Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste am 12. Juli 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 14. Juli 1999 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16. November 1999 gab er im Wesentlichen an, er habe in seinem Heimatort in einem u.a. von islamistischen Terroristen besuchten Cafe als Kellner gearbeitet. Am 5. oder 6. Juni 1999 habe die Gendarmerie zwei Terroristen in diesem Lokal verhaftet. Am 20. Juni 1999 seien Terroristen in das Cafe gekommen und hätten den Chef und einen Mitarbeiter enthauptet, weil sie der Meinung gewesen seien, das Personal ("wir") hätte die Gendarmerie verständigt gehabt. Der Beschwerdeführer sei an diesem Tag wegen einer Erkrankung nicht im Cafe gewesen. Sein Chef habe etwa am 15. Juni 1999 ein Schreiben erhalten, in dem gestanden sei, dass sie alle sterben würden. Er habe dies der Gendarmerie mitgeteilt, die aber nichts unternommen habe. Im Falle einer Rückkehr nach Algerien würden die Terroristen den Beschwerdeführer töten. Sie würden ihn überall in Algerien finden.
Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Dezember 1999, mit dem sein Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Algerien festgestellt wurde, erhob der Beschwerdeführer Berufung.
In der mündlichen Berufungsverhandlung am 3. Mai 2000 gab der Beschwerdeführer an, Inhalt des Schreibens vom 15. Juni 1999 sei gewesen, dass er seine Gäste an die Exekutive verraten habe und man ihn zur Vergeltung töten werde. Der Beschwerdeführer habe sich daraufhin zur Polizei begeben und um Schutz gebeten. Man habe ihm aber gesagt, dass man nichts für ihn tun könne. Am 20. Juni 1999 seien einige Terroristen gekommen, um den Beschwerdeführer umzubringen. Sie hätten dem Besitzer des Lokals und dem für den Beschwerdeführer eingesprungenen Kellner die Kehle durchgeschnitten. In Algerien würden von den Terroristen "schwarze Listen" geführt. Der Beschwerdeführer müsse in allen Gegenden Algeriens mit Angriffen auf seine Person rechnen. Die algerische Regierung behaupte, gegen den Terrorismus zu kämpfen. Von den Terroristen angegriffene Siedlungen würden aber nicht verteidigt.
An dieser Stelle der Einvernahme hielt der Verhandlungsleiter dem Beschwerdeführer Folgendes vor:
"Gemäß einer Auskunft des deutschen Auswärtigen Amtes, vom 27.1.2000, hat sich die allgemeine politische Situation in Algerien - dies gegenüber den Ereignissen der letzten Jahre - wesentlich gebessert. Das öffentliche Leben außerhalb der von Terror heimgesuchten Gebiete hat sich weitgehend normalisiert. In Algier und den anderen großen Städten hat es seit längerer Zeit keine umfangreichen terroristischen Aktivitäten mehr gegeben. Gemäß behördlicher Einschätzung wäre es Ihnen schon vor Ihrer Ausreise bzw. nunmehr auch pro futuro möglich (gewesen), sich in einen sicheren Landesteil zu begeben, so z.B. in die Stadt Algier bzw. sich dort an die staatlichen Sicherheitsbehörden um Schutzgewährung vor allfälligen Bedrohungen seitens islamischer Terroristen zu wenden. Indizien dafür, dass Ihnen gegebenenfalls so eine Schutzgewährung nicht zu Teil kommen würde, ist nicht erkennbar. Dies insbesondere auch nicht vor dem Hintergrund Ihrer Volkszugehörigkeit. Hieraus ist ableitbar, dass Ihnen jedenfalls - dies bei tatsächlicher Gefährdung Ihrer Person seitens der islamischen Terroristen - jedenfalls eine so genannte innerstaatliche Fluchtalternative offen steht. Gemäß dem obzitierten Bericht bieten Großstädte v.a. in jüngster Zeit Algier erhöhten Schutz gegen terroristische Aktionen."
Der Beschwerdeführer beantwortete dies - nach dem Inhalt der Niederschrift - wie folgt:
"Mir ist bekannt, dass sich die Situation grundlegend geändert hat. Ich weiß auch, dass ein gewisser Prozentsatz der Terroristen seine Waffen abgegeben hat. Viele ehemalige Kämpfer sind auf eine Einigung mit der Regierung eingegangen, durch welche sie eine Unterkunft und einen Scheck im Gegenwert von etwa 50.000 öS erhalten haben. Ich glaube nicht daran, dass dies zu einer allgemeinen und anhaltenden Befriedung des Landes führen wird, da der Islam nichts verzeiht. Ich meine damit, dass die führenden Köpfe der Terrorbewegung zumindest unter der Oberfläche weiter aktiv bleiben werden. Ich sehe daher für mich keine Möglichkeit in Algerien meines Lebens sicher zu sein."
Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien sei zulässig. Sie traf folgende Feststellungen zum Sachverhalt:
"Festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt wird: Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger und Angehöriger der berberischen Volksgruppe in seinem Heimatland. Der Antragsteller war zum vormaligen Zeitpunkt in seiner Heimatstadt Boghni als Kellner in einem Cafe tätig. Auf Grund einer erfolgten Festnahme zweier Terroristen in obzitiertem Cafe durch die Gendarmerie wurden der Besitzer des Kaffeehauses sowie ein weiterer Kollege des Antragstellers seitens islamischer Fundamentalisten getötet. Vor diesem Vorfall wurden der Chef sowie alle weiteren Angestellten des Cafes seitens der islamistischen Terroristen mit dem Tode bedroht.
Diese Feststellungen gründen sich auf die diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Antragstellers."
Hingegen erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers als gesteigert und unglaubwürdig, insoweit er in der Berufungsverhandlung auch angegeben hatte, Mitglied einer politischen Partei (FFS) und einer berberischen Kulturbewegung (MCB) gewesen zu sein.
In rechtlicher Hinsicht würdigte die belangte Behörde die behauptete Verfolgungsgefahr wie folgt:
"Der Antragsteller relevierte im durchgeführten Ermittlungsverfahren zentral, von Seiten islamischer Fundamentalisten bedroht worden zu sein bzw. pro futuro mit seiner Verfolgung von Seiten dieser zu rechnen zu haben.
Die vom Antragsteller relevierten Befürchtungen liefern keinen Anhaltspunkt dafür, dass die von ihm beschriebene Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung vom Staat oder dessen Organe ausginge oder von diesen gebilligt würde. Eine Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung, welche lediglich von Privatpersonen (und sei es auch in Gestalt von Mitgliedern einer islamistisch-fundamentalistischen Terrorbewegung) ausgeht, vermag grundsätzlich nicht unter den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention subsumiert zu werden. Von asylrechtlicher Relevanz wären solche Bedrohungsakte lediglich dann, wenn die staatlichen Organe des Heimatstaates des Antragstellers nicht willens bzw. gänzlich nicht in der Lage wären, den Antragsteller bei Bedarf bzw. auf Ersuchen effektiven Schutz zu gewähren.
Wie den einschlägigen Dokumentationsunterlagen betreffend den Staat Algerien entnehmbar ist, wurden islamischfundamentalistische Terrorbewegungen in der Vergangenheit seitens der verschiedenen algerischen Regierungen und seitens des algerischen Sicherheitsapparates jedenfalls strafrechtlich verfolgt bzw. erhellt diese Tatsache, dass seitens des algerischen Staates kriminelle Aktivitäten solcher Organisationen jedenfalls keinesfalls gebilligt wurden bzw. gegenwärtig werden. Eine generelle Schutzunfähigkeit seitens staatlicher Sicherheitsbehörden kann den einschlägigen Dokumentationsunterlagen nicht entnommen werden und wurde eine solche von Seiten des Antragstellers auch auf einschlägigen Vorhalt nicht releviert.
Dem Antragsteller wurde im Rahmen der Berufungsverhandlung überdies eine so genannte innerstaatliche Fluchtalternative vor Augen geführt und wurde er darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich in den vergangenen Monaten die allgemeine Sicherheitslage - betreffend Terrorismus etc. - deutlich verbessert hat sowie, dass es den Regierungstruppen und der Polizei insbesondere gelungen ist, die Operationsmöglichkeiten fundamentalistischer Terrorbewegungen stark einzuschränken. Da jedoch auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt es der Regierung schwer fällt, die Bevölkerung flächendeckend zu schützen, wurde dem Antragsteller die Möglichkeit einer so genannten innerstaatlichen Ausweichmöglichkeit in eine der algerischen Großstädte, insbesondere Algier, deutlich gemacht.
Auf den korrespondierenden Vorhalt gestand der Antragsteller tatsächlich aus eigenem zu, dass sich die Situation in Algerien grundsätzlich geändert habe und auch ein gewisser Prozentsatz der Terroristen die Waffen bereits abgegeben hätte.
Konkrete Indizien dafür, dass er bei Rückkehr etwa nicht in eine der sicheren Zonen Algeriens begeben bzw. etwa sich nicht unter den Schutz der staatlichen Behörden stellen könnte bzw. ihm etwa eine Schutzgewährung verweigert würde oder auch die Sicherheitsbehörden gänzlich schutzunfähig wären, vermochte der Antragsteller nicht substantiiert ins Treffen zu führen.
Da der Antragsteller im Verfahren sohin eine subjektive Furcht, von Seiten einer kriminellen Organisation verfolgt zu werden, ins Treffen führte, er jedoch nicht glaubhaft dartun (gemeint offenbar: widerlegen) konnte, dass ihm eine so genannte innerstaatliche Fluchtalternative offenstünde bzw. er sich jedenfalls um eine Schutzgewährung an die Sicherheitsbehörden seines Heimatstaates wenden könnte, konnte keine Verfolgungsgefährdung seiner Person mit auch nur einiger maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erkannt werden.
