VwGH 2000/09/0203

VwGH2000/09/02034.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. Elmar Kresbach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4/4/29, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport vom 26. September 2000, Zl. 72/6-DOK/00, betreffend Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §92 Abs1 Z4;
BDG 1979 §92 Abs1;
BDG 1979 §93 Abs1;
StGB §32 Abs1;
BDG 1979 §92 Abs1 Z4;
BDG 1979 §92 Abs1;
BDG 1979 §93 Abs1;
StGB §32 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand als Oberinspektor (Postbeamter) in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er war zuletzt als Kassenbeamter (Cash-Manager) beim Postamt W tätig.

Mit (seit 26. November 1999) rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 26. November 1999, AZ 5cEVr8021/99Hv5799/99, wurde der Beschwerdeführer 1. des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4 und 130 (erster Fall) StBG sowie 2. des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z. 2 Waffengesetz dahin schuldig erkannt, er habe 1. in Wien seit April 1998 bis 16. September 1999 gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen, nämlich insgesamt S 462.879 Bargeld, Verfügungsberechtigten der Post und Telekom mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und 2. ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt bis 16. September 1999 eine verbotene Waffe, nämlich eine Stahlrute, unbefugt besessen.

Er wurde hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

In dem sachgleichen, dieselbe Vorgangsweise im Sinne des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls (Urteilsfaktum 1.) betreffenden Disziplinarverfahren - das Vergehen nach dem Waffengesetz war nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens - wurde der Beschwerdeführer mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 20. April 2000 für schuldig befunden, er habe - über seine strafgerichtliches Verantwortung hinaus - seine Dienstpflichten gemäß § 43 Abs. 1 und Abs. 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) verletzt. Wegen dieser Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 BDG 1979 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 92 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Disziplinarerkenntnis der belangten Behörde vom 26. September 2000 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und damit die über den Beschwerdeführer verhängte Disziplinarstrafe der Entlassung bestätigt.

Zur Begründung der über den Beschwerdeführer verhängten Disziplinarstrafe führte die belangte Behörde nach Darlegung der maßgebenden Rechtslage und Judikatur unter anderem folgendes aus:

"Der Beschuldigte hat mit der ihm angelasteten Vorgangsweise, die Gegenstand der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung war, das in ihn als Beamten der Post AG vom Dienstgeber entgegengebrachte Vertrauen gröblichst verletzt und damit gegen seine ihm auferlegten Dienstpflichten in schwerst wiegender Weise verstoßen. Die Bedeutung der Tat des Beschuldigten ist im vorliegenden Verfahren nicht aus strafrechtlicher, sondern aus disziplinärer Sicht zu beurteilen. Die Dienstpflichtverletzungen des Beschuldigten erschöpfen sich in Ansehung des schweren Vertrauensverlustes - wie die Erstinstanz richtig erkannte - nicht in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes.

Die Disziplinarkommission gelangte bei der Prüfung der Frage, ob über den Beschuldigten zusätzlich zu der strafgerichtlich verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zehn Monaten, deren Vollzug unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, noch eine Disziplinarstrafe zu verhängen war, unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Recht zu der Auffassung, dass wegen der Art des Fehlverhaltens des Beschuldigten, vor allem wegen der engen Bindung seiner dienstlichen Stellung mit der Tätigkeit, die ihm die Gelegenheit zu den strafbaren Handlungen geboten hat, die Voraussetzungen für die Verhängung einer zusätzlichen Disziplinarstrafe gegeben sind.

...

Ein Beamter, der sich unter Ausnützung seiner dienstlichen Möglichkeiten und während seines Dienstes - so wie der Beschuldigte - während eines Zeitraumes von nahezu eineinhalb Jahren wiederholt und gezielt Münzen aus Münzkassetten von Telefonautomaten aneignet und um des eigenen Vorteils willen für seine Zwecke verwendet, somit in Bereicherungsabsicht (die Disziplinarbehörden sind gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 an die Feststellungen des Strafgerichtes auch zur subjektiven Tatseite gebunden) seine Dienstbehörde während des genannten Zeitraumes schädigt, ist auch nach Ansicht des erkennenden Senates der Disziplinaroberkommission als Beamter nicht mehr tragbar, weil durch eine derartige Straftat nicht nur das für die Erfüllung der Aufgaben öffentlicher Verwaltungen unerlässliche Vertrauensverhältnis zu seinen Vorgesetzten und zu seinem Dienstgeber, sondern auch das Vertrauen der Allgemeinheit wesentlich zerstört wird. Denn der entscheidende Gesichtspunkt ist hiebei, dass sich die Verwaltung auf die Redlichkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Beamten bei dessen Dienstausübung verlassen muss, weil die lückenlose Kontrolle eines Beamten nicht möglich ist. Im Fall einer derart starken und nachhaltigen Belastung des Vertrauensverhältnisses ist es notwendig, den betreffenden Beamten aus dem Dienst zu entlassen.

