VwGH 2001/17/0171

VwGH2001/17/017112.8.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der MB in B (Bundesrepublik Deutschland), vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in 7100 Neusiedl am See, Untere Hauptstraße 72, gegen den Gemeinderat der Stadtgemeinde Neusiedl am See wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend Kanalanschlussgebühren, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §250 Abs1;
BAO §273;
BAO §278;
KanalabgabeG Bgld §7 Abs3;
LAO Bgld 1963 §195;
LAO Bgld 1963 §203;
LAO Bgld 1963 §208;
VwRallg;
BAO §250 Abs1;
BAO §273;
BAO §278;
KanalabgabeG Bgld §7 Abs3;
LAO Bgld 1963 §195;
LAO Bgld 1963 §203;
LAO Bgld 1963 §208;
VwRallg;

 

Spruch:

Gemäß § 42 Abs. 4 und § 62 Abs. 2 VwGG iVm § 209 und §§ 212 und 213 der Burgenländischen Landesabgabenordnung, LGBl. Nr. 2/1963 idgF, sowie § 2 und § 7 des Burgenländischen Kanalabgabegesetzes, LGBl. Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990, wird auf Grund der Berufung der Beschwerdeführerin vom 27. Februar 2001 gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Neusiedl am See vom 27. Dezember 2000, Zl. KA-Erg. 150-69/2000-8060, betreffend Vorschreibung eines Ergänzungsbeitrages gemäß § 7 des Kanalabgabegesetzes, LGBl. Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990, der genannte Bescheid des Bürgermeisters aufgehoben.

Die Stadtgemeinde Neusiedl am See hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Vorbringen in der vorliegenden Beschwerde und dem in Kopie vorgelegten Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Neusiedl am See vom 27. Dezember 2000 wurde der Beschwerdeführerin mit diesem Bescheid gemäß § 7 des Kanalabgabegesetzes, LGBl. Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990, iVm der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Neusiedl am See vom 7. Dezember 1990 für die Liegenschaft X-Straße 6 in der Stadtgemeinde Neusiedl am See ein Ergänzungsbeitrag in der Höhe von S 2.881,85 vorgeschrieben.

Begründet wurde diese Vorschreibung unter Hinweis auf § 7 des Kanalabgabegesetzes damit, dass "bei der Ermittlung der Berechnungsfläche nach den Bestimmungen des neuen Kanalabgabegesetzes" festgestellt worden sei, "dass sich das Ausmaß Ihrer bebauten Fläche gegenüber der der Berechnung des Anschlussbeitrages zu Grunde gelegten Fläche geändert" habe.

Die Höhe des Ergänzungsbeitrages sei unter Zugrundelegung des Ausmaßes der zusätzlichen Berechnungsfläche zu bemessen gewesen. Im Übrigen enthält der Bescheid nur die Rechtsmittelbelehrung.

Die Beschwerdeführerin erhob mit Schreiben vom 27. Februar 2001 einen "Einspruch" gegen die Abgabenvorschreibung. Darin wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass sich die Fläche des Gebäudes in den letzten zehn Jahren nicht verändert habe. Die Vorschreibung werde dem Grunde und der Höhe nach bekämpft.

Da über diesen "Einspruch" keine Entscheidung getroffen wurde, erhob die Beschwerdeführerin am 13. September 2001 die vorliegende Säumnisbeschwerde.

Die belangte Behörde hat weder auf Grund der Aufforderung vom 26. September 2001, Zl. 2001/17/0171-2, noch auf Grund des Erinnerungsschreibens vom 6. März 2002, Zl. 2001/17/0171-4, Verwaltungsakten vorgelegt oder eine Gegenschrift erstattet. In der Verfügung vom 26. September 2001 wurde die belangte Behörde unter Hinweis auf § 38 Abs. 2 VwGG aufgefordert, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid nachzuholen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Mit Schreiben vom 6. Juni 2002, Zl. 2001/17/0171-6, wurde der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Sachverhalt der Beschwerdeführerin zu einer allfälligen Stellungnahme binnen drei Wochen mitgeteilt. Dieses Schreiben wurde zur Kenntnis auch dem Gemeinderat der Stadtgemeinde Neusiedl am See übermittelt.

Die Beschwerdeführerin hat zu dem genannten Schreiben mit Schriftsatz vom 11. Juli 2002 mitgeteilt, dass der Sachverhalt so, wie in dem Vorhalt vom 6. Juni 2002 dargestellt, gegeben sei.

