VwGH 2000/20/0080

VwGH2000/20/008012.12.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des HG, geboren 1968, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Spittelwiese 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. November 1999, Zl. 213.264/0-VIII/23/99, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages gemäß § 5 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §5;
AsylG 1997 §5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, beantragte am 16. August 1999 Asyl. Bei seiner Einvernahme am 14. September 1999 gab er an, er habe Teheran am 5. August 1999 mit einem Lkw - auf der Ladefläche versteckt - verlassen und sei "über einen Zeitraum von ca. 10 Tagen illegal nach Österreich" gelangt. Den nicht näher spezifizierten Vorhalt, es bestehe der "Verdacht", dass er "legal in den Schengenraum" eingereist sei und sich sodann "illegal nach Österreich" begeben und hier einen Asylantrag gestellt habe, um die Weiterreise in die USA abwarten zu können, beantwortete der Beschwerdeführer damit, dass er die Wahrheit gesagt habe. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er würde im Iran zum Tod verurteilt werden, weil er als Moslem über den moslemischen Glauben geschimpft und eine Bibel besessen habe.

Im Anschluss an die Einvernahme wurde beim Bundesasylamt ein Vermerk darüber angelegt, dass die "Einvernahme" eine "Einreise über Dublin-Staaten, BRD, FR" ergeben habe. Worauf dieser - in den Angaben des Beschwerdeführers keine Deckung findende - Vermerk beruhte, geht aus den vorgelegten Akten nicht hervor. Weiters wurde festgehalten, dass dem Beschwerdeführer keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung erteilt werde.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 1999 - dazwischenliegende Ermittlungsschritte gehen aus den vorgelegten Akten des erstinstanzlichen Verfahrens nicht hervor - wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Zugleich wurde Frankreich als für die Prüfung des Asylantrages zuständiger Staat festgestellt und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die dieser Entscheidung zu Grunde gelegten Feststellungen und die Beweiswürdigung, auf der diese Feststellungen beruhten, lauteten wie folgt:

"Aus Ihrem Vorbringen, den von Ihnen vorgelegten Beweismitteln und den amtswegigen Ermittlungen gelangt die Behörde nach freier Beweiswürdigung zu folgenden Feststellungen:

Sie sind mit einem französischen Visum, ausgestellt von der französischen Botschaft in Teheran nach Österreich gelangt und haben in Österreich einen Asylantrag gestellt.

Ihre Angaben und sonstigen Beweismittel wurden nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung wie folgt gewürdigt:

Ihre niederschriftlichen Angaben korrelieren in keiner Weise mit den von Amts wegen ermittelten Beweisen. Auf Grund der Unglaubwürdigkeit Ihrer Aussagen konnte Ihren Angaben in der Niederschrift nicht gefolgt werden. Frankreich hat gleichzeitig mit der Zustimmung ihren Asylantrag auf der Grundlage von

Artikel 5 Absatz 2 Dubliner Übereinkommen zu prüfen bestätigt, dass Sie im Besitz eines französischen Visums waren."

Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhob der Beschwerdeführer eine Berufung, in der er im Wesentlichen geltend machte, er würde in Frankreich nicht den benötigten Schutz erhalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. November 1999 wies die belangte Behörde die Berufung - ohne Durchführung der vom Beschwerdeführer ausdrücklich beantragten Berufungsverhandlung - gemäß §§ 5, 32 AsylG ab. Über die Grundlagen für die Beurteilung der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

"Es wird festgestellt, dass der Berufungswerber mit einem französischen Visum, ausgestellt von der französischen Botschaft in Teheran, nach Österreich gelangt ist.

Diese Feststellung ergibt sich auf Grund des Akteninhaltes, insbesondere einer Note des französischen Innenministers vom 28.09.1999, welche im Akt aufliegt. Diese wurde zwar dem Berufungswerber im erstinstanzlichen Verfahren nicht förmlich zum Parteiengehör gegeben, es wurde aber der Inhalt dieser Note im angefochtenen Bescheid als Ermittlungsergebnis verwertet. Die Nichtgewährung von Parteiengehör im erstinstanzlichen Verfahren wird durch die Möglichkeit der Berufungserhebung saniert. Der Berufungswerber tritt in seiner Berufung diesem - allein entscheidungswesentlichen - Sachverhalt nicht entgegen.

Auf Grund des hinreichend geklärten Sachverhaltes konnte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

In der Beschwerde vom 8. März 2000 wird unter anderem geltend gemacht, die Feststellungen der belangten Behörde über das Visum, auf das sich die Beurteilung der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages gründe, seien unzureichend und der Hinweis darauf, dass die Verletzung des Parteiengehörs saniert worden sei, gehe ins Leere, weil die Note des französischen Innenministeriums vom 28. September 1999 sich nicht im Akt befinde.

Aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofes ist dazu festzustellen, dass die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof die Akten beider Instanzen des Verwaltungsverfahrens mit Note vom 20. April 2000 (unter Abstandnahme von einer Gegenschrift) vorgelegt hat und die Akten der belangten Behörde eine Kopie des (nicht übersetzten) Schreibens des französischen Innenministeriums vom 28. September 1999 enthalten, bei der es sich um ein Telefax des Bundesasylamtes vom 19. April 2000 handelt. Das Schreiben enthält in französischer Sprache formelhafte Ausführungen über die zeitlich und inhaltlich nicht näher präzisierte Ausstellung eines französischen Visums für den Beschwerdeführer. Die Ausführungen entsprechen - mit dem Unterschied, dass auf "article 5-2" und nicht auf "article 5-4" DÜ Bezug genommen wird - den im hg. Erkenntnis vom 4. Mai 2000, Zl. 2000/20/0025, auf das insoweit verwiesen wird, wiedergegebenen Formulierungen. Dass diese im erstinstanzlichen Bescheid nicht in einer den gesetzlichen Begründungspflichten entsprechenden Weise bezeichnete Note bei Erlassung des angefochtenen Bescheides (natürlich nicht in der Form des Telefaxes vom 19. April 2000) "im Akt auflag" und der Beschwerdeführer - oder zuletzt sein Verfahrenshelfer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - sie im Zuge einer Akteneinsicht je zu Gesicht bekommen konnte, ist anhand der vorgelegten Akten nicht nachvollziehbar.

Die zuletzt genannten Umstände stellen - im Vergleich zum Fall des erwähnten Vorerkenntnisses - zusätzliche Verletzungen von Verfahrensvorschriften dar.

Der angefochtene Bescheid war aber schon aus den im Vorerkenntnis, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Ergänzend ist angesichts der unzureichenden Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung schon im erstinstanzlichen Bescheid auch auf das Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0439, über die Verhandlungspflicht im Berufungsverfahren über eine auf § 5 AsylG gestützte Zurückweisung eines Asylantrages zu verweisen.

Da die zeitlich und inhaltlich unbestimmten Feststellungen der belangten Behörde über ein (gemeint offenbar: bei Asylantragstellung noch gültiges) Visum des Beschwerdeführers schon nicht ausreichen, um die Zuständigkeit Frankreichs für die Prüfung des Asylantrages zu beurteilen, braucht auf die Frage, welche auf Frankreich bezogenen Einwendungen des Beschwerdeführers andernfalls - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - noch zu berücksichtigen gewesen wären, nicht eingegangen zu werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

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