VwGH 99/01/0205

VwGH99/01/020512.3.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des HB in Wien, vertreten durch Dr. Alfred Roschek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jasomirgottstraße 6, gegen den am 10. Dezember 1998 mündlich verkündeten und am 15. Dezember 1998 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 205.847/0- XII/36/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, der am 1. August 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 3. August 1998 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 5. August 1998 zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

Er habe zuletzt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Algier gewohnt und in einer Bar namens Lido Zigaretten, Lose und Nüsse verkauft. Mitte Juli 1998 seien mehrere fremde Leute auf der Straße auf ihn zugekommen. Er wisse nicht, welcher Gruppe diese Leute angehörten, jedenfalls seien es keine Regierungsbeamten gewesen. Diese Leuten hätten von ihm verlangt, in der Bar Lido eine Bombe zu legen. Der Beschwerdeführer habe sich Bedenkzeit ausgebeten und die Geschichte in der Folge einem ihm aus der Bar bekannten Polizeioffizier erzählt. Dieser habe ihm vorgeschlagen, mit den Leuten der Form halber einen Termin auszumachen, um ihnen eine Falle stellen zu können. Bei einem daraufhin mit den Männern vereinbarten Termin sollte der Beschwerdeführer die Bombe übernehmen und in der Bar deponieren. Bei der Übergabe der Bombe habe die Polizei eingegriffen und einen der Männer verhaftet. Während der Festnahme durch die Polizei habe dieser Mann dem Beschwerdeführer immer wieder zugerufen, dass man den Beschwerdeführer "umbringen und abschlachten" werde. Nach dieser Drohung habe der Beschwerdeführer die Polizei um Schutz gebeten; die Polizisten hätten ihm gesagt, er möge sich selber schützen. Der Beschwerdeführer befürchte, dass ihn diese Leute auch irgendwo anders in Algerien finden könnten, wenn auch erst nach ein oder zwei Jahren.

Mit Bescheid vom 17. September 1989 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz ab und sprach gemäß § 8 Asylgesetz aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sprach das Bundesasylamt die Asylrelevanz ab, weil danach die Verfolgung nicht vom Staat aus ginge.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass nicht nur bei staatlicher Verfolgung Asylrelevanz vorliege, sondern auch dann, wenn außerstaatliche Verfolgung gegeben sei und der Staat nicht willens oder nicht in der Lage sei, den Verfolgten zu schützen. Der Beschwerdeführer habe durch seine scheinbare Kooperation mit den Terroristen zur Festnahme der Verantwortlichen beigetragen und habe daher ein erhöhtes Schutzbedürfnis. Die staatlichen Behörden seien nicht in der Lage, ihm den nötigen Schutz zu gewähren.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz ab und stellte gemäß § 8 Asylgesetz fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei.

Zur allgemeinen Lage in Algerien traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

"Trotz zahlreicher Aktionen der Sicherheitskräfte zur Eindämmung des Terrorismus setzen bewaffnete islamische Gruppen im Zentrum, im Westen und im Osten des Landes ihre Mordaktionen fort, insbesondere in den gebirgigen Gebieten, die schwer zugänglich und bewaldet sind. Die am stärksten betroffenen Zonen sind im Westen, im Zentrum des Landes und im westlichen Kabilien. Im Zentrum des Landes sind vor allem die Gebiete um Medea, Blida und Tipaza am meisten von den Gewalttätigkeiten betroffen. Die Hauptstadt Algier gilt derzeit als sicherer, insbesondere auf Grund der Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen und zahlreicher in der Stadt, in der Peripherie und in den umliegenden Wäldern durchgeführten Durchkämmungsaktionen. Seit dem 8. Juli 1998 konnte in Algier nicht zuletzt durch die Verhaftung des Emir der GIA (bewaffnete islamische Gruppe) relative Ruhe wiederhergestellt werden, wobei jedoch seit Anfang Juni des Jahres insgesamt dennoch etwa 20 Attentate verübt wurden. Im Westen sind die Gewalttätigkeiten vor allem in den gebirgigen Gebieten konzentriert und waren einige Städte wie z.B. Chlef, Ain Defla und Saida besonders stark von den Gewalttätigkeiten betroffen, während z.B. Oran und die dortige Küste relativ verschont blieb. Im Osten waren terroristische Aktionen in großer Intensität in der Region Tizi Ouzou (Großkabilien) zu beobachten, während die sonstigen östlichen Gebiete des Landes, insbesondere die Städte wie z.B. Annaba oder Constantine relativ gesehen verschont blieben. Als relativ sichere Zone ist auch das so genannte 'brauchbare Algerien' im Süden des Landes mit Gas- und Erdölresourcen zu bezeichnen, die durch Spezialtruppen mit wirksamen Schutzmaßnahmen und guter Ausrüstung garantiert wird.