Die Stadtgemeinde Neusiedl am See hat keine Äußerung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin vom 27. Februar 2001 ist zwar als "Einspruch" bezeichnet, weist jedoch alle Erfordernisse gemäß § 195 Burgenländische Landesabgabenordnung, LGBl. Nr. 2/1963 (im Folgenden: Bgld. LAO), für eine Berufung auf (die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet, die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird, die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden, und die Begründung). Die Bezeichnung des Schriftsatzes ist bei der Beurteilung, ob eine den Vorschriften der BAO oder der anzuwendenden Landesabgabenordnung entsprechende Berufung vorliegt, nach der hg. Rechtsprechung nicht von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. August 1998, Zl. 97/17/0401). Es liegt somit eine wirksame Berufung vor, über die die belangte Behörde als nach § 48 Bgld. LAO zuständige Behörde abzusprechen gehabt hätte. Der Berufungswerber hat auch dann, wenn die Berufung zurückzuweisen wäre, einen Rechtsanspruch auf Erledigung seines Rechtsmittels (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Dezember 1999, Zl. 99/17/0325, oder vom 28. November 2001, Zl. 98/17/0311, jeweils mit Nachweisen der Vorjudikatur).

Da die belangte Behörde den Bescheid nicht innerhalb von sechs Monaten erlassen hat und die Geltendmachung der Verletzung der Entscheidungspflicht durch Devolutionsantrag im Abgabenverfahren nach der Bgld. LAO nur bei Säumnis der ersten Instanz zulässig ist (vgl. § 232 Abs. 2 LAO), ist die Säumnisbeschwerde zulässig; da die belangte Behörde den Bescheid auch nicht nachgeholt hat, ist der Verwaltungsgerichtshof zuständig, über die Berufung in der Sache selbst mit Erkenntnis (§ 42 Abs. 4 VwGG) zu entscheiden.

2. Es ist auch nichts hervorgekommen, was dafür sprechen würde, dass die Berufung zurückzuweisen wäre (insbesondere ist der Bescheidcharakter der bekämpften Erledigung gegeben, die Beschwerdeführerin ist Adressatin der Erledigung, es bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Bescheid nicht zugestellt worden wäre oder die Berufung verspätet erhoben worden wäre). Der Verwaltungsgerichtshof ist daher an der Stelle des säumigen Gemeinderates der Stadtgemeinde Neusiedl am See zuständig, über dieses Rechtsmittel als Berufung im Sinne der Landesabgabenordnung in der Sache (§ 209 und §§ 212 und 213 Bgld. LAO) zu entscheiden.

3.1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Vorschriften des Burgenländischen Kanalabgabegesetzes, LGBl. Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990, lauten:

"Kanalisationsbeiträge

§ 2

Allgemeines

(1) Die Gemeinden werden ermächtigt, durch Verordnung des Gemeinderates Kanalisationsbeiträge (Erschließungsbeitrag, vorläufiger Anschlußbeitrag, Anschlußbeitrag, Ergänzungsbeitrag, vorläufiger Nachtragsbeitrag, Nachtragsbeitrag) zur Deckung der Errichtungskosten der Kanalisationsanlage nach den Bestimmungen dieses Abschnittes zu erheben. An Kanalisationsbeiträgen darf jedoch jeweils insgesamt nicht mehr erhoben werden, als den von der Gemeinde geleisteten oder voranschlagsmäßig zu leistenden Aufwendungen für die Kanalisationsanlage entspricht.

(2) Den Gemeinden für die Errichtung der Kanalisationsanlage gewährte Zuschüsse, die nicht zurückzuzahlen sind, zählen nicht zu den in Abs. 1 genannten Aufwendungen.

(3) Abgabenschuldner ist hinsichtlich des Erschließungsbeitrages und des vorläufigen Anschlußbeitrages der Eigentümer der Anschlußgrundfläche. Hinsichtlich der übrigen Kanalisationsbeiträge ist Abgabenschuldner derjenige Eigentümer der Anschlußgrundfläche, der nach dem Kanalanschlußgesetz rechtskräftig zum Anschluß verpflichtet oder dem der Anschluß rechtskräftig bewilligt wurde, und zwar unabhängig davon, ob er die Kanalisationsanlage benützt oder nicht. Sind Eigentümer der Anschlußgrundfläche und Eigentümer des Baues verschiedene Personen, so ist Abgabenschuldner der Eigentümer des Baues.

...

(6) Das Beitragsausmaß ergibt sich aus dem mit der Berechnungsfläche vervielfachten Beitragssatz.

...

Ergänzungsbeitrag

§ 7. (1) Wenn sich die Berechnungsfläche, die für die Bemessung des Anschlußbeitrages (§ 5) maßgeblich war oder im Falle eines verjährten Abgabenanspruches maßgeblich gewesen wäre, ändert, ist ein Ergänzungsbeitrag zum Anschlußbeitrag zu erheben.

(2) Die Höhe des Ergänzungsbeitrages ist nach den Bestimmungen der §§ 3 und 5 unter Zugrundelegung des Ausmaßes der zusätzlichen Berechnungsfläche zu bemessen.