...

Hat der Beamte - wie hier - durch sein Verhalten das Vertrauensverhältnis zwischen sich und der Verwaltung somit zerstört und ist er damit in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis objektiv untragbar geworden, so ist mit Entlassung des Beamten vorzugehen. In diesem Fall kann die sich aus spezialpräventiven Erwägungen ergebende Warnungs-, Besserungs- , und Sicherungsfunktion der Disziplinarstrafe nicht zum Tragen kommen. An dieser Tatsache vermag auch bisheriges dienstliches Wohlverhalten des Beschuldigten und die Behauptung dessen zwischenzeitiger Heilung von der im Tatzeitraum behauptetermaßen vorgelegenen Spielsucht nichts zu ändern.

...

Was im Übrigen die - bereits oben erwähnte - Geltendmachung des Milderungsgrundes der vollständigen Wiedergutmachung des Schadens nach Tatbegehung anlangt, ist zunächst festzustellen, dass der Beschuldigte mehrmals deliktisch gehandelt hat und daher nicht von einer einmaligen unbedachten Gelegenheitstat ("Augenblickstat") gesprochen werden kann. Diesem Milderungsgrund könnte bei Wiedergutmachung der Tat vor ihrer Entdeckung daher allenfalls bei einem einmaligen Zugriff Relevanz zukommen, nicht aber bei mehrfachen Zugriffen in einem Zeitraum von nahezu eineinhalb Jahren.

Zu erwähnen bleibt, dass im Bereich der Privatwirtschaft bereits geringere Verfehlungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen und von einem Beamten als Gegenleistung für die ihm gebotene soziale Sicherheit u.a. ein besonderes Maß an Treue und Integrität erwarten wird. Es war auch nicht außer Acht zu lassen, dass die Strafe lediglich die Folge der vom Beschuldigten selbst zu verantwortenden Handlungen ist und eine unangebrachte Milde der Disziplinarbehöreden in der Öffentlichkeit und in der Kollegenschaft kein Verständnis fände."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht verletzt, dass über ihn nicht die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt wird. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid aufgrund von Verfahrensfehlern und unrichtiger rechtlicher Beurteilung zur Gänze kostenpflichtig zu beheben, in eventu "das Verfahren neuerlich durchzuführen und der belangten Behörde kostenpflichtig aufzutragen, Feststellungen über den gesamten Dienstzeitraum des Beschwerdeführers sowie die in dieser Beschwerde angeführten Milderungsgründe zu treffen".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens (trotz gebotener Gelegenheit aber unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheides) ohne Erstattung einer Gegenschrift vor und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Beschwerde ausschließlich gegen die Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung.

Als Disziplinarstrafen sieht § 92 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333, (BDG 1979) neben Verweis, Geldbuße und Geldstrafe die Entlassung (als schwerste Disziplinarstrafe) vor.

Gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 ist das Maß für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist jedoch darauf bedacht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, und den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Die nach dem Strafgesetzbuch Strafbemessung maßgebenden Gründe sind dem Sinne nach zu berücksichtigen; weiters ist auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beamten bedacht zu nehmen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. September 2000, Zl. 98/09/0043, und die darin angegebene Judikatur) dargelegt hat, ist die Disziplinarstrafe der Entlassung keine Strafe, die der Sicherung der Gesellschaft, der Resozialisierung des Täters oder gar der Vergeltung dient, sondern eine Strafe, die sich wesentlich auch als dienstrechtliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes darstellt. Im Vordergrund steht dabei die Frage, des durch die Verfehlung eingetretenen Vertrauensverlustes. Die Gründe für eine solche Unvereinbarkeit lassen sich nur den Anforderungen entnehmen, die das Dienstrecht an einen Beamten stellt. Wird diese überhaupt nicht mehr der Achtung und dem Vertrauen gerecht, die seine Stellung als Beamter erfordert, hat er das Vertrauensverhältnis zwischen sich und der Verwaltung zerstört, dann kann er auch nicht mehr im Dienst verbleiben. Ist das gegenseitige Vertrauensverhältnis zerstört, fehlt es an der Grundlage für weitere Differenzierungen und Bemessungserwägungen. Verträgt die Funktion der staatlichen Verwaltung die Weiterbeschäftigung eines Beamten nicht mehr, dann auch nicht teilweise. Hier geht es nicht, wie beim Strafrecht, um die Wiedereingliederung in die soziale Gemeinschaft, sondern um die weitere Tragbarkeit in einem besonderen Dienstverhältnis. Auch wenn die Disziplinarstrafe der Entlassung nicht der Sicherung der Gesellschaft, der Resozialisierung des Täters oder gar der Vergeltung dient, so handelt es sich dabei doch um eine Strafe. Die Frage, ob durch die Verfehlung des Beamten das gegenseitige Vertrauensverhältnis zwischen diesem und der Verwaltung zerstört wurde, ist auf der Grundlage der Schwere der Dienstpflichtverletzung zu beurteilen. Auch hier hat die Disziplinarbehörde gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 zunächst am Maß der Schwere der Dienstpflichtverletzung gemäß § 92 Abs. 1 leg. cit. zu prüfen, ob die Verhängung der höchsten Strafe gemäß § 92 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 geboten ist. Hiebei hat sie sich gemäß § 93 Abs. 1 dritter Satz BDG 1979 an den nach dem StGB für die Strafbemessung maßgebenden Gründen zu orientieren und somit im Hinblick auf § 32 Abs. 1 StGB vom Ausmaß der Schuld des Täters als Grundlage für die Bemessung der Strafe auszugehen, wobei sie vor allem zu berücksichtigen hat, in wieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und auf äußere Umstände und Beweggründe zurückzuführen ist, durch diese auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen nahe liegen könnte. Erst wenn eine an diesem - an der Modellfigur des mit dem rechtlich geschützten Werten verbundenen Beamten orientierten - Maßstab erfolgte Beurteilung der Schwere der Dienstpflichtverletzung des Beamten ergibt, dass sein weiteres Verbleiben im Dienst untragbar geworden ist, fehlte es im Sinne der angeführten Rechtsprechung an der Grundlage für weitere Differenzierungen und Bemessungserwägungen dahingehend, ob im Sinne des § 93 Abs. 1 zweiter Satz BDG 1979 die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, ihn von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. In diesem Fall bleibt für spezialpräventive Erwägungen kein Raum (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/09/0042).

In diesem Sinne erweist sich die im Beschwerdefall verhängte Disziplinarstrafe der Entlassung als gesetzmäßig. Im vorliegenden Beschwerdefall hat der Beschwerdeführer sich unter Ausnutzung seiner dienstlichen Möglichkeiten wiederholt (nämlich in einem Zeitraum von April 1998 bis September 1999) in Bereicherungsabsicht und gewerbsmäßig Münzen aus Münzkassetten von Telefonautomaten angeeignet. Ein Beamter, der seinen Dienstgeber in dieser Weise schädigt und sich (als "Kassenbeamter"!) während seines Dienstes an fremden Geldern vergreift, ist grundsätzlich nicht mehr tragbar, weil durch derartige (fortgesetzte) Taten nicht nur das Vertrauensverhältnis zu seinen Vorgesetzten sondern das Vertrauen der Allgemeinheit zerstört wird. Der entscheidende Gesichtspunkt ist hiebei, dass sich die Verwaltung auf die Redlichkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Beamten bei dessen Dienstausübung verlassen muss, weil eine lückenlose Kontrolle nicht möglich ist. Dass dies gerade im Bereich der Post ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt ist hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2000, Zl. 97/09/0082, und die dort angegebene weitere Judikatur betreffend sogenannte "ungetreue Postbeamte").

Der Beschwerdeführer vermag keine erheblichen Umstände des Falles darzutun, die geeignet wären, seine Untragbarkeit für das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis zu widerlegen. Die auf Resozialisierung, Warnung, Besserung und zukünftiges Wohlverhalten abgestellten Beschwerdeausführungen gehen daran vorbei, dass es bei der Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung - wie bereits ausführlich dargelegt - nicht um diese Gesichtspunkte geht. Auch der Umstand, dass Spielsucht ihn zu seinen Verfehlungen geführt haben, vermag das zerstörte Vertauensverhältnis nicht wieder herzustellen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 4. September 2003

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