Spruch:
Dem Antrag wird nicht stattgegeben.
Begründung
Mit Beschluss vom 20. September 2001, 2001/15/0111, stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren über die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 20. Februar 2001, RV/043- 17/08/2001, betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1999 mit der Begründung ein, die Antragstellerin habe den ihr erteilten Mängelbehebungsauftrag insofern nicht erfüllt, als sie weder die vom Verwaltungsgerichtshof zurückgestellte zweite und dritte Ausfertigung der vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde noch den ebenfalls zurückgestellten angefochtenen Bescheid (idF nur: Unterlagen) wieder vorgelegt habe. Da der Mängelbehebungsauftrag somit nur teilweise erfüllt worden sei, gelte die Beschwerde gemäß § 34 Abs 2 VwGG als zurückgezogen.
Im innerhalb offener Frist gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (idF nur: Antrag) führt die Antragstellerin aus, durch ein Versehen der seit Jahren beschäftigten, zuverlässigen Kanzleikraft SS, der auch die Abfertigung von Schriftsätzen obliege, seien die vom Verwaltungsgerichtshof zurückgestellten Unterlagen nicht abgefertigt worden. Noch nie sei der Kanzleikraft SS bei der Abfertigung von Schriftsätzen ein Fehler unterlaufen. Es habe daher für ihre Rechtsanwälte kein Anlass bestanden, an einer ordnungsgemäßen Abfertigung des an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Schriftsatzes durch die Kanzleikraft SS zu zweifeln. Das Verschulden ihrer Rechtsanwälte bzw das der Kanzleikraft SS stelle einen minderen Grad des Versehens dar, weswegen dem Antrag stattzugeben sei.
Die Antragstellerin legte die vom Verwaltungsgerichtshof zurückgestellten Unterlagen vor.
Nach § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis .... eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl beispielsweise den hg Beschluss vom 20. September 2001, 2001/15/0106, mwA), gibt ein einem Vertreter widerverfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Antragstellerin nur dann ab, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Vertreters, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Der Vertreter muss seine Kanzlei so organisieren, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sicher gestellt ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind.
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen der Antragstellerin innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgegeben wird. Nun hat jedoch die Antragstellerin keinerlei Behauptungen darüber aufgestellt ob und in welcher Weise ihre Rechtsanwälte ihre Kanzleikräfte kontrollieren bzw in welcher Weise sie den ihnen obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten nachgekommen sind. Insbesondere hat die Antragstellerin nicht aufgezeigt, durch welche Kontrollen sicher gestellt wird, dass abzufertigende Unterlagen tatsächlich zur Abfertigung vorbereitet werden.
Den Rechtsanwälten der Antragstellerin fällt daher ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln zur Last, das einen minderen Grad des Versehens gemäß § 46 Abs 1 VwGG übersteigt, weswegen dem Antrag schon aus diesem Grund nicht stattzugeben war.
Dem Verwaltungsgerichtshof obliegt es überdies in freier Beweiswürdigung zu entscheiden, ob ein Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht worden ist. Im Rubrum des von einem der beiden Rechtsanwälte der Antragstellerin unterfertigten, an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Schriftsatzes, mit dem dem erteilten Mängelbehebungsauftrag hätte entsprochen werden sollen, wird rechts unten ausgeführt "3-fach 1 Halbschrift". Die Kanzleikraft SS hatte daher keine Veranlassung, weitere Unterlagen als Beilagen abzufertigen. Dass von Kanzleikräften nur jene Unterlagen abgefertigt werden, die in Schriftsätzen angeführt sind, entspricht der forensischen Erfahrung. Die Behauptung der Antragstellerin, der Kanzleikraft SS sei bei der Abfertigung des eben erwähnten Schriftsatzes ein Versehen unterlaufen, ist mit den Ausführungen in dessen Rubrum nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der den Schriftsatz unterfertigende Rechtsanwalt unter Außerachtlassung der ihm - insbesondere als berufsmäßigen Parteienvertreter - obliegenden Sorgfaltspflicht es unterlassen hat, die Vollständigkeit des abzufertigenden Schriftsatzes zu kontrollieren. Denn bei einer auch nur flüchtigen Kontrolle hätte der unterfertigende Rechtsanwalt bemerken müssen, dass auf dem Rubrum keine Beilagen vermerkt sind. Er hätte daher den Schriftsatz nicht unterfertigen und damit nicht genehmigen dürfen, weil er damit hätte rechnen müssen, dass nur der Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung samt einer Halbschrift abgefertigt werden werde (vgl den hg Beschluss vom 31. Oktober 2000, 2000/15/0157).
Der als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemachte Sachverhalt ist somit nicht bescheinigt, weswegen auch aus diesem Grund dem Antrag nicht stattzugeben war.
Wien, am 18. Dezember 2001
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