Die staatliche Politik ist grundsätzlich durch ein hartes und entschlossenes Vorgehen gegen islamistische Terroristengruppen gekennzeichnet und spielen bei der Terrorbekämpfung die Sicherheitskräfte und die vom algerischen Staat bewaffneten Milizen eine maßgebliche Rolle. Der algerische Staat bemüht sich durch verstärkte Anti-Terroraktionen um die Eindämmung von Terroranschlägen und die Zerschlagung der bewaffneten Gruppen, ohne dass bisher ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen absehbar wäre. Trotz erfolgreicher Militäraktionen bleibt die Lage in Algerien weiterhin gespannt, da insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Anfang 1999 nicht nur die Sicherheitskräfte sondern auch die Islamisten ihre Aktionen im Laufe des September und Oktober verstärkt haben."

Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, dass sich die Bedrohung des Asylwerbers nicht auf das gesamte Landesgebiet erstrecke, weil kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass die dem Beschwerdeführer nicht bekannten Leute ihre Tätigkeit im gesamten Staatsgebiet ausübten oder sonst zu einer größeren terroristischen Organisation zählen würden. Bestimmte Landesteile seien von den Übergriffen der Terroristen weitgehend verschont geblieben. Im Übrigen sei die behauptete Verfolgung nicht dem Staat zuzurechnen und werde von diesem auch nicht gebilligt. Der algerische Staat sei zudem in der Lage, den Terrorismus in weiten Bereichen wirksam mit Spezialeinheiten zu bekämpfen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde verneint die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers schon deshalb, weil die vorgebrachte Verfolgung nicht auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Gesinnung) zurückzuführen sei bzw. nicht vom algerischen Staat ausgehe und diesem auch nicht zurechenbar sei.

Im Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, hat der Verwaltungsgerichtshof auf Grund des Vorbringens eines algerischen Asylwerbers, er sei von Terroristen wegen des ihm unterstellten Verrates des Aufenthaltsortes von islamistischen Terrorgruppen bei der Gendarmerie mit dem Tode bedroht worden, nicht ausgeschlossen, dass dem Beschwerdeführer gegen die Terroristen gerichtete politische Motive unterstellt würden und dieser behaupteten Verfolgung - mangels Schutzfähigkeit des Staates - dann Asylrelevanz zugeordnet, wenn dem Beschwerdeführer daraus mit einer für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ein Nachteil von asylrelevanter Intensität gedroht hätte.

Auch im vorliegenden Fall kann es auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers, er hätte im Auftrag ihm unbekannter Männer in einer Bar eine Bombe legen sollen und habe diesen Plan der Polizei verraten, worauf es zur Verhaftung und zur darauf folgenden Morddrohung gekommen sei, insbesondere vor dem Hintergrund der festgestellten politischen Situation in Algerien, nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Verfolgung wegen einer dem Beschwerdeführer unterstellten, gegen die politischen Ziele der in der Berufung als Terroristen bezeichneten Gruppe gerichteten politischen Ansicht handelt. Geht man aber von einer auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung aus, hätte sich die belangte Behörde unter Berücksichtigung dieser individuellen Verfolgung mit der Schutzfähigkeit und dem Willen des Staates, dem Beschwerdeführer einen der Situation entsprechenden Schutz angedeihen zu lassen, auseinander setzen müssen und nicht beides schon deswegen generell bejahen dürfen, weil "die algerischen Sicherheitskräfte den Terrorismus in weiten Bereichen mit Spezialeinheiten bekämpfen". Mit der Frage einer ausreichend funktionierenden Staatsgewalt bei Verfolgung von dritter Seite aus einem Konventionsgrund hat sich der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis vom 22. März 2000, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich befasst (vgl. zuletzt auch das Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509).

Der Begründung im genannten Erkenntnis vom 22. März 2000 folgend käme dieser behaupteten individuellen Verfolgung jedenfalls dann Asylrelevanz zu, wenn dem Beschwerdeführer daraus trotz der festgestellten Bekämpfung des "Terrorismus in weiten Bereichen" mit einer für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ein Nachteil von asylrelevanter Intensität drohte. Ohne Auseinandersetzung mit dieser Frage konnte die belangte Behörde das für sie lediglich auf Grund der Beurteilung der allgemeinen Lage schon feststehende Ausreichen des Schutzes durch den algerischen Staat nicht beurteilen. Auch die Frage der inländischen Fluchtalternative wird unter diesen Gesichtspunkten neuerlich einer Prüfung zu unterziehen sein.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. März 2002

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