Rechtlich folgt, dass der Antragsteller nicht Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, weshalb die Gewährung von Asyl gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idgF nicht statthaft war."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Vorweg ist anzumerken, dass der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsgefahr unter dem Gesichtspunkt einer ihm wegen seiner angenommenen Mitwirkung an der Verhaftung von Terroristen unterstellten politischen Gesinnung nicht von vornherein der Zusammenhang mit einem Konventionsgrund abzusprechen ist. Eine gegenteilige Ansicht hat die belangte Behörde ihrer Entscheidung auch nicht zugrunde gelegt, wenngleich sich die neutrale Bezugnahme auf eine "kriminelle Organisation" an einer Stelle der Bescheidbegründung als Andeutung in diese Richtung verstehen ließe.
Die belangte Behörde hat aber die Maßstäbe für die rechtliche Beurteilung einer nicht vom Staat ausgehenden Verfolgungsgefahr verkannt, wenn sie in ihrer Entscheidung zum Ausdruck brachte, eine derartige Bedrohung sei "grundsätzlich" nicht asylrelevant und Gegenteiliges gelte abgesehen vom Fall mangelnden Schutzwillens des Staates nur dann, wenn dieser "gänzlich" nicht in der Lage sei, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. in diesem Sinn auch die weiteren Bezugnahmen auf eine "generelle" bzw. "gänzliche" Schutzunfähigkeit der Sicherheitsbehörden). Diese Betrachtungsweise steht nicht im Einklang mit der in dieser Hinsicht, soweit es Algerien betrifft, an das in der Beschwerde zitierte Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, anschließenden hg. Judikatur (vgl. ausgehend u.a. von diesem Erkenntnis allgemein zur Relevanz nichtstaatlicher Verfolgung das Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509).
Mit ihren lediglich in den Rechtsausführungen der Bescheidbegründung enthaltenen Anmerkungen zur Sicherheitslage in Algerien hat die belangte Behörde es aber auch verabsäumt, sich unter Bedachtnahme auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers mit den entscheidungswesentlichen Tatsachen auseinander zu setzen. Sachverhaltsfeststellungen zur Effektivität des dem Beschwerdeführer in Algerien bzw. in bestimmten Teilen dieses Landes zur Verfügung stehenden staatlichen Schutzes fehlen zur Gänze, und es ist auch nicht erkennbar, auf welche "einschlägigen Dokumentationsunterlagen betreffend den Staat Algerien" sich die belangte Behörde in ihren Rechtsausführungen bezieht. Soweit der in der Verhandlung erörterte Bericht vom 27. Jänner 2000 gemeint sein sollte, wäre anzumerken, dass dessen Inhalt - wie im Übrigen auch die Replik des Beschwerdeführers auf den Vorhalt der belangten Behörde - mit den Bezugnahmen in der Bescheidbegründung nur teilweise berücksichtigt würde, der erwähnte Bericht aber auch nicht die alleinige Grundlage entsprechender Feststellungen sein könnte (vgl. in dieser Hinsicht etwa das Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2002/01/0037). Davon abgesehen scheinen sich die Bemerkungen zur verbesserten Sicherheitslage auf den Schutz der Bevölkerung im Allgemeinen und nicht auf die Situation von Personen zu beziehen, denen in der vom Beschwerdeführer behaupteten Weise nachgestellt wird. Welche Unterschiede sich in dieser Hinsicht zeitlich - im Sinne einer der Sache nach auf Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv abstellenden Begründung - seit den vom Beschwerdeführer behaupteten Erlebnissen oder örtlich für die von der belangten Behörde erwähnten Großstädte im Vergleich zum Heimatort des Beschwerdeführers feststellen ließen, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor. Dass die Furcht des Beschwerdeführer eine "subjektive" sei und eine "Verfolgungsgefährdung seiner Person" sich ganz allgemein nicht "mit auch nur einiger maßgeblicher Wahrscheinlichkeit" erkennen ließe, wäre aber selbst in Verbindung mit ausreichenden Feststellungen über bestimmte Schutzalternativen und abgesehen von den übergangenen Behauptungen über die Reaktion der Gendarmerie keine mit der Feststellung der vom Beschwerdeführer beschriebenen Ereignisse kombinierbare Ansicht (vgl. zu teilweise ähnlichen Algerien betreffenden Fällen seit dem zitierten Erkenntnis vom 22. März 2000 etwa auch die Erkenntnisse vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0330, vom 19. Juni 2001, Zlen. 2000/01/0170, 0171, vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0205 und Zl. 99/01/0230, vom 14. Mai 2002, Zl. 98/01/0327, und vom 11. Juni 2002, Zl. 98/01/0394).
Der angefochtene Bescheid war aber schon im Hinblick auf die zuvor erwähnte Verkennung des Beurteilungsmaßstabes für ausreichende staatliche Schutzgewährung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 16. Juli 2003
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