nicht, ist für dieses Verfahren nicht von Bedeutung. Entscheidend ist lediglich, ob die CBS-S die Pflicht getroffen hatte, Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen. Ihr Vertreter hat nämlich nach § 80 Abs. 1 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die ihr obliegen. Die Pflicht zur Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer (§§ 95, 96 EStG 1988) haben unter der Sanktion des § 9 Abs. 1 BAO die Vertreter der juristischen Person zu erfüllen (Hofstätter/Reichel, Kommentar, § 95 Tz 3 letzter Absatz). Für den Beschwerdefall ist somit entscheidend, ob die CBS-S in den Streitjahren verpflichtet war, Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen. Die belangte Behörde nimmt, wie auch bereits das Finanzamt, an, die CBS-S habe verdeckte Ausschüttungen vorgenommen und zwar durch Zahlung überhöhter Einkaufspreise an die Ch. AG, die dann in der Folge ihren Geschäftsführern zugeflossen seien. Kapitalerträge in Form verdeckter Gewinnausschüttungen setzen voraus, dass es sich um außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gelegene Zuwendungen einer Körperschaft handelt, welche ihre Wurzeln in der Anteilsinhaberschaft haben und den Anteilsinhabern der Körperschaft zugerechnet werden. Wesentlich ist somit die Zuwendung an eine Person mit Gesellschafterstellung oder einer gesellschafterähnlichen Stellung. Eine Zuwendung an die Gesellschafter kann auch darin gelegen sein, dass eine dem Gesellschafter (Anteilsinhaber) nahe stehende Person begünstigt wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. September 2001, 96/13/0043).

Zu prüfen ist demnach, ob die nach den Feststellungen den Geschäftsführern der CBS-S zugeflossenen Beträge der CBS-S als kapitalertragsteuerpflichtige, verdeckte Ausschüttungen zuzurechnen sind. Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid sind der Beschwerdeführer und Rudolf G. Geschäftsführer der CBS-S. Die beiden sind auch (mittelbare) Anteilsinhaber der Ch. AG. Alleingesellschafter der CBS-S ist die CBS AG in Liechtenstein. Weitere Beteiligungen des Beschwerdeführers - insbesondere an der CBS AG in Liechtenstein - sind nicht festgestellt worden. Ausgehend von diesen - bisher - festgestellten Beteiligungsverhältnissen ist nicht ersichtlich, weshalb die von der CBS-S - in Form überhöhter Einkaufspreise - an die Ch. AG an die Geschäftsführer der CBS-S geleisteten Beträge, die letztlich den Geschäftsführern der CBS-S zugeflossen sind, verdeckte Gewinnausschüttungen der CBS-S an ihre Geschäftsführer sein sollten. Nach den Bescheidfeststellungen handelt es sich um - allenfalls verdeckte - Ausschüttungen der Ch. AG in Liechtenstein an ihre mittelbaren Gesellschafter, die gleichzeitig die Geschäftsführer der CBS-S sind. Eine Verpflichtung der CBS-S zur Einbehaltung und Abfuhr von Kapitalertragsteuer auf Grund der von der Ch. AG an die Geschäftsführer der CBS-S gezahlten Beträge besteht nicht. Soweit daher die belangte Behörde den Beschwerdeführer als Haftungspflichtigen gemäß § 9 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der CBS-S an Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Zur Frage der Verantwortung des Beschwerdeführers trotz der vereinbarten Geschäftsverteilung ist Folgendes zu sagen:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass es für die Beurteilung der Verschuldensfrage darauf anzukommen habe, welcher der Geschäftsführer mit der Besorgung der steuerlichen Angelegenheiten befasst gewesen ist. Eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Entrichtung der Steuern der Gesellschaft betrauten oder hiefür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer komme nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliege, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln. Übereinstimmend damit hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass im Fall einer Aufteilung der Agenden zwischen mehreren Geschäftsführern einer GmbH im Regelfall die mit Abgabenangelegenheiten nicht befassten Personen zur Haftung dafür nicht herangezogen werden können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1995, 91/13/0037, 0038). Wenn die belangte Behörde im gegenständlichen Fall davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführer hinreichenden Anlass hatte, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung durch Rudolf G. zu zweifeln, kann ihr nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Nach den Bescheidfeststellungen sind dem Beschwerdeführer zwei Drittel der "erzielten Erträge" zugeflossen. Wenn die belangte Behörde auf Grund dieser nicht unerheblichen Geldflüsse feststellte, dass der Beschwerdeführer Kenntnis von den gewählten steuerlichen Gestaltungen hatte, ist dies nicht unschlüssig. Die Ausführungen der belangten Behörde dazu, dass trotz der Aufteilung der Agenden der Geschäftsführer der Beschwerdeführer zur Haftung herangezogen wird, stellen auch eine ausreichende Begründung des bei der Haftungsinanspruchnahme zu übenden Ermessens dar.

Angesichts der verfehlten Inanspruchnahme des Beschwerdeführers für die Haftung für Abgabenschuldigkeiten der CBS-S an Kapitalertragsteuer ist auf die Frage der Uneinbringlichkeit der übrigen Abgabenschuldigkeiten nicht mehr einzugehen.

Der angefochtene Bescheid war somit - wegen Unteilbarkeit seines Spruches - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragte mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Beschwerdesache nicht erwarten lässt.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 3. Juli 2003

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