(3) Der Abgabenanspruch entsteht mit Rechtskraft der baurechtlichen Benützungsbewilligung, wenn jedoch eine solche nicht erforderlich ist, mit der Vollendung des Vorhabens, das eine Änderung nach Abs. 1 bewirkt."

3.2. Mit Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Neusiedl am See vom 7. Dezember 1990 über die Einhebung eines Erschließungsbeitrages, Anschlussbeitrages und Ergänzungsbeitrages nach dem Kanalabgabegesetz wurde von der Stadtgemeinde Neusiedl am See von der Ermächtigung nach diesem Gesetz Gebrauch gemacht.

Diese Verordnung wurde (nach den von der Stadtgemeinde Neusiedl am See vorgelegten Verordnungen) von der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Neusiedl am See "vom 19.12.2000 über die Ausschreibung eines Erschließungsbeitrages, einer Kanalanschlussgebühr und eines Ergänzungsbeitrages nach dem Kanalabgabegesetz" abgelöst. Diese Verordnung trat am 1. Jänner 2001 in Kraft. Der Bürgermeisters der Stadtgemeinde Neusiedl am See stützte in seinem Bescheid vom 27. Dezember 2000 die Vorschreibung noch auf die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Neusiedl am See vom 7. Dezember 1990.

§ 3 dieser Verordnung lautete:

§ 3

(1) Wenn sich die Berechnungsfläche der im § 2 genannten Grundstücke ändert, wird ein Ergänzungsbeitrag zum Anschlußbeitrag erhoben.

(2) Die Höhe des Ergänzungsbeitrages ist entsprechend dem Ausmaß der zusätzlichen Berechnungsfläche zu bemessen."

Auch in der Verordnung des Gemeinderats vom 19. Dezember 2000 hat § 3 den selben Wortlaut.

Entsprechend dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabentatbeständen wäre für die Vorschreibung eines Ergänzungsbeitrages jene Rechtslage anzuwenden, die im Zeitpunkt der Verwirklichung des Sachverhaltes gegolten hat, der die Abgabepflicht auslöste. Dies wäre für die Vorschreibung eines Ergänzungsbeitrages gemäß § 7 Abs. 3 des Bgld. Kanalabgabegesetzes der Zeitpunkt der Rechtskraft der baurechtlichen Benützungsbewilligung, sofern eine solche nicht erforderlich ist, der Zeitpunkt der Vollendung des Vorhabens. Diese Regelung wäre - ungeachtet des zwischenzeitigen Inkrafttretens nachfolgender Vorschriften über die Einhebung der in Rede stehenden Abgabe - auch von der Berufungsbehörde (im Beschwerdefall auf Grund der vorliegenden Säumnisbeschwerde vom Verwaltungsgerichtshof) anzuwenden.

4. Dem Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Neusiedl am See vom 27. Dezember 2000, mit dem der Beschwerdeführerin ein Ergänzungsbeitrag gemäß § 7 des Kanalabgabegesetzes vorgeschrieben wurde, ist nicht zu entnehmen, auf Grund welcher Baumaßnahme sich die Berechnungsfläche gegenüber jener, die der Vorschreibung des Anschlussbeitrages zu Grunde lag, geändert haben sollte.

5. Wie sich aus § 7 des Kanalabgabegesetzes, LGBl. Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990, und § 3 der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Neusiedl am See vom 19. Dezember 2000 ergibt, setzt die Vorschreibung eines Ergänzungsbeitrages eine Änderung der Berechnungsfläche des anschlusspflichtigen Objektes voraus. Im Bescheid des Bürgermeisters vom 27. Dezember 2000 wird nicht ausgeführt, inwiefern sich eine Änderung der Berechnungsfläche beim Objekt der Beschwerdeführerin ergeben haben sollte.

6. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Neusiedl am See ist diesen sich aus dem vorgelegten Bescheid und den Beschwerdeausführungen ergebenden Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht entgegengetreten, zumal die beschwerdeführende Partei in der Verfügung vom 26. September 2001 auf die Rechtsfolge des § 38 Abs. 2 VwGG hingewiesen wurde.

Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Berechnungsfläche gegenüber der der Berechnung des Anschlussbeitrages zu Grunde gelegten Fläche nicht geändert hat. Die Vorschreibung eines Ergänzungsbeitrages hat bei diesem Sachverhalt keine Rechtsgrundlage.

7. Der erstinstanzliche Abgabenbescheid war daher mangels Verwirklichung des von der Behörde herangezogenen Abgabentatbestandes auf Grund der Berufung der Beschwerdeführerin ersatzlos aufzuheben.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001, insbesondere deren § 3 Abs. 2. Die Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG war gemäß § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, mit EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 12. August 2